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Schach: Keymer auf dem Weg in die Weltspitze

Holger Hank
22. Februar 2021

Im Corona-Lockdown ist Schach auf einmal Trendsport. Deutschlands größtes Talent, der 16-jährige Schach-Großmeister Vincent Keymer, hat sich viel vorgenommen - sobald er sich wieder ans Brett setzen kann.

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Schach: Nachwuchstalent Vincent Keymer
Die Weltspitze im Blick: Vincent KeymerBild: picture-alliance/H. Rudel

Vincent Keymer wirkt nicht wie einer, der sich schnell vom Weg abbringen lässt - nicht durch den Corona-Lockdown, der auch den Schachsport eingebremst hat, und auch nicht durch die großen Erwartungen der deutschen Schach-Szene an den 16-jährigen Spieler. "Druck von außen war nie so das Problem für mich", erzählt der Schüler aus dem Örtchen Saulheim bei Mainz. "Wenn ich anfange, mich nach den Erwartungen der anderen zu richten, dann fehlt mir die Kontrolle über den eigenen Weg." 

Sieben Stunden gegen Magnus Carlsen

Das größte deutsche Schach-Talent seit 50 Jahren hat sich in den letzten Jahren Schritt für Schritt weiterentwickelt. Den ersten Großmeister hat Keymer schon mit zehn Jahren geschlagen. Mit 14 Jahren erspielte er sich den prestigeträchtigen Titel dann selbst - als bisher jüngster Deutscher. Da hatte er schon zum ersten Mal Weltmeister Magnus Carlsen am Brett gegenüber gesessen. Ostern 2019, bei einem Turnier, das von Keymers Sponsor veranstaltet wurde, war es in der ersten Runde soweit: "Am Anfang der Partie war ich schon nervös", erinnert sich Keymer an das Duell. Sieben Stunden rangen der Weltmeister aus Norwegen und das deutsche Nachwuchstalent miteinander. Am Ende einer spannenden Partie hatte der Champion die Nase vorne, aber der Schüler hatte bewiesen, dass er mit den Besten schon mithalten konnte.

Ob er selbst einmal in die Nähe des WM-Titels kommen kann? "Das ist schon noch sehr weit weg", sagt Keymer knapp zwei Jahre später und liefert auch gleich abgeklärt eine Analyse mit, woran er noch arbeiten muss: "Die Topspieler machen wenig Fehler und nutzen die Fehler ihrer Gegner ziemlich konsequent aus." Und da gibt noch etwas, das er bei den Spitzenleuten beobachtet hat: "Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wann eine Stellung gefährlich ist - und wann nicht." 

Grenke Chess Open 2018: Vincent Keymer- Richard Rapport
Konkurrenz-Beobachtung: Weltmeister Magnus Carlsen schaut Keymer (r.) 2018 über die SchulterBild: Grenke Chess Open 2018

Damit Keymer sein schon jetzt enormes Stellungsgefühl weiter verfeinern kann, wird er seit einigen Jahren von dem früheren WM-Finalisten Peter Leko aus Ungarn unterstützt. Eine Zusammenarbeit, die bisher gut funktioniert hat.

Schach statt Studium

Doch trotz der bisherige Erfolge: Der weitere Weg in Richtung Weltspitze des Schachsports wird für Vincent Keymer kein Spaziergang. Das liegt auch an der weltweiten Konkurrenz, die in seiner Altersklasse außergewöhnlich stark ist. Die Talente aus Indien, Iran oder Russland  gehen in seinem Alter meist nicht mehr zur Schule und konzentrieren sich schon komplett auf den Schachsport. International steht im Augenblick der in Frankreich lebende Iraner Alireza Firouzja im Mittelpunkt des Interesses, Firouzja ist ein Jahr älter als Keymer und wird schon als potenzieller WM-Kandidat gehandelt.

So weit ist Vincent Keymer noch nicht: Der junge Deutsche will im nächsten Jahr das Abitur machen (Leistungskurse: Mathematik, Englisch, Deutsch). Wie es danach weitergeht, steht aber schon fest: "Für mich ist klar, dass erst einmal ein paar Schach-Jahre kommen werden", so Keymer, "ich will sehen, wie weit ich mich entwickeln kann." Für den deutschen Schachsport ist das eine gute Nachricht: Denn in den letzten Jahren haben sich meisten deutsche Talente für ein Studium - und gegen ein Leben als Schach-Profi entschieden. Keymer dagegen will ab 2022 das traditionsreiche Denkspiel in Vollzeit betreiben.

Bis dahin muss auch der Schachsport erst einmal wieder aus der erzwungenen Corona-Pause herausfinden. Spielen kann Keymer derzeit fast nur online - meist mit kurzer Bedenkzeit. Für den jungen Spieler ist das nicht vergleichbar mit Schach am Brett: "Da kommt es auf einmal darauf an, welche Computer-Maus man hat, um möglichst schnell zu ziehen!" Auch dass er im Internet immer wieder gegen "Cheater" spielen muss, die unerlaubt mit Computer-Hilfe arbeiten, ärgert ihn: "Das ist mit der Zeit immer schlimmer geworden."

Nationalspieler Keymer?

DW-Interview mit dem deutschen Schachtalent Vincent Keymer (15.01.2021)
"Kontrolle über den eigenen Weg": Vincent Keymer beim DW-Interview Bild: Thomas Lemmer/DW

Der nächste sportliche Karriereschritt für Vincent Keymer dürfte die deutsche Schach-Nationalmannschaft sein. Dass die Stimme des 16-jährigen Talent im deutschen Schach schon jetzt Gewicht hat, wurde Ende 2020 deutlich: Keymer gehörte zu meist jungen Spitzenspielern, die in einem offenen Brief an den Deutschen Schachbund mehr Transparenz und bessere Kommunikation eingefordert und sogar die Abberufung des Bundestrainers verlangt hatten. Der langjährige Coach Dorian Rogozenco trat kurz darauf zurück.

2022 steht die nächste Mannschafts-WM im Schach an. Bei der "Schach-Olympiade" spielen Vierer-Teams aus der ganzen Welt gegeneinander. "Man hat ja nur wenig Einfluss darauf, wann man nominiert wird und wann nicht", so Keymer, "wann ich jetzt genau anfange, Nationalmannschaft zu spielen, ist nicht so wichtig, aber ich würde mich schon freuen."