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"Vieles spricht für eine Vergiftung"

Rodion Ebbighausen2. Mai 2016

Nach dem massenhaften Fischsterben vor der zentralvietnamesischen Küste sind die Ursachen noch ungeklärt. Im Interview mit der Deutschen Welle erläutert ein Meeresbiologe, welche infrage kommen.

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Vietnam Fischsterben Vergiftung toter Fisch am Strand
Bild: Getty Images/AFP

Deutsche Welle: Welche Ursachen kommen für so ein massives Fischsterben infrage?

Kim Detloff: Wenn so massive Todesfälle in der Tierwelt auftreten, dann liegen in der Regel Vergiftungen sehr nahe. Es gibt noch andere Möglichkeiten, etwa natürliche Algenblüten, Viruserkrankungen oder bakterielle Erkrankungen, vielleicht auch seismische Ereignisse wie Seebeben oder untermeerische Gasaustritte. Solche Ereignisse sind aber in der Regel örtlich einzugrenzen. Aber meinen Informationen zufolge ist ja ein ganzer Küstenabschnitt von 200 Kilometern betroffen. Das spricht eher für eine Vergiftung.

Wie lässt sich so ein Fall systematisch am besten aufklären?

Wichtig ist erst einmal, das örtlich einzugrenzen. Ich schaue mir das Artenspektrum an: Welche Fischarten sind eigentlich betroffen? Fische der Hochsee, der Küstengewässer oder sind vielleicht Arten dabei, die nur in einem bestimmten Gebiet vorkommen, wie sind die Strömungsverhältnisse, so dass ich am Ende weiß, wo ich eigentlich suchen muss. Wo kann die Quelle des Massensterben liegen?

Dann müssen die Tiere untersucht werden. Wenn Säugetiere oder Fische betroffen sind, dann lässt sich sehr gut die Todesursache feststellen. Gerade, wenn Nervengifte die Ursache sind oder auch Sauerstoffarmut. Das ist nachweisbar, wenn die Tiere nicht zu sehr verwest sind. Insofern drängt da auch etwas die Zeit.

Wie wichtig ist eine schnelle Aufklärung?

Das ist ein generelles Problem. Die Verdünnungseffekte laufen im Meer sehr schnell ab, so dass man häufig gar nicht mehr an die Quelle herankommt. Es bleibt dann unklar, wo genau das Gift eingetreten ist. Es gibt natürlich auch Abbauprozesse im Tierkörper, die ebenfalls relativ schnell stattfinden. Das ist zwar von Gift zu Gift verschieden, aber das ganze ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit.

Thomas Detloff
Meeresbiologe Kim Detloff von NABUBild: NABU

In den Medien war die Rede von einer "roten Flut" als möglicher Ursache. Was ist darunter zu verstehen?

Unter einer "roten Flut" versteht man ein explosionsartiges Algenwachstum. Rot sind die Algen typischerweise an den Küsten der USA, woher der Begriff stammt. Aber solche Algenblüten gibt es von verschiedenen Arten und auch in verschiedenen Formen. Sie entstehen in der Regel durch ein übermäßiges Nährstoffangebot im Meer. Das kann auch von Menschen verursacht werden, etwa durch Einleitung von Düngemitteln aus der Landwirtschaft. Bei einem guten Nährstoffangebot und hohen Wassertemperaturen kommt es dann häufig zu einem explosionsartigen Algenwachstum.

Das kann dann auf zweierlei Weisen problematisch sein. Einerseits muss ja die ganze Biomasse, die so entsteht, wieder abgebaut werden. Das bedeutet, wenn die sehr kurzlebigen Algen zum Meeresboden sinken, dann kommt es beim Abbau der Algen zu Sauerstoffmangel und eventuell zu einem Massensterben. Andererseits gibt es auch Algen, die selbst Gifte produzieren, die zu Lähmungserscheinungen bei Fischen oder auch Meeressäugern Vögeln führen können.

Handelt es sich in dem konkreten Fall denn um eine solche "rote Flut"?

Das ist schwer zu sagen. Eigentlich hätte eine Algenblüte, die so ein Massensterben zur Folge hat, im Vorfeld entdeckt werden müssen. Das hätte durch die Seeraumüberwachung oder die Schifffahrt bemerkt werden müssen, denn solche Algen entstehen in der Regel an der Wasseroberfläche. Das muss jetzt recherchiert werden. Gab es dazu Meldungen? Wenn nicht, muss man sich wohl von der Theorie der Algenblüte verabschieden.

Es gibt ja nun ein großes Industriegebiet in der Region. Auch wenn momentan dementiert wird, dass die Stahlindustrie verantwortlich ist, ist das schon naheliegend. Denn in der Stahlindustrie werden Aluminium- und Cyanidverbindungen und auch Schwermetalle eingesetzt, die sehr schnell zu solchen Fischmassensterben führen können. Hier sind jetzt die Behörden gefragt, wirklich auszuschließen, dass es zu einer Einleitung von chemischen Substanzen kam.

Wie plausibel sind virale oder bakterielle Erkrankungen oder seismische Ursachen?

Aquakulturen stehen im Verdacht, für Viren und bakterielle Erkrankungen verantwortlich zu sein, die dann auch auf Wildbestände übergehen. Dies ist aber in diesem Fall nicht die wahrscheinlichste Ursache, weil meines Wissen ganz viele unterschiedliche Arten betroffen sind. Viruserkrankungen beschränken sich in der Regel auf einige wenige Arten. Auch Beben und Gasaustritte sind nicht sehr wahrscheinlich. So etwas wäre im Vorfeld aufgezeichnet und bemerkt worden. Heute werden weltweit Beben genau registriert. Industrieabwässer und "rote Flut" sind die wahrscheinlichsten Ursachen.

Sehen Sie eine Gefährdung für Menschen, die den Fisch essen oder im Meer schwimmen?

Es ist bekannt, dass Strände in so einem Fall gesperrt werden und es zu einem Konsumverbot von Fischen und Meeresfrüchten kommt. Wenn Menschen diese Fische konsumieren und vor allem Muscheln essen, dann kann das auch für sie gefährlich werden. Insbesondere Muscheln sammeln Giftstoffe durch ihre Filtersysteme an und konzentrieren sie dadurch. Das müssen aber letztendlich die Behörden vor Ort entscheiden. Aber wenn so ein Massensterben auftritt und die Ursache unbekannt ist, dann ist man gut beraten, die Fischerei vorerst zu schließen, bis die Ursache geklärt ist.

Kann man schon jetzt etwas über die mittel- und langfristigen Folgen für das Ökosystem sagen?

Dafür ist es noch zu früh. Das kommt darauf an welche Arten, wie viele Tiere betroffen sind und was der Auslöser war.

Kim Detloff ist Meeresbiologe und Leiter der Abteilung für Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU).

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.