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Verzweifelt in Athen

Jannis Papadimitriou und Reza Shirmohammadi, Athen3. März 2016

Nach Nordeuropa dürfen sie nicht, zurück in ihre Heimat wollen sie nicht: Tausende Flüchtlinge aus Afghanistan sitzen derzeit in Griechenland fest. Jannis Papadimitriou und Reza Shirmohammadi trafen einige von ihnen.

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Afghanische Flüchtlinge in Piräus (Foto: DW)
Bild: DW/J.Papadimitriou

Mohamad Mohamadi und sein siebenjähriger Sohn haben eine lange Reise hinter sich. Über die Türkei sind die beiden nach Griechenland gekommen und wollen weiter nach Nordeuropa, in ein Land, "in dem man leben kann", wie Mohamad sagt. Die kühlen Nächte verbringen Vater und Sohn im Stadtteil Hellenikon, in einer ehemaligen Sporthalle, die zum Flüchtlingscamp umfunktioniert wurde. Mohamad, der aus Afghanistan stammt, kommt tagsüber mit seinem Sohn in die Stadt, zum vielbesuchten Viktoria-Platz. Der Ort gilt als Treffpunkt und Informationsbörse für Geflüchtete aus aller Welt.

Im Gespräch mit der DW klagt der 30-Jährige, die Flüchtlinge bekämen nur schlechtes und manchmal sogar vergammeltes Essen im Camp, viele würden dadurch krank. Nicht zuletzt deshalb sammelten sich viele Schutzsuchende in der Athener Innenstadt. "Hier in der Nähe gibt es afghanische Geschäfte. Manchmal kommen auch Anwohner oder andere Leute vorbei, die uns etwas zu Essen mitbringen", freut sich Mohamad.

Mohamad Mohamadi und sein Sohn (Foto: DW)
Mohamad Mohamadi und sein Sohn freuen sich, wenn Anwohner etwas zu Essen vorbeibringenBild: DW/J.Papadimitriou

Zahlreiche Menschen aus Afghanistan übernachten lieber gleich auf offener Straße am Viktoria-Platz. Wie etwa Alem Ayubi, der seit anderthalb Wochen mit Frau und Kind in Griechenland verharrt. In seiner Heimat sei er von den Taliban bedroht worden, sagt der 32-Jährige im Gespräch mit der DW. "Ich war Polizist in Afghanistan, habe mit Polizeichef Mustafa Mohseni gearbeitet und zur Verhaftung eines künftigen Selbstmordattentäters beigetragen. Seitdem sind die Taliban hinter mir und sie drohen, mich umzubringen."

Seine Hoffnung auf ein freies Leben im Norden Europas wurde bisher enttäuscht. Der Grund: Nachdem Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt hat und sämtliche Länder Südosteuropas daraufhin den Grenzverkehr einschränkten, verharren Tausende Neuankömmlinge in Griechenland - dem Eingangstor der EU für Flüchtlinge. Afghanen dürfen überhaupt nicht mehr weiterreisen. Und es kommen immer mehr Menschen dazu: Allein am Mittwoch waren 10.000 Migranten und Flüchtlinge in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien gestrandet - in einem Quartier, das für höchstens 2000 Menschen eingerichtet war.

Alem Ayubi mit seiner Familie (Foto: DW)
Alem Ayubi harrt mit seiner Familie in Griechenland ausBild: DW/J.Papadimitriou

Auch Alem Ayubi musste vier Nächte in Idomeni festsitzen und unverrichteter Dinge nach Athen zurückehren. Heute hat der Familienvater nur noch 90 Euro in der Tasche und kann sich eine weitere Reise an die Grenze gar nicht mehr leisten. Ob ein Asylantrag in Griechenland für ihn eine Option wäre? "Ich fühle mich hier sicher, aber ich habe gehört, es gebe kaum Arbeit in Griechenland. Wenn die Grenze geöffnet wird, mache ich mich doch lieber auf den Weg. Wenn nicht, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als hier einen Asylantrag zu stellen", sagt der Mann aus der Region Baghlan.

Geflohen aus Kundus

Abdullah Arab und seine Frau haben ein konkretes Ziel vor Augen: Sie wollen möglichst schnell nach Österreich. Dafür hat das Paar eine gefährliche Reise auf sich genommen, von der nordafghanischen Stadt Kundus über Iran und die Türkei nach Griechenland. In Kundus sei die Lage immer noch angespannt und gefährlich, erläutert Abdullah im Gespräch mit der DW. Zwar wurde die Innenstadt von den Regierungstruppen erobert, doch die Taliban kontrollierten immer noch alle Vororte. "Es herrscht überall Krieg, einer meiner Brüder wurde in der Region getötet. Das war auch der Grund, warum ich Afghanistan verlassen musste", sagt der 30-Jährige.

Seit sechs Tagen verharren Abdullah Arab und seine Frau nun am Viktoria-Platz, im Herzen von Athen. Hunderte von Flüchtlingen und Migranten verbringen hier die Nacht unter freiem Himmel - auf dreckigen Bettdecken, ohne Zugang zu Sanitäranlagen. Viele ältere Menschen, vom Krieg gezeichnet, aber auch Kleinkinder und Neugeborene sind dabei. Morgens rücken die Reinigungsarbeiter an, wenig später sind Hilfsorganisationen im Einsatz und verteilen rationierte Essensportionen. In der Regel erhält jeder Flüchtling ein Sandwich, ein Stück Obst und eine Flasche Wasser.

Abdullah Arab und seine Familie (Foto: DW)
Abdullah Arab ist aus Afghanistan geflohen, nachdem sein Bruder getötet wurdeBild: DW/J.Papadimitriou

Iran ist keine Option

Insgesamt sitzen mehr als 20.000 Neuankömmlinge in Griechenland fest. Um die Lage in den Griff zu bekommen, errichtet die Regierung neue Camps - oft mit Hilfe der Armee. Besonders großer Andrang herrscht derzeit im einstigen Passagierterminal am Hafen von Piräus. Dort schlafen mehr als 3000 Menschen auf engstem Raum, nur notdürftig gegen Nässe und Kälte geschützt. Auch Sahra Husseini hat sich dort eingerichtet. Ihr Mann und zwei Töchter sind mit dabei, ihre drei Söhne seien in Wiesbaden angekommen, berichtet sie stolz und sichtlich gerührt.

Nun hofft Sahra, dass die Familie in Deutschland endlich wieder zusammenkommt: "Ich vermisse meine Kinder, meine Jungs, ich will sie wieder sehen. Aber jetzt hören wir auf einmal, dass die Grenze zu Mazedonien für Afghanen geschlossen ist. Das ist eine große Enttäuschung. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll. Wir wollen doch mit unserer Familie in Deutschland leben, was soll ich hier in Griechenland?"

Wie auch viele andere Flüchtlinge aus Afghanistan lebte die Familie von Sahra Husseini jahrelang im Iran, bevor sie im Februar über die Türkei nach Griechenland kam. Eine Rückkehr komme für sie nicht in Frage. "Die Lage war nicht gut für uns und außerdem hatten wir keine Papiere, wir haben dort illegal gelebt. Das war natürlich ein großes Problem", sagt die fünffache Mutter.

Über die Aufenthaltsbedingungen und die dürftige Verpflegung in Piräus will Sahra Husseini nicht viel erzählen. Denn: "Wir sind nicht zum Essen und Trinken hier, wir wollen nach Deutschland."

Mitarbeit: Reza Shirmohammadi