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Politik

Verwirrung um Anti-Terror-Einsatz

22. Dezember 2016

In der Dortmunder Nordstadt ist die Polizei zu einem Anti-Terror-Einsatz ausgerückt. Die Bundesanwaltschaft dementierte Medienberichte, wonach es vier Festnahmen gegeben habe.

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Deutschland Polizei Razzia Dortmund
Polizeikräfte bei der Razzia in DortmundBild: picture-alliance/dpa/B.Thissen

Die Bundesanwaltschaft bestätigte auf Anfrage der Deutschen Welle, dass es im Rahmen der Fahndung nach dem Berliner Attentäter in Dortmund einen Polizei-Einsatz gegeben habe. Ein Sprecher der Behörde dementierte jedoch Medienberichte, wonach vier Personen festgenommen worden seien. Die Dortmunder Aktion sei Teil der bundesweiten Fahndung nach dem verdächtigen Tunesier.

Zuvor hatte der Westdeutsche Rundfunk berichtet, bei dem Einsatz seien zwei Wohnungen durchsucht worden und vier Personen festgenommen worden. Über Twitter verwies die Polizei auf den Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen nach dem Anschlag in Berlin übernommen hat.

Nach Angaben des WDR soll Amri Kontakte zu dem Dortmunder Salafisten Boban S. gehabt und teilweise dort gewohnt haben. Boban S. wurde demnach im November als IS-Unterstützer verhaftet.

Auch die "Bild"-Zeitung berichtete über den Dortmunder Polizei-Einsatz. Demnach stürmte ein Sondereinsatzkommando ein Mehrfamilienhaus und überwältigte vier Personen. Diese seien festgenommen und zur Wache mitgenommen worden. Die Polizei habe das Gebäude umstellt.

Die "Bild"-Zeitung berichtet außerdem über eine koordinierte Razzia in Berlin. Dort seien Polizisten auf der Suche nachdem terrorverdächtigen Tunesier Anis Amri in der Nacht zeitgleich in Wohnungen in den Stadtteilen Kreuzberg, Moabit und Prenzlauer Berg eingedrungen, schreibt "Bild" auf seiner Online-Seite. Den Verdächtigen hätten sie nicht gefunden. Bereits am Abend hatten Polizisten einen Verdächtigen in der Großbeerenstraße in Berlin überprüft, der Mann habe dem Gesuchten nur geähnelt.

Amri am Tatort?

Unterdessen meldet der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, es gebe Hinweise über Anis Amris Anwesenheit am Tatort in Berlin. Demnach seien an der Fahrertür des LKW Fingerabdrücke des Mannes gefunden worden. Die Berliner Polizei lehnte eine Stellungnahme ab und verwies auf den Generalbundesanwalt, der dem Medienbericht zufolge zu diesem Zeitpunkt nicht erreichbar gewesen sei. 

Fahndungsfoto Anis Amri
Der Fahndungsaufruf des Bundeskriminalamtes mit zwei Fotos des Tatverdächtigen Anis AmriBild: picture-alliance/dpa/Bundeskriminalamt

Kontakt zum IS

Zuvor hatte die "New York Times" neue Informationen zu dem Berliner Attentat veröffentlicht. Das Blatt bezog sich auf namentlich nicht genannte US-Offizielle. Demnach nahm Anis Amri mindestens einmal über den Messengerdienst Telegram Verbindung mit der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) auf. Er habe sich zudem im Internet über den Bombenbau informiert. Sein Name habe zudem auf der Flugverbots-Liste der USA gestanden. Unklar ist, auf welchen Zeitraum sich die Angaben zu der Internetrecherche und der Kommunikation per Telegram beziehen.

Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt halten den 24-jährigen Tunesier für dringend tatverdächtig und haben ihn zur öffentlichen Fahndung ausgeschrieben. Die Bundesanwaltschaft bat um Hinweise aus der Bevölkerung und setzte eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro aus. Zugleich wurde gewarnt, der 24-Jährige "könnte gewalttätig und bewaffnet sein". Das Schreiben wurde auch auf Arabisch, Dari, Farsi und Urdu veröffentlicht. Die Fahndung läuft in Deutschland und Europa auf Hochtouren.

