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Jahresbilanz

23. Februar 2011

Ein Jahr nach dem Machtwechsel in Kiew ist die politische Handlungsfähigkeit wiedergewonnen. Aber es gibt Probleme bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Nico Lange von der Konrad-Adenauer-Stiftung bewertet die Lage.

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Nico Lange, Leiter der Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew (Ukraine)
Nico Lange: Ukraine streckt in alle Richtung ihre Fühler ausBild: Nico Lange

DW-WORLD.DE: Herr Lange, die Präsidentenadministration unter Viktor Janukowitsch hat Pragmatismus zum Hauptmotto der ukrainischen Außenpolitik gemacht. Wie ist ein Jahr nach dem Machtwechsel in Kiew dieser Pragmatismus zu verstehen?

Nico Lange: Man kann sicherlich als pragmatisch verstehen, dass die Administration unter Janukowitsch seit ihrem Amtsantritt eigentlich versucht, mit allen denkbaren Partnern Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zu finden - völlig unabhängig davon, ob es nun Mitgliedsstaaten der EU oder Nichtmitgliedsstaaten der EU, ob es demokratische oder nicht demokratische Staaten sind. Es ist einfach der Versuch, in alle Richtungen die Fühler auszustrecken und von überall irgendetwas Nützliches für die Ukraine zu erwirken. Das scheint mir die Idee zu sein und das ist vielleicht, was ich am ehesten noch unter pragmatisch verstehen würde. Man kann in der Politik nicht pragmatisch sein, ohne dass man auch gleichzeitig trotzdem eine langfristige Vision verfolgt. Und da ist mir außenpolitisch nicht ganz klar, was denn eigentlich die langfristige Idee für die Entwicklung der Ukraine ist.

Janukowitsch hat mehrfach erklärt, langfristig strebe die Ukraine eine EU-Mitgliedschaft an.

Es ist immer wieder von Janukowitsch, von vielen anderen betont worden, das langfristige strategische Ziel sei die EU-Mitgliedschaft. Es ist aber die Frage, inwieweit sich das aus Sicht der EU mit gewissen innenpolitischen Entwicklungen in der Ukraine verträgt. Da scheint mir ein altes Verständnisproblem wieder aufzutauchen – das Missverständnis, dass europäische Integration Außenpolitik ist. Europäische Integration als langfristiges Ziel kann man natürlich nicht durch außenpolitische Verhandlungen erreichen, sondern nur durch Anpassung von innenpolitischen Standards. Damit scheint es Probleme zu geben. In diesem Jahr, das noch nicht so alt ist, haben sowohl die Bundesregierung als auch die US-Regierung, der zuständige EU-Kommissar Stefan Füle sowie der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, schon kritische Erklärungen zum Stand der innenpolitischen Entwicklung abgegeben, insbesondere zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das scheint mir nicht ganz zusammenzupassen mit dem langfristigen Ziel der EU-Mitgliedschaft.

Vor einem Jahr hieß es in Brüssel und Berlin, die Ukraine kehre zu politischer Stabilität zurück. Fördert diese Stabilität die Entwicklung der Beziehungen zur EU?

Präsident Janukowitsch übereicht Premier Asarow Blumen im Parlament (Foto: AP)
Janukowitsch stützt sich auf eine eigene Koalition mit Premier Asarow an der SpitzeBild: AP

Wenn ich mit offiziellen Vertretern der EU oder deutscher Ministerien rede, so ist das Bild zwiespältig. Einerseits sagen sie, dass es gut ist, dass politische Handlungsfähigkeit wiedergewonnen wurde und dass man jetzt konkrete Dinge umsetzen kann. Andererseits gibt es Probleme bei Standards, die für die EU ganz wichtig sind bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Im ukrainischen politischen System gibt es eine Entwicklung, alles zentralisieren und kontrollieren zu wollen, was mit dem europäischen Verständnis von Politik nicht zusammenpasst. Wir haben Bewertungen der Kommunalwahlen Ende Oktober gesehen, die diese Wahlen als nicht frei und nicht fair bezeichnet haben. Wir diskutieren in der Ukraine seit Monaten über die Einschränkung der Pressefreiheit. Es gibt Ratings von Freedom House und von Reporter ohne Grenzen, die eine klare Sprache sprechen. Es gibt einen Index zur unternehmerischen Freiheit in Europa, bei dem die Ukraine sehr schlecht abschneidet. Diese sehr negative Tendenz behindert aus Sicht vieler in der EU eine weitere Annäherung der Ukraine an die EU und eine weitere Verbesserung der Beziehungen.

Gab es denn im vergangenen Jahr auch Erfolge in der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine?

Aus meiner Sicht ist es eine Errungenschaft, insbesondere des ukrainischen Außenministeriums, dass beim EU-Ukraine-Gipfel Ende letzten Jahres ein Fahrplan für die Abschaffung des Visaregimes an die Ukraine vergeben wurde. Gleichzeitig glaube ich, dass egal welche Zusammenarbeit letztlich nur auf der gemeinsamen Basis geteilter Werte erfolgreich sein kann. Das ist eine Frage, die die Ukraine im Rahmen dieses Prozesses glaubhaft beantworten muss.

Nico Lange leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew.

Das Interview führte Eugen Theise
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Gero Rueter