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Volkszählung mit Risiken

Rodion Ebbighausen30. März 2014

Der im März startende Zensus könnte dem Versöhnungsprozess im Vielvölkerstaat Myanmar mit seinen vielen ethnischen Gruppen schaden, fürchten Kritiker. Die Regierung hält trotzdem am ursprünglichen Zeitplan fest.

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Bild: picture alliance/dpa

Die Regierung Myanmars hat mit Unterstützung des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) vom 30. März bis 10. April 2014 einen umfassenden Zensus geplant, der neben Alter, Familienstand und Wohnort auch Themen wie Ethnizität und Religionszugehörigkeit abfragt. Für das Projekt sind 74 Millionen US-Dollar (rund 54 Millionen Euro) veranschlagt, die vom UNFPA und westlichen Geberländern, darunter Deutschland, bereitgestellt werden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, unterstützt das Projekt.

Der Zensus soll Ordnung schaffen. Er soll der Regierung verlässliche Zahlen geben, mit deren Hilfe sie Straßen, Schulen und Krankenhäuser planen kann. Doch Kritiker sind skeptisch. Sie zweifeln nicht an der Notwendigkeit einer Volkszählung für die staatliche Planung, sondern an der Umsetzung. Die Stiftung "Burma Centrum Nederland" (BCN) schreibt in einer Studie vom Februar 2014: "Der Zensus von 2014 wird im Land wahrscheinlich einschneidende ethnische und politische Grenzen ziehen."

Myanmar ist ein multiethnischer Staat mit mindestens 135 ethnischen Gruppen. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg verlief entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien: die überwiegend christlichen Karen kämpften ebenso für ihre Unabhängigkeit von der Zentralregierung wie die größte ethnische Minderheit der Shan, um nur einige zu nennen. Bis heute sind nicht alle Konflikte befriedet.

"Politische Waffe"

Ethnizität und Identität sind für die Menschen in Myanmar von zentraler Bedeutung, "weil es bis heute zum Teil gewalttätige Konflikte darüber gibt, welche Teile der Bevölkerung sich für die Staatsangehörigkeit und Bürgerrechte des Landes qualifizieren", so BCN. Mit anderen Worten hat unter Umständen nur derjenige Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung bzw. Anspruch auf Schutz, der der richtigen Ethnie angehört. Das Beispiel der Rohingya, die in Myanmar keine anerkannte Minderheit sind, zeigt, wie sehr nicht anerkannte Gruppen Repression und Verfolgung ausgesetzt sind. BCN kommt zu dem Schluss: "der Zensus wird als nicht-politisch bezeichnet, aber in politischen und ethnischen Gruppen ist er alles, nur nicht 'nicht-politisch'."

Friedensverhandlungen wie hier zwischen der Zentralregierung und der Kachin Independence Army sind langwierig
Friedensverhandlungen wie hier zwischen der Zentralregierung und der Kachin Independence Army sind langwierigBild: STR/AFP/Getty Images

Ethnizität an sich sei bereits hoch problematisch, so der Myanmar-Experte Hans-Bernd Zöllner. Der Haupteinwand gegen die geplante Volkszählung sei, dass "Ethnizität undifferenziert als 'gefrorene Kategorie' eingeführt wird." Doch welcher Ethnie gehört jemand an, dessen Mutter Shan und dessen Vater Bamar ist? "Die hochkomplexe ethnische Zusammensetzung Myanmars lässt sich mit technokratischen Kategorien kaum abbilden."

Die Karte zeigt die politische Gliederung Myanmars. Die Regionen wurden nach großen ethnischen Minderheiten benannt.
Die Karte zeigt die politische Gliederung Myanmars. Die Regionen wurden nach großen ethnischen Minderheiten benannt.

Trotz aller Schwierigkeiten bestehen allerdings auch die Minderheiten auf Fragen zu Ethnizität und Religion, da sie sonst fürchten, nicht repräsentiert zu sein. "Es gibt noch keine nationale Identität als Bürger Myanmars. Wenn die Minderheiten auf Ethnizität und Religion verzichten würden, dann würden sie die Zentralregierung als legitim anerkennen, was sie unter keinen Umständen wollen", sagt Zöllner im Interview mit der Deutschen Welle. Sein Fazit: "Ethnizität und Zahlen sind in Myanmar eine politische Waffe."

Eine politische Waffe, die seit dem letzten Zensus unter den Briten von 1931 zum Einsatz kommt. Die Langlebigkeit der Zahlen schüren die Ängste zusätzlich. "Das Zahlenwerk wird die Grundlage sein für das, was die Regierung in den nächsten Jahren macht."

"Nationaler Dialog"

Die Regierung und der beratende Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen (UNFPA) sind sich der Probleme bewusst. So wurde auf der Webseite von UNFPA ein "Census Unity Song" veröffentlicht, der das Verfahren und die Bedeutung des Zensus betont. UNFPA-Sprecher William A. Ryan erklärte gegenüber der Deutschen Welle: "Die Regierung hat sich mit den Führern der ethnischen Minderheiten zusammengesetzt, um deren Bedenken auszuräumen und die Vorteile des Zensus zu erläutern. Die Volkszählung soll nicht dazu benutzt werden, politische Grenzen zu ziehen. Es geht um einen nationalen Dialog und die Neudefinition ethnischer Kategorien. Die meisten Minderheiten werden teilnehmen, mit den anderen gehen die Gespräche weiter."

Eine Padaungfrau. Der Zensus geht von 135 ethnischen Gruppen in Myanmar aus.
Der Zensus geht von 135 ethnischen Gruppen in Myanmar aus. Hier eine Padaungfrau.Bild: Francois Xavier Marit/AFP/Getty Images

Der Zensus wird sogar von dem scharfen Regimekritiker Zarganar unterstützt, der als Zensus-Botschafter durch Myanmar reist. Auch der Erzbischof Charles Bo aus Yangon unterstützt den Zensus, mahnt aber zugleich Transparenz und Respekt vor den kulturellen Wurzeln aller ethnischen und religiösen Gruppen an.

Erste Ergebnisse, etwa über die Gesamtbevölkerung und das Durchschnittsalter sollen im Juli 2014 veröffentlicht werden, die Endergebnisse mit den konfliktgeladenen Fragen zur Ethnizität und Religion sollen im März 2015 veröffentlicht werden. Sie platzen damit in die entscheidenden Parlamentswahlen im gleichen Jahr, die den weiteren Weg des Landes maßgeblich bestimmen werden.