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Weihnachtsansprache

25. Dezember 2011

Die Erfahrung Seiner Nähe

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Weihbischof Dr. Heiner Koch, Erzbistum Köln
Bild: Dr. Silvia Becker

Gott kommt für viele Menschen in ihrer Welt nicht mehr vor: die Einen sind ihm gegen­über gleichgültig, die Anderen verzweifeln an seiner Unbegreiflichkeit, die Dritten ver­bleiben theoretisch agnostisch, praktisch aber atheistisch, die Vierten sind überzeugt: es gibt keinen Gott.

Vielleicht liegt in dieser Verabschiedung vieler Menschen von Gott die Krankheit begründet, die amerikanische Wissenschaftler mit dem Namen "Weihnachtsdepression" bezeichnen. Gerade an Weihnachten spüren viele Menschen, wie unerfüllt, fried- und sinnlos oder wie vereinsamt ihr Leben verläuft. Um diese Grundstimmung zu über­decken, setzt bei vielen Menschen geradezu eine Fluchtbewegung ein, um die Leere des freudlos gewordenen Festes zu überbrücken: Die einen fliehen auf südliche Inseln, die anderen in einen Kauf- und Konsumrausch und wieder andere schließlich