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Erster Weltkrieg hautnah: der Kriegsfilm "1917"

Jochen Kürten
25. Dezember 2019

James-Bond-Regisseur Sam Mendes hat sich mit seinem neuen Film "1917" auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs begeben - visuell ist das eindrucksvoll. Wird das Spektakel dem Anspruch gerecht, den Krieg zu zeigen?

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Filmszene "1917", von Regisseur Sam Mendes
Bild: 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC.

Im kommenden Jahr wird überall des Endes des Zweiten Weltkriegs gedacht. Dazu werden auch unzählige Dokumentationen und auch einige Kinofilme beitragen. Doch bevor das Jahr 1945 im Fokus der Historiker und der Öffentlichkeit steht, dürfen sich die Kinozuschauer in aller Welt erst noch einmal mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen. Ein paar Tage vor Jahresende kommt der Kriegsfilm "1917" in die Lichtspielhäuser, zunächst in den USA, Indonesien und Israel, im Januar 2020 folgt dann der Rest der Welt. Deutschland ist am 16. Januar dran.

"1917" knüpft an eine lange Kino-Tradition an

Man kann nicht behaupten, dass der Krieg der Jahre 1914 bis 1918 bisher vom Kino vernachlässigt worden wäre. "Im Westen nichts Neues" von Regisseur Lewis Milestone nach dem berühmten gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque war eines der ersten, eindrucksvollen Beispiele dafür, wie das Kino mit dem Schrecken und dem Tod in den Schützengräben umgehen kann. Als Milestone seinen Film drehte, lag das Ende des Krieges gerade einmal zwölf Jahre zurück.

Filmszene "1917", von Regisseur Sam Mendes
Viele Szenen von "1917" spielen sich in den Schützengräben abBild: 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC.

In den 1930er Jahren fügte der Franzose Jean Renoir mit seinem nachdenklichen Film "Die große Illusion" (1937) dem Genre ein Meisterwerk hinzu. Stanley Kubricks Epos "Wege zum Ruhm" war zwanzig Jahre später ein weiterer Beweis dafür, dass große, künstlerisch ambitionierte Regisseure dem Grauen des Krieges mehr hinzufügen können als Nervenkitzel im Kinosessel und die Befriedigung von Actiongelüsten und Zerstreuung.

In den letzten Jahren dominierten französische Filme über den Weltkrieg

Jüngere Zuschauer werden sich dagegen eher an Filme aus Frankreich erinnern. In dem Land, in dem der Erste Weltkrieg als "La Grande Guerre" bezeichnet wird, entstanden besonders viele Werke über die Ereignisse der Jahre 14/18, viele mit versöhnlichem Gestus. "Mathilde - eine große Liebe" (2004), "Merry Christmas" (2005) oder "Frantz" (2016) sind nur ein paar Beispiele.

Im vergangenen Jahr erregte der neuseeländische Regisseur Peter Jackson mit der Restaurierung und Neu-Montage dokumentarischer Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg für seine Dokumentation "They Shall Not Grow Old" Aufsehen.

Sam Mendes britischer Schauspieler
Sam MendesBild: picture-alliance/dpa/F. Arrizabalaga

Nun also "1917"vom britischen Regisseur Sam Mendes. Geschildert wird eine Episode aus dem Jahre 1917: Auf dem Kontinent stehen sich britische und deutsche Einheiten auf dem Schlachtfeld gegenüber. Zwei britische Soldaten erhalten den Auftrag einer versprengten Division eine wichtige Nachricht zu überbringen. Davon hängt das Leben von 1600 britischen Soldaten ab. Auch das des Bruders des einen Boten.

"1917" ist auch Spannungskino pur

Das Problem: Die Kompagnie befindet sich tief im Feindesland, die Mission der beiden Soldaten gleicht einem Selbstmordkommando. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Schaffen es die beiden, das Leben ihrer Landsleute zu retten? Ist es überhaupt möglich, zu Fuß, nur mit einem Gewehr bewaffnet, die feindlichen Linien zu durchbrechen und die lebensrettende Nachricht zu überbringen? Die Grundidee von "1917" entspricht durchaus konventionellen Kino-Dramaturgien.  

Filmszene "1917", von Regisseur Sam Mendes
Apokalyptische Szenerie in "1917"Bild: 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC.

Was den Film heraushebt aus dem üblichen Einerlei von Kriegsfilmen, ist seine Machart. Von Regisseur Sam Mendes, der für sein Debüt "American Beauty" 2000 den Oscar gewann und der bei den letzten beiden James Bond-Streifen "Skyfall" und "Spectre" Regie führte, war allerdings auch keine hervorsehbare Kino-Konfektion zu erwarten.

Die Handlung von "1917" bildet in Echtzeit die im Film geschilderten Ereignisse ab, wurde chronologisch gedreht und wird von Produktion und Verleih als sogenanntes "One-Shot-Movie" beworben: Die Kamera begleitet die beiden Soldaten auf ihrer waghalsigen Mission durch die Schützengräben und Schlachtfelder ohne Unterbrechung.

Für die Macher von "1917" bedeutete die Umsetzung höchste Konzentration

Das setzte beim Drehen einige technische Finessen voraus. Es wurde mit Kameras, die auf speziellen Kränen und an Seilen befestigt waren, mit Drohnen sowie mit den modernsten Steadycam-Kameras gearbeitet. Das Ergebnis ist verblüffend, aus technischer Sicht auf jeden Fall eindrucksvoll. Der Zuschauer wird in die Handlung hineingesogen: "Gleich als ich mit Sam (Mendes, Anm. d. Red.) über die Idee sprach, den Film in einer Einstellung zu drehen, wussten wir, dass es wirklich eindringlich werden würde", sagt der im vergangenen Jahr mit einem Oscar ausgezeichnete Kameramann Roger Deakins.

Gedreht wurde nur draußen: auf Studioaufnahmen wurde bei "1917" verzichtet

USA Oscar-Verleihung 2018 | Beste Kamera Roger Deakins
Roger DeakinsBild: Reuters/L. Jackson

"Die Bewegung der Kamera und die Mechanismen müssen synchron sein mit dem, was die Schauspieler tun", kommentiert Regisseur Sam Mendes das filmische Konzept von "1917": "Wenn man das schafft, ist das wirklich wundervoll und berauschend." Auf Studioaufnahmen wurde konsequent verzichtet: "Der Film spielt nicht in Innenräumen, sondern an unendlich vielen Außenschauplätzen und kein Schauplatz wiederholt sich: Man bewegt sich konstant durch die Landschaft."

Die Zuschauer sollen ein "Gefühl" für die Leiden der Soldaten bekommen

Unterbrochen werden mussten die Dreharbeiten lediglich hin und wieder wegen des Wetters. Da man sich für einen Film "unter einer dichten Wolkendecke" entschied, ruhten die Dreharbeiten, wenn die Sonne herauskam: "Da wir chronologisch drehten, bei bewölktem Himmel, konnten wir nicht drehen, wenn die Sonne schien, wir hatten manchmal nur ein 5-Minuten-Fenster."

Die meisten Zuschauer dürften atemlos im Kinosessel verharren - "1917" entwickelt einen visuellen Sog: "Ich will, dass die Leute verstehen, wie schwierig die Lage für die Männer war", so Sam Mendes über die angestrebte Authentizität. "Man soll als Zuschauer das Gefühl haben, mit diesen Figuren im Schützengraben zu sein", ergänzt Pippa Harris, die u.a. für die Produktion von "1917" verantwortlich war.

Filmszene "1917", von Regisseur Sam Mendes
Jede Minute kann es zu Ende gehen - einer der beiden Hauptdarsteller: George MacKayBild: 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC.

"Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Film in Echtzeit erzählen sollte", so Sam Mendes: "Jeder Abschnitt der Reise, jeder Atemzug der Männer, erschien mir wesentlich." Es habe "keinen besseren Weg gegeben, diese Geschichte zu erzählen als in einer durchgehenden Aufnahme."

Ist Krieg auf der Leinwand und im Kino überhaupt darstellbar?

Bleibt die Frage: Ist Krieg, wo immer und zwischen wem er auch immer ausgefochten wird, überhaupt im Kino darstellbar? Darüber kann man streiten - und darüber streiten die Filmwissenschaftler und -historiker tatsächlich schon lange. Denn eines ist sicher: Filme über den Krieg, Gemetzel und Tod, Verstümmelung und grausame Schlachten - all das wird von den Zuschauer im warmen, weichen Kinosessel konsumiert. Da können diese Filme noch so virtuos und mit allen technischen Finessen in Szene gesetzt sein.

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