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Lévi-Strauss feiert 100. Geburtstag

Kersten Knipp27. November 2008

Der französische Ethnologe und Linguist Claude Lévi-Strauss erforschte die Kultur der Indianer im brasilianischen Amazonas-Gebiet. Seine Bücher machten ihn weltberühmt.

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Claude Lévi-StraussBild: dpa

1935 erhält ein junger französischer Philosoph einen Ruf an die Universität von São Paulo. 27 Jahre ist er alt und abgestoßen von der technisch ausgerichteten Zivilisation in der Alten und in der Neuen Welt. So unternimmt er einige Reisen ins Amazonasgebiet, wo Menschen, Indianer, leben, die mit der westlichen Welt noch kaum in Berührung gekommen sind. Nach welchen Prinzipien ordnen sie ihr Leben? Woran glauben sie, was war ihnen wertvoll, was achten und was ächten sie? Insbesondere widmete sich Lévi-Strauss den indianischen Mythen, die er in den folgenden Jahren auf verschiedenen Forschungsreisen erkundete.

Yanomami Indianer Amazonas Kinder
Bild: AP

Von ihnen brachte er erstaunliches Erkenntnisse mit: Bei der Untersuchung und tiefer gehenden Analyse der Mythen, erläuterte Lévi-Strauss, habe er immer das Gefühl gehabt, auf Geisteshaltungen und Denkweisen gestoßen zu sein, die es nicht nur bei denjenigen gebe, die man im Westen üblicherweise als „Wilde“ bezeichne, sondern auch bei in den modernen Gesellschaften selbst. In struktureller Hinsicht ähnelten sie den archaischen Gesellschaften sehr.

Jochen Hörisch: Theorie-Apotheke


Wildes Denken und traurige Tropen

Die Ergebnisse seiner Arbeit veröffentlichte Lévi-Strauss Jahre später – die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbrachte der jüdische Wissenschaftler überwiegend in New York – in zwei berühmt gewordenen Büchern: „Das wilde Denken“ aus dem Jahr 1955 und den „Traurigen Tropen“ aus dem Jahr 1962. Der Titel „Das Wilde Denken“ machte Furore – es bezeichnete eine Logik, die sich von der westlichen in einem Punkt stark unterscheidet: Sie ist weniger abstrakt, orientiert sich nicht an Prinzipien, von denen aus sie die Welt dann gliedert; vielmehr schaut sie auf die Phänomene der Welt und bildet ihre Prinzipien von dieser Grundlage aus.

Regenwald in Amazonas
Regenwald in BrasilienBild: AP

In seinem Werk „Traurige Tropen“ schildert Lévi-Strauss seine Erfahrungen im brasilianischen Urwald. Das Buch hat eine zivilisationskritische Note und stimmt einen bisweilen nostalgischen Ton an. Es spricht bereits von jener Zerstörung der Umwelt, die uns heute so zu schaffen macht. Natürlich sind von ihr auch die Ureinwohner betroffen, deren Kultur Lévi-Strauss als akut bedroht sieht. Und die ganz zu Unrecht als der westlichen Kultur unterlegen gälte. In den „Traurigen Tropen“ versucht Lévi-Strauss nicht zuletzt dieses: die westlichen Leser für eine fremde Kultur zu sensibilisieren.

Universale Prinzipien des Denkens

Lévi-Strauss war der Überzeugung, dass archaische Gesellschaften den westlichen darin überlegen seien, dass sie die Verwobenheit mit Natur viel stärker empfänden und dieses Bewusstsein auch in ihr Denken und ihr tägliches Leben einfließen ließen.

Zugleich aber beobachtet Lévi-Strauss in den so genannten primitiven“ Gesellschaften Prinzipien, die auch in der westlichen Zivilisation gelten. Das Inzestverbot etwa, die Verwandtschaftsverhältnisse, oder das Denken in Gegensatzpaaren wie etwa „heiß – kalt“ oder „gut – schlecht“ gelten in nahezu Gesellschaft dieses Welt, weshalb Lévi-Strauss von „universalen Prinzipien des Denkens“ spricht. So gesehen, sind sich die Menschen ähnlicher, als sie selbst es glauben. Und doch, meinte Lévi-Strauss, zeichne sich die Menschheit bei aller Ähnlichkeit der grundlegenden Strukturen durch eine wunderbare Vielfalt aus.

„Reichtum und Schönheit der Menschheit“, äußerte er einmal, „liegen in der Vielfalt von Glaube und Brauchtum, von literarischen und ästhetischen Ausdrucksformen, die die Menschen hervorgebracht haben. Und ich sehe mit eigenen Augen, wie diese Vielfalt verschwindet. Ich tröste mich, soweit das möglich ist, indem ich mir sage, es liegt tief in der Natur der Menschheit, Unterschiede hervorzubringen.“

Vater des Strukturalismus

Seit den 50er Jahren lehrte Lévi-Strauss in Paris. Er war eine der zentralen Repräsentanten des so genannten „Strukturalismus“, einer weniger mit inhaltlichen als mit formalen Kriterien arbeitenden Deutung der menschlichen Kultur. Aber Lévi-Strauss übte nicht nur als Ethnologe, sondern auch als Linguist erheblichen Einfluss aus. An den deutschen Universitäten wurden seine Werke sehr aufmerksam wahrgenommen; bis heute ist ihre Lektüre in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen Pflicht. Eine solche wissenschaftliche Aktivität scheint hohem Alter förderlich: Am 28. November 2008 feiert Lévi-Strauss seinen 100. Geburtstag.