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Von der Leyen: Wir brauchen die Drohne

Nina Werkhäuser6. Juni 2015

Abschreckung Russlands, Seenotrettung von Flüchtlingen und Baustelle Bundeswehr: "Wir arbeiten an einer Trendwende", sagt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Interview mit der Deutschen Welle.

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Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin (Foto: dpa/picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Deutsche Welle: Welches Signal soll von den bevorstehenden NATO-Übungen an Russland ausgehen?

Ursula von der Leyen: Dass die NATO immer noch das stärkste politische und militärische Bündnis auf der Welt ist. Und dieses starke Defensivbündnis reagiert angemessen, reaktionsschnell und vor allem einig auf die neue Sicherheitslage.

Stichwort reaktionsschnell: Wie schnell könnte die neue Speerspitze der NATO, in der Deutschland ja eine wichtige Rolle spielt, im Ernstfall verlegt werden?

Ziel ist, mit den ersten Kräften in 48 bis 72 Stunden einsatzfähig zu sein. Wir testen in diesem Jahr, was es braucht, damit die schnelle Speerspitze diese Anforderungen auch erfüllen kann. Das ist ein Lernprozess, bei dem Deutschland mit Norwegen und den Niederlanden voran geht.

Wie gut ist die NATO insgesamt vorbereitet für den möglichen Ernstfall einer russischen Aggression?

Weil wir gut vorbereitet sind, wird es eine solche Aggression nicht geben. Das ist ja das Paradoxon von Abschreckung. Die NATO ist ein mächtiges defensives Bündnis mit einem starken politischen Arm, weil wir der Überzeugung sind, dass Auseinandersetzungen am Verhandlungstisch geregelt werden sollten.

Dennoch: Was muss die NATO noch tun, um sich auf die aktuelle Sicherheitslage optimal einzustellen?

Um schneller reagieren zu können, müssen wir uns besser aufeinander abstimmen. Das war in der Vergangenheit, als längere Reaktionszeiten von 30 bis 180 Tagen galten, nicht in dem Maße notwendig. Genau deswegen proben wir jetzt so intensiv.

Russland zieht in jüngster Zeit häufig Truppen an der Grenze zu NATO-Mitgliedsstaaten zusammen, die NATO zeigt ebenfalls Stärke mit Manövern und Übungen. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die sicherheitspolitische Lage in Europa ein?

Die NATO-Übungen, etwa die Luftraumüberwachung in den baltischen Staaten, dienen auch dazu, unseren NATO-Mitgliedern an den Grenzen zu zeigen, dass wir unverrückbar alle füreinander einstehen. Sie haben auch die Funktion, das Vertrauen zu festigen und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu stärken. Die sicherheitspolitische Lage in Europa ist durch die Ereignisse in der Ukraine, durch die Annexion der Krim und den hybriden Krieg in der Ostukraine sicherlich angespannter. Aber wir tun auch auf Ebene der Europäischen Union alles dafür, angemessen zu reagieren mit politischen und ökonomischen Antworten. Wir hängen in Europa so stark voneinander ab, dass man nicht einfach internationales Recht durch militärische Intervention brechen kann. Konflikte müssen am Verhandlungstisch gelöst werden.

Bundeswehr, Panzer Leopard 2A5 (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: A. Koerner/Getty Images

In dieser Situation überprüft auch die Bundeswehr ihre Ausrüstung mit Großgerät. Reicht die bisherige Ausstattung?

Die Bundeswehr hat in den letzten 25 Jahren sehr stark investiert in die Auslandseinsätze, hat aber zu Hause von der Armee der Einheit kommend über die Abschaffung der Wehrpflicht bis heute einen Schrumpfungsprozess mitgemacht. Das hat beim Personal, beim Material und im Budget Spuren hinterlassen. Wir arbeiten jetzt an einer Trendwende, die wieder über viele Jahre gehen muss. Das betrifft sowohl ein modernes Personalmanagement als auch den Materialerhalt und die Ausrüstung mit neuem, modernem Gerät. In allen drei Kategorien gibt es erheblichen Modernisierungsbedarf, und daran arbeiten wir mit Hochdruck. Das ist nicht immer einfach, das sind nicht immer gute Nachrichten. Aber es führt kein Weg daran vorbei, die Probleme offenzulegen und konsequent anzugehen.

Wie sieht es bei den Kampfpanzern aus?

Bei den Kampfpanzern beenden wir den Schrumpfungsprozess und statten die Truppe wieder soweit mit Panzern aus, dass die über die Jahre entstandenen hohlen Strukturen Schritt für Schritt aufgefüllt werden. Panzer, die wir noch haben, werden nicht mehr weggegeben oder ausgemustert. Wir haben vor einigen Wochen beschlossen, die Obergrenze bei den Kampfpanzern auf 328 anzuheben.

Sie haben zusammen mit Frankreich die Entwicklung einer europäischen Aufklärungsdrohne angestoßen. Wozu braucht Europa eine eigene Drohne?

Ich halte es für extrem wichtig, sowohl für die Verteidigungsfähigkeit als auch für die zivile Technologie-Entwicklung, dass Europa auf diesem Feld nicht von anderen Mächten abhängig ist. Andernfalls hätten wie niemals die Hoheit darüber, was wir aufklären wollen, sondern müssten uns auf fremde Bilder und Informationen verlassen. Diese Abhängigkeit wollen wir beenden. Zweitens würden wir eine riesige Chance für die zivile Luftfahrt verpassen, wenn Europa nicht in der Lage wäre, in den rasant wachsenden Markt der unbemannten Luftfahrt einzusteigen.

Noch eine Frage zu einem Auslandseinsatz: Wie geht es weiter mit dem Einsatz der Marine, die im Mittelmeer Flüchtlinge rettet?

Bis zum heutigen Tag sind mehr als 2000 Flüchtlinge gerettet worden. Man muss wissen, dass die Marine nicht für Seenotrettungseinsätze dieser Größenordnung geübt war. Deswegen bin ich voller Respekt für das, was die Truppe in kürzester Zeit geleistet hat. Das ist und bleibt unsere vornehmste Aufgabe, die wir auch fortsetzen werden.

Daneben gilt es, die Netzwerke der Schleuser und Schlepper zu identifizieren. Wir haben mit den beiden Schiffen auch Aufklärungsfähigkeiten in dem Raum. Sie suchen heute bereits aktiv nach Flüchtlingsbooten, um Menschen zu retten. Wir können diese Fähigkeit auch einsetzen, um im selben Seegebiet Wissen darüber zu sammeln, wie die Schleusernetzwerke operieren. In libyschen Hoheitsgewässern oder potenziell an Land wäre das jedoch deutlich schwieriger. Hier müssen noch viele rechtliche und praktische Fragen geklärt werden. Es braucht eine Einladung der libyschen Regierung, es braucht eine UN-Resolution und so weiter. Die EU arbeitet daran.

Klar ist aber auch: Die Hauptursachen der Flucht - Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit - können nie mit einer Militärmission beseitigt werden. Da braucht es viel mehr. Langfristige Lösungen erfordern Entwicklungszusammenarbeit und politische Stabilisierung in den Ländern selbst. Deshalb ist es gut, dass dieses Thema auf dem G7-Gipfel oberste Priorität hat.

Das Interview führte Nina Werkhäuser.