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Viele kleine kalte Kriege

Thomas Franke2. September 2008

Die 27 EU-Regierungschefs waren sich einig: Sie haben Georgien Wiederaufbauhilfe zugesagt, außerdem Handelsabkommen und Reiseerleichterungen. Die Georgier in Tiflis haben den Brüsseler Gipfel aufmerksam verfolgt.

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Ein Vampir frisst Georgien auf - zu sehen auf einem Plakat in Tiflis (25.08.2008/dpa)
Ein Plakat mit anti-russischer Propaganda in TiflisBild: picture-alliance/ dpa

Eines der erklärten Ziele der Georgier war, dass konkrete Sanktionen gegen Russland beschlossen würden. Schon bevor der Gipfel in Brüssel begann, hatten Menschen im ganzen Land mit georgischen Fahnen, gereckten Fäusten und Hupkonzerten Siegeswillen demonstriert. Stundenlang schallten die Rufe „Sakartvelo, Sakartvelo“, „Georgien Georgien“ durch Tiflis. Auch viele Natofahnen waren zu sehen.

Von der Euphorie zur Flaute

Montage der russischen und der europäischen Flagge (Peter Steinmetz)
Die Ergebnisse des EU-Gipfels wurden in Tiflis mit Spannung erwartetBild: DW-Montage/Bilderbox.de

In Tiflis herrscht eine Stimmung wie nach einem Fußballspiel. Gegend Abend flaut sie ab, denn die Ergebnisse des Gipfels finden auf der Straße kaum eine Resonanz. Eine der enttäuschten Georgierinnen ist Elen Pilpani. Die Ärztin sitzt in einem Bierkeller, wo der Fernseher läuft. Kaum jemand schaut richtig hin.

Elen Pilpani ist von den Ergebnissen des Gipfels nicht überrascht. Sie habe gehofft, dass die Reaktionen der EU konkreter und klarer ausfallen würden, etwa durch Sanktionen. „Ich hatte auf radikale Maßnahmen der EU gehofft. Dass Europa wenigstens einmal ein klares Wort spricht. Ich glaube, jetzt können wir auf gar nichts mehr hoffen“, erklärt sie resigniert.

Ähnlich reagiert auch der Ingenieur Gia Gabetschawa. Er hatte sich härtere Maßnahmen der EU gegen Russland erhofft. Er befürchtet, dass sonst gar nichts passiere und Russland immer so weiter machen werde. Die Reaktionen der EU waren vielen Georgiern nicht hart genug. Die Ärztin Elen Pilpani glaubt, dass die Europäer Angst vor radikalen Maßnahmen haben. Sie verstehe aber nicht, warum: „Die denken doch wohl nicht etwa, dass Russland schon wieder eine Großmacht ist.“

Ein langsamer Erkenntnisgewinn

Russische Soldaten auf einem Panzer (15.08.2008/AP )
Russland könnten viele kleine Kalte Kriege erwartenBild: AP

Der Jurist Schalwa Papuaschwili ist in der Nationaltracht der Georgier zur Demonstration gegangen. Sie ist schwarz, hochgeschlossen, mit Reithosen und Schaftstiefeln. Papuaschwili trägt dazu einen Dolch am Gürtel und Imitate von Patronenhülsen auf der Brust. Der Jurist versucht trotz allem, dem Gipfel etwas Gutes abzugewinnen.

Er hofft, dass im Laufe der Zeit die europäischen Politiker verstünden, dass sie etwas gegen die Maßnahmen der Russen unternehmen müssten. Und dann werde es kleine Entscheidungen von einzelnen Ländern geben, die schmerzhaft für Russland sein würden. „Also kein großer kalter Krieg, aber viele kleine kalte Kriege“, so der Jurist.

Aufstehen aus eigener Kraft

Zerstörtes Gebäude in Gori (09.08.2008/AP)
In Georgien muss viel wieder aufgebaut werdenBild: AP

Für viele Georgier ist die militärische Unterstützung durch die Nato das wichtigere Ziel. Nachdem Georgien im Frühjahr eine Abfuhr des Miltärbündnisses erfahren hat, hoffen viele, dass die Entscheidung von damals nun so schnell es geht revidiert wird. Und das würde heißen, dass Georgien nun die Einladung zur Nato-Mitgliedschaft erhält.

Es mischen sich aber auch kritische Stimmen in die Debatte. Tinatin Mosiaschwili arbeitet im Bildungsministerium und meint, dass Georgien nicht auf die Hilfe von außen bauen könne. Schließlich müsse auch ein Mensch alleine wieder aufstehen, wenn er hinfalle. „Wir sind diejenigen, die nun einen Friedensprozess mit unseren russischen, ossetischen und abchasischen Nachbarn beginnen müssen“, sagt Mosiaschwili. „Wir müssen aus diesem Krieg unsere Lehren ziehen und wieder ganz von vorn anfangen.“ Doch solche Schritte sind knapp vier Wochen nach Ausbruch des Krieges noch lange nicht abzusehen.