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Von der Macht der Prognose

Daniel Wortmann26. November 2002

„Self-fulfilling“ oder „self-destroying“: wirtschaftliche Prognosen verstärken vorhandene Trends, können aber auch Aufbruchsstimmung erzeugen. Gerade in Extremsituationen verläuft das Wirtschaftsleben nur wenig rational.

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Unter dem Einfluss der Psychologie: Konjunktur und WeltwirtschaftBild: Bilderbox

"Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie", hieß es bei Ludwig Erhard, dem Vater des Wirtschaftswunders. Daran hat sich seit den 60er Jahren nicht viel geändert. "Psychologische Faktoren haben in der Wirtschaft schon immer eine Rolle gespielt", erklärt Günter Wiswede, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln. In Zeiten besonders positiver oder negativer Entwicklungen sei das tatsächliche Verhalten der Marktteilnehmer "meist weit von jeglicher Rationalität entfernt."

Die regelmäßigen Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute gehören zu den Veröffentlichungen, die den Markt psychologisch beeinflussen. Gerade bei angespannter Wirtschaftslage können sie sich entscheidend auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Wirtschaftswissenschaftler kennen in diesem Zusammenhang eine Reihe unterschiedlicher Phänomene.

Prognosen verstärken den Trend

Auf der einen Seite steht die "self-fulfilling prophecy". Dabei wird angenommen, dass die einzelnen Marktteilnehmer allein mit ihrer Reaktion auf die Prognose dafür Sorge tragen, dass die Vorhersage eintrifft. So könnte eine Konjunkturprognose, die eine Rezession ankündigt, den Abwärtstrend verstärken. "Aufgrund der negativen Zukunftsaussichten schränken die Verbraucher ihren Konsum ein und die Unternehmen investieren nicht mehr. Am Ende gibt es tatsächlich eine Rezession." schildert Dr. Wolfgang Nierhaus, Konjunkturexperte beim Wirtschaftsforschungsinstitut ifo in München, diese Theorie. Die Prophezeiung hat sich somit selbst erfüllt.

Doch eine solche Prognose kann auch positive Effekte haben. Dazu gehört etwa die Theorie der "self-destroying prophecy", nach der die vorhergesagte Entwicklung letztlich nicht eintritt. "Ein solches Phänomen ist denkbar, wenn beispielsweise die Wirtschaftspolitik mit geeigneten Gegenmaßnahmen auf die pessimistische Vorhersage reagiert", so Volkswirt Nierhaus. Dank der geänderten Rahmenbedingungen tritt das vorhergesagte Szenario nicht ein.

Kaum auslösende Wirkung

Wirtschaftspsychologe Wiswede gibt jedoch zu bedenken, dass Prognosen grundsätzlich nur vorhandene Tendenzen verstärken, nicht aber selbstständig neue Entwicklungen auslösen. "Die Wirkung hängt natürlich von der Glaubwürdigkeit der einzelnen Institute ab. Insgesamt bleibt der auslösende Effekt jedoch gering," so Wiswede.

Auch die Akteure auf der politischen Bühne beeinflussen mit ihren Aussagen das Wirtschaftsgeschehen. Als illustres Beispiel dient hier etwa der Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, dessen Aussagen den weltweiten Finanzmärkten oft entscheidende Impulse geben. "Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass auch die Europäische Zentralbank von verschiedenen Seiten dazu aufgefordert wird, auf ähnliche Weise in das Wirtschaftsleben einzugreifen," bemerkt ifo-Experte Nierhaus.

Ein Wort als Konjunkturindikator

Den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Medien und der allgemeinen Wirtschaftslage beobachtet indes schon seit den 80er Jahren das Wirtschaftsmagazin The Economist. Der so genannte "R-word index" beziffert dabei die Häufigkeit, mit der Zeitungen und Zeitschriften das Wort "Recession" benutzen. Tatsächlich bildet dieser Index erstaunlich genau die Verläufe der Konjunkturzyklen in Großbritannien und den USA ab. Auch hier ist eine Verstärkung tatsächlicher wirtschaftlicher Tendenzen durch psychologische Faktoren denkbar.

Wenn also die Psychologie eine solche Wirkung auf wirtschaftliche Zusammenhänge hat, bleibt die Frage, wie die einzelnen Marktteilnehmer ihr Verhalten ändern sollten, um den gegenwärtigen Negativtrend umzukehren. Prof. Wiswede von der Universität zu Köln plädiert hierbei schlicht für ein positiveres Denken: "Wir müssen uns von der Neigung lösen, immer nur die negativen Dinge wahrzunehmen. Politiker, Ökonomen und Journalisten sollten positive Nachrichten nicht unterschlagen. Nur durch diesen Optimismus können wir aus dem vorhandenen Teufelskreis ausbrechen." Sprich: eine "self-fulfilling prophecy".