Weihnachtsmärkte in Berlin nach Anschlag

Ermittlungen in Tunesien

In Tunesien verhörten derweil Ermittler nach einem Bericht der Zeitung "Al-Chourouk" die Familie des möglichen Attentäters in der nordöstlichen Provinz Kairouan, die als Salafisten-Hochburg gilt. Die Familie habe ausgesagt, dass sie keinen steten Kontakt mit Amri hatte, seitdem er das Haus Ende 2010 verlassen habe. Sein Vater sagte dem tunesischen Sender Mosaique FM, Anis Amri sei vor rund sieben Jahren aus Tunesien ausgereist. Dem Bericht zufolge wurde er in Abwesenheit wegen Raubes zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Tageszeitung "Die Welt" schreibt, Amri habe 2010 einen Lastwagen gestohlen und sei deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Nachrichtenagentur afp meldet unter Hinweis auf Sicherheitskreise, Amri sei in der Heimat mehrmals wegen Drogendelikten inhaftiert worden.

Bevor Amri im Juli 2015 nach Deutschland kam, verbrachte er italienischen Medienberichten zufolge vier Jahre in Italien. Er sei 2011 nach Italien gekommen und dann wegen Brandstiftung in einer Schule zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seine Strafe verbüßte er demnach in Haftanstalten in Catania und Palermo. Im Mai 2015 sei er in Abschiebehaft in die zentralitalienische Stadt Caltanissetta verlegt worden. Wenige Wochen später sei er entlassen worden und nach Deutschland weitergereist.

Den italienischen Behörden liegen nach Information der "Welt" Fingerabdrücke von Amri vor. Sie könnten dabei helfen, offene Fragen zum Tathergang in Berlin zu klären. So ließe sich durch Vergleiche mit Fingerabdrücken am Lkw und Tatort möglicherweise eindeutig feststellen, ob Amri am Steuer des Sattelschleppers saß. Bisher ist das nicht erwiesen.

Auch Israelin getötet

Bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche nahe dem Kurfürstendamm wurden am Montag zwölf Menschen getötet. 48 Menschen wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) reklamierte den Anschlag für sich und erklärte, die Tat sei von einem ihrer "Soldaten" begangen worden. Die Duldungspapiere wurden in dem Lastwagen gefunden, der am Montagabend in die Menschenmenge gefahren war. Das Dokument wurde nach Medienangaben im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt. Im Zusammenhang mit dem Anschlag durchsuchten etwa 100 Polizisten eine Stunde lang eine Flüchtlingsunterkunft im benachbarten Emmerich. Über das Ergebnis wurde zunächst nichts bekannt. Der Gesuchte hielt sich in der Vergangenheit unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf.

Derweil wurde bekannt, dass unter den Todesopfern des Attentats auch eine israelische Frau ist. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums teilte mit, die israelische Botschaft organisiere die Überführung der Leiche in die Heimat. Die Frau war mit ihrem Mann auf dem Weihnachtsmarkt gewesen. Ihr Mann, ebenfalls israelischer Staatsbürger, wurde bei der Attacke schwer verletzt. Er sei mehrmals operiert worden, schwebe aber nicht mehr in Lebensgefahr, berichtete die Nachrichtenseite "ynet". Das Ehepaar habe zwei erwachsene Kinder. Diese seien in Berlin, um bei der Identifizierung zu helfen.

Deutschland Berlin Protestkundgebung gegen den rechten Aufmarsch
Demonstranten protestieren gegen einen NPD-Aufmarsch in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Als "Gefährder" eingestuft

Die deutschen Behörden gingen in den vergangenen Monaten deutlichen Hinweisen auf die Gefährlichkeit des Mannes nach. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger bestand der Verdacht auf die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat". Die Ermittlungen wurden daraufhin in Berlin vom dortigen Generalstaatsanwalt geführt.

Laut Generalstaatsanwaltschaft wurde Amri von März bis September als islamistischer Gefährder observiert. Es habe Informationen gegeben, dass er sich automatische Waffen beschaffen wollte - "möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen", erklärte die Justizbehörde. Der Verdacht habe sich aber letztlich nicht erhärtet, so dass "keine Grundlage" für weitere Überwachungsmaßnahmen mehr bestanden habe.

Amris Asylantrag wurde in diesem Sommer abgelehnt. Nach den Worten Jägers konnte er aber nicht abgeschoben werden, "weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte" und Tunesien zunächst bestritt, dass er Bürger des Landes sei. Die Abschiebung sei letztlich wegen fehlender Passersatzdokumente aus Tunesien gescheitert. Die tunesischen Behörden hätten diese erst am Mittwoch überstellt, fügte der SPD-Politiker hinzu.

kle/fab (dpa, afp)