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Flüchtlinge und Arbeitsmarkt

Sabine Kinkartz, Berlin28. April 2015

Untätig zum Warten verdammt, das ist das Schicksal der meisten Asylbewerber in Deutschland. Selbst wenn sie Akademiker oder Fachkräfte sind. Vor allem die Wirtschaft will das ändern. Erste Modellprojekte im Praxistest.

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Ein Flüchtling mit Gehörschutz arbeitet in einem Ausbildungszentrum. (Foto: Felix Zahn/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/F. Zahn

Deutschland wird immer älter und den Unternehmen fehlt zunehmend der Nachwuchs. Zwar nimmt die Zahl der Erwerbstätigen ständig zu und soll in diesem Jahr den neuen Rekordwert von rund 43 Millionen erreichen. Trotzdem klagt die Wirtschaft über fehlende Fachkräfte. Auch Ausbildungsplätze können vielfach nicht mehr besetzt werden - vor allem in weniger attraktiven Branchen. Der Trend bereitet Sorge: Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung zeigt auf, dass die Zahl der potenziell Erwerbstätigen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um ein Drittel schrumpfen wird.

Auf der anderen Seite kommen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland. Viele von ihnen haben einen Beruf erlernt oder sogar studiert. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln sieht hier "großes Potenzial": Jeder fünfte Asylbewerber bringe einen Hochschulabschluss mit, jeder dritte habe eine Qualifikation, die der eines deutschen Facharbeiters entspreche.

Die Sprache ist das größte Hindernis

Jahrelang schien das niemanden zu interessieren, doch langsam bewegt sich etwas. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben Modellprojekte gestartet, um Flüchtlinge zu finden, die als Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden. Seit Oktober wurden auf diese Weise rund 8000 Menschen erfasst. Allerdings fehlt den Projekten das Geld für eine systematische Sprachausbildung der Flüchtlinge. Von den 8000 erfassten potenziellen Fachkräften sollen bislang nur 200 einen Sprachkurs absolviert haben.

Deutschkurs für Asylbewerber (Foto: Franziska Kraufmann/dpa )
Mehr Deutschkurse müssen finanziert werdenBild: picture-alliance/dpa

Das jedenfalls beklagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß. Die Modellversuche seien nicht ausreichend finanziert. Weiß stellte kürzlich ein Eckpunktepapier der Arbeitnehmergruppe in der Unions-Bundestagsfraktion vor: Darin wird "weitere finanzielle Unterstützung" sowohl für das BAMF, als auch für die Jobcenter vor Ort gefordert. Zudem müssten die Sprachkurse "qualifizierter, effizienter und arbeitsmarktorientierter" sein.

Niedersachsen ist Vorreiter

Dem Bundesland Niedersachsen reichen die Modellprojekte nicht aus. Die Niedersachsen haben ein eigenes Konzept auf die Beine gestellt. Sie wollen die Suche nach Fachkräften unter den ankommenden Flüchtlingen systematisch ausbauen. Flüchtlingen aus Herkunftsländern wie zum Beispiel Syrien sei wegen des Bürgerkriegs eine Rückkehr derzeit dauerhaft verwehrt, sagt Daniela Behrens, Staatssekretärin des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. "Diese Menschen sollen eine langfristige Perspektive auf Arbeit und Integration in die Gesellschaft bekommen, da sie aufgrund der anhaltend kritischen Situation in ihren Herkunftsländern voraussichtlich lange bei uns bleiben werden."

"Kompetenzen erkennen – gut ankommen in Niedersachsen" heißt das Projekt. Bereits "vom ersten Tag an" soll in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes festgestellt werden, über welche Qualifikationen die Flüchtlinge verfügen, welche Berufsabschlüsse, berufliche Erfahrungen und sprachliche Qualifikationen sie haben und ob sie für den Arbeitsmarkt geeignet sind. Vermittlungsfachkräfte der Agenturen für Arbeit sind dafür vor Ort eingesetzt. Die Ergebnisse sollen die Agenturen für Arbeit und Jobcenter vor Ort nutzen, sobald die Flüchtlinge in den Kommunen in ganz Niedersachsen ankommen. Hilfreich sind die Erkenntnisse etwa bei der Anerkennungsberatung von Abschlüssen, bei der Vermittlung in Jobs und Praktika oder in Sprachkurse.

Warten auf eine Arbeitserlaubnis

Die Bundesregierung hat den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber im Juli 2014 erleichtert. Asylbewerber dürfen jetzt nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis beantragen, zuvor betrug die Wartezeit neun Monate. Sich um Arbeit bemühen dürfen auch anerkannte Asylberechtigte und schutzbedürftige Flüchtlinge, sowie Personen, die als Geduldete länger als drei Monate in Deutschland leben.

Die Ausländerbehörde entscheidet über die Beschäftigungserlaubnis. Die Bundesagentur für Arbeit muss der Arbeitsaufnahme zustimmen und prüft zunächst, ob für die Arbeitsstelle auch ein deutscher oder EU-Arbeitnehmer in Betracht kommen würde. Ist dies nicht der Fall, wird die Zustimmung erteilt. Die Vorrangprüfung entfällt unter anderem, wenn Ausländer sich mindestens 15 Monate ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufhalten; wenn sie einen anerkannten ausländischen Hochschulabschluss besitzen und in einem Mangelberuf Anstellung finden.

Die Wirtschaft drängt

Dem Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft reicht das allerdings nicht aus. Michael Hüther fordert eine grundlegende Reform des Asylrechts. Bei der Prüfung der Asylanträge sollte demnach auch die Qualifikation der Flüchtlinge einfließen. Das ist bislang nicht der Fall. Asyl und Arbeitsmigration werden streng getrennt. So werden Asylbewerber abgelehnt und müssen Deutschland verlassen, auch wenn sie als Ingenieure und Facharbeiter aus Mangelberufen eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten würden. Diese muss aber im Ausland beantragt werden. Eine bürokratische Hürde, die nach Ansicht von Hüther unbedingt beseitigt werden muss.

Änderungen beim Asylrecht fordert auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Er sieht auch in den jungen Flüchtlingen großes Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt. Es mache keinen Sinn, wenn junge Flüchtlinge in Deutschland keine Ausbildung erhalten würden. "Unsere klare Forderung ist, denjenigen, die eine Ausbildung oder ein Studium hier machen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus das Angebot zu machen, auf Dauer in Deutschland zu bleiben." Sollten sie sich nach der Ausbildung dafür entscheiden, zurück in ihre Heimatländer zu gehen, dann sei das immerhin gut für diese Länder.

"Ruck-zuck integriert"

Noch einen Schritt weiter geht der Deutschlandchef des Zeitarbeitskonzerns Manpower, Herwarth Brune. Er fordert eine sofortige Arbeitserlaubnis für alle Asylbewerber. "Würden die Asylbewerber morgens zur Arbeit gehen und abends wieder zurückkommen, wären sie ruck, zuck integriert und ruck, zuck akzeptiert." Selbst wenn ein Asylbewerber nur für wenige Monate in Deutschland arbeite, sei das ein Gewinn für die Firmen, für die Staatskasse und für die Asylbewerber selbst. Deutschland vergeude Talente. "Wir sollten froh sein um jeden, der zu uns kommt."

Brune plädiert auch dafür, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu vereinfachen und Asylbewerber gezielt dort anzusiedeln, wo es freie Arbeitsstellen gibt. Stellen blieben vor allem unbesetzt, weil viele deutsche Arbeitslose nicht zur richtigen Zeit mit den richtigen Qualifikationen am richtigen Ort seien. Freie Stellen gebe es nicht nur für Akademiker, sondern beispielsweise auch für Gabelstaplerfahrer und Industriemechaniker: "Der größte Mangel besteht nicht bei Diplom-Ingenieuren, sondern bei den Facharbeitern."

Fehlende Papiere müssen kein Hindernis sein

Was aber, wenn Flüchtlinge keine Papiere bei sich haben und ihre Abschlusszeugnisse, Diplome oder Arbeitszeugnisse auch nicht nachträglich beschaffen können? In diesem Fall hilft die "Berufsanerkennung mit Qualifikationsanalyse", die das Bundesbildungsministerium auf den Weg gebracht hat. Mittels Arbeitsproben, Fachgesprächen oder -präsentationen sollen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten nachgewiesen werden können. Noch ist die Qualifikationsanalyse ein Modellprojekt. Unter dem Namen "Prototyping Transfer" wird das Verfahren in neun größeren Städten in Deutschland erprobt und vom Bundesbildungsministerium finanziell gefördert. Wenn es erfolgreich ist, könnte es ausgeweitet werden.