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Politik

Viele Baustellen bei Delhis Kampf gegen Smog

Katja Keppner
17. November 2016

Er stinkt, brennt in den Augen und lässt immer mehr Menschen husten: Der Feinstaubanteil in Delhis Luft hat Rekordwerte erreicht. Eilige Maßnahmen sollen Besserung bringen, aber eine langfristige Strategie fehlt.

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Indien Delhi Luftverschmutzung
Bild: Picture-Alliance/AP Photo/M. Swarup

Energisch hebt Vishesh den Arm. Er sitzt in der ersten Reihe eines Klassenzimmers der Summer Fields School im Süden Neu-Delhis. Heute auf dem Stundenplan: Wie schützen wir uns gegen die Luftverschmutzung? In seiner Hand hält er eine Atemmaske. Er will erklären, was die Ursachen für Delhis schlimme Luftwerte sind. Der 12-jährige ist eines von 25 Kindern, die die Organisation 'Forum for Air Quality India' nach den alarmierenden Werten der vergangenen Woche zu den Gefahren der Luftverschmutzung schult.

Alle hier im Raum hatten mehrere Tage schulfrei. Nachdem die Zeitungen sogar Ausdrücke wie "gas chamber Delhi" benutzt hatten, wütende Bewohner mit Atemmasken und Sprechchören demonstrierten, nahm auch die Regierung das Wort Notlage in ihre Verlautbarungen auf. Die Stadtregierung entschied, alle Schulen geschlossen zu halten. Auch sollten die Baustellen für fünf Tage ruhen und der Staub auf den Bürgersteigen mittels Einsatz von Sprühgeräten gebunden werden. Maßnahmen, die zumindest auf eine kurzfristige Verbesserung abzielten.

Schüler mit Atemmasken im Klassenzimmer (Foto: DW/K. Keppner)
Neu im Lehrplan: Umgang mit der gefährlichen LuftverschmutzungBild: DW/K. Keppner

Politiker spielen "blame game"

Die Ursachen der Luftverschmutzung sind so vielfältig, dass es ein Leichtes für jeden Politiker ist, die Schuld von sich zu weisen. Am einfachsten ist es, die winterlichen Temperaturen für Delhis Misere verantwortlich zu machen. Sobald es kälter wird, legt sich die obere, wärmere Luftschicht wie eine Glocke über die Stadt und hält die kälteren Schichten unten, einschließlich der darin enthaltenen Partikel und Schadstoffe. Wer davon am meisten produziert, darüber streiten sich Politiker gerne.

Da wären zunächst die Bauern in den umliegenden Bundesstaaten Punjab und Haryana. Sie verbrennen traditionell Anfang November die Überreste ihrer alten Ernten auf den Feldern, bevor sie neu aussäen. Das ist zwar verboten, passiert aber trotzdem. Steht der Wind ungünstig, zieht das giftige Gemisch auf Delhi zu. Satellitenaufnahmen der NASA zeigen eindrucksvoll ein Meer aus roten Punkten nordwestlich der Hauptstadt zu dieser Zeit. Als Anfang des Monats die Sichtweiten in der Hauptstadt auf wenige Meter sanken, rief Delhis Regierungschef Arvind Kejriwal eilig ein Treffen aller zuständigen Umweltminister zusammen. Außerdem klagte er, die Zentralregierung müsse sich einschalten und den Bauern mit höheren Strafen drohen. Doch entschieden eingreifen will derzeit keine Partei. Man scheut es, sich unbeliebt zu machen, auch, weil es um die Stimmen der Bauern bei den Regionalwahlen 2017 geht.

Nach den Bauern in Punjab und Haryana gleitet die Diskussion meist in Richtung Feuerwerkskörper ab. Die werden wie jedes Jahr zum Lichterfest Diwali abgefeuert, und zwar tagelang. Je schlimmer die Luft danach, desto größer die Diskussion und Forderungen, die Knallerei zu verbieten. Wütende Online-Petitionen machten dieses Jahr die Runde. Meist verschwinden diese Stimmen aber nach wenigen Tagen. Die Hochzeitssaison hat schließlich begonnen – und es wird fröhlich weiter geballert.

Rauch aus Fabrikschlot in Neu Delhi (Foto: picture-alliance/AP Photo/T.Topgyal)
Die Kleinindustrie im Stadtgebiet ist eine der Quellen des SmogsBild: picture-alliance/AP Photo/T.Topgyal

Wenn Entwicklung zur Gefahr wird

Schließlich unterstützen Delhis Wachstum und normaler Alltag den diesjährigen Rekordsmog: die Armen verbrennen Müll, um es nachts auf der Straße ein bisschen warm zu haben. Die Reichen tuckern mit ihren dieselbetriebenen Luxuswagen durch die Straßen und lassen bei Stromausfall ihre Generatoren auch mal die Nacht lang durchlaufen. Auf den Großbaustellen wird Tag und Nacht gearbeitet – was dem gefährlichen Chemiegemisch in der Luft auch noch frischen Baustaub hinzufügt. Die Materialien für Neubauten wie beispielsweise Ziegelsteine werden oftmals in den kohlebetriebenen Ziegeleien vor den Toren der Stadt gebrannt. Etwa 13 Kohlekraftwerke im Speckgürtel der Megacity produzieren, neben Massen an CO2, den Strom für diese unaufhaltsame Entwicklung.

"Die Politiker müssen entschieden durchgreifen", erklärt ein Kunde eines Geschäfts für Atemmasken am nobleren Khan Market in Delhi gegenüber DW. "Nur wenn die Industriebetriebe gezwungen sind, Delhi zu verlassen, ändert sich etwas. So lange muss sich jeder einzelne schützen." Doch genau wie mit den Bauern will es sich kaum eine Partei mit den großen Wirtschaftsbossen verderben. Aber auch bei den meisten Bewohnern der Stadt hört da der Umweltschutz auf, wo die eigene Freiheit anfängt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Das ist nicht nur in Delhi so – jedoch verschlimmert es die Lage zusätzlich. Die jedoch, die am meisten leiden, haben keine Lobby, also Alte und Kinder. Jedes Zweite leidet schon heute unter Atembeschwerden, Tendenz steigend.

Schulkinder lernen die Smogpartikel aufgelöst im Becher kennen
Je dunkler die Lösung, desto gefährlicher die Smogpartikel: Das ernste Thema muss den Spaß am Unterricht nicht verderben Bild: DW/K. Keppner

Die Regierung wacht nicht auf

Nach einer Ermahnung des Obersten Gerichtshof bemüht sich die Regierung des Stadtstaates gerade, entschieden gegen Inhaber von Fahrzeugen mit mehr als 15 Jahre alten Dieselmotoren vorzugehen. Auch sollen Straßenstaubsauger endlich eingesetzt werden, nachdem sie in der letzten Smogsaison versprochen wurden und seitdem ungenutzt herumstanden. Viel mehr aber ist bislang nicht passiert. Und der Winter hat erst begonnen. Wer es sich leisten kann, versorgt sich mittlerweile mit Atemmasken oder Indoor-Luftfiltern. Andere verlassen die Stadt. Umso wichtiger sei es, bei den Kindern von heute anzusetzen, erklärt Sachin Panwar vor den Schülern der Summer Fields School. "Ihr müsst eure Familie und Freunde aufklären. Die Regierung wacht nicht wirklich auf. Wir befinden uns in einer Notlage und entschiedene Schritte sind jetzt gefragt. Und zwar schnell, sonst ist es zu spät."