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Von Sr. Dr. Aurelia Spendel OP, Augsburg

5. November 2011

Herbstarrangement

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Schwester Aurelia Spendel
Schwester Aurelia SpendelBild: Aurelia Spendel

Liebe Hörerinnen und Hörer,

Vor ein paar Tagen haben katholische Gläubige das Fest Allerheiligen und den Gedenktag Allerseelen gefeiert. Beim traditionellen Besuch der Gräber wurde manchem und mancher auf den Friedhöfen dabei bewusst, dass der Herbst sich endgültig seinem Ende zuneigt, so golden er auch war. Selbst wenn herrliche Sonnentage den Abschied von bunten Blättern, Erntekörben und Spaziergängen ohne Handschuhe und Winterstiefel versüßten, wehen die Winde nun rauer und die frühe Dunkelheit drückt. Die Natur verabschiedet sich. Sie zieht Licht und Wärme zurück, wird Blühen und Reifen bald hinter der Kargheit des Winters verbergen.

Gab es in Ihrem, gibt es in meinem Leben auch solche Zeiten des Rückzugs: graue Tage, an denen das Leben rückwärts schaut und sich ins Innere der Seele zurück zieht. Wo hält sich meine Lebenslust dann auf, wohin verkriecht sich meine Lebensfülle?

Ja, in meinem Leben gab es solche Zeiten und es waren beileibe keine kuscheligen Wochen und Monate. Abschiede von mir wichtigen Menschen gehörten dort hinein, Phasen beruflicher Stagnation, zerbrechender Beziehungen oder spiritueller Langeweile. Die Glücksmomente vergangener Jahre verblassten. Ich konnte kaum glauben, dass sich das Blatt wenden und alles neu und wieder gut werden würde.

Und doch: Es kamen wieder andere Zeiten. Vieles wurde gut und einiges sogar besser, als es vorher gewesen war. Neben das Alte traten neue Erfahrungen, neue Menschen, neue Horizonte und neue Zuversicht. Ist das der Weg, auf dem wir Menschen das Leben lernen zu leben? Werden wir auf diese Weise reif, achtsam, barmherzig mit uns und mit anderen? Wächst uns so jene Weisheit zu, die süßer ist als Wein und notwendiger als Brot?

Wenn ich hinein höre in den Evangelientext, der an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten gelesen wird, finde ich meine eigenen Erfahrungen vom Hineinwachsen in die Weisheit des Lebens wieder. Und auch die vom darauf warten müssen. In diesem Text stellen sich zehn junge Frauen auf das Leben ein, das zu ihnen kommen soll in der Gestalt eines Bräutigams. Sie sind offen für das Leben, aber es will sich nicht zeigen. Über ihrem Warten wird es Nacht, die zehn Frauen werden müde und schlafen ein. Als es endlich doch so weit ist und der Bräutigam kommt, haben fünf von ihnen kein Öl mehr für ihre Lampen. Nur die anderen, die einen Ölvorrat mitgebracht haben, können mit dem Bräutigam den Weg zur Hochzeit fortsetzen.

An diesem Text lerne ich, wie wichtig es ist, Lebens-Proviant zu haben, um die Zeiten der Nacht durchstehen zu können. Ich lerne, wie erfolgreich es ist, etwas auszuhalten, Schwierigkeiten und Enttäuschungen durchzustehen, vor der Dunkelheit nicht zu kapitulieren, auch wenn mich der Schlaf der Mutlosigkeit zu überwältigen droht.

Zugleich spüre ich, dass meine persönlichen Erfahrungen aufgehoben sind in einem größeren Zusammenhang. Längst vor mir haben Menschen erlebt, was es heißt, die eigene, kleine Welt untergehen zu sehen, loslassen zu müssen oder mühsam um neue Orientierung zu ringen.

Mehr noch: Ich spüre, dass ich mich nicht nur wiederfinde in einem allgemeinen „Großen Ganzen“, sondern dass hinter diesem Zusammenhang aller menschlichen Geschichte mehr steckt – ein Gegenüber, das mich kennt und dem mein Leben nicht gleichgültig ist.

Diese Erfahrung lässt mich zur Ruhe kommen. Ich lerne, einverstanden zu sein mit einem zeitweiligen Rückzug des Lebens. In mir wächst die Geduld, nur da zu sein, gelassen zu sein und zu gehen zu lassen, was ausgelebt ist. Das Leben darf leiser werden. Es darf sich verbergen im Schutz stiller Tage, um sich behutsam zu erneuern.

Mit dem Bild der klugen, jungen Frauen, die sich zur rechten Zeit um das Öl für ihre Lebenslampen bemühten, wünsche ich Ihnen gute Spätherbsttage.

Ich wünsche Ihnen Freude daran, dass der Gott des Lebens dabei mit im Spiel ist und dass er Ihnen und mir seine Verheißungen des Lebens immer wieder neu anbietet.

Ich wünsche Ihnen in diesem Sinn einen gesegneten Lebens-Sonntag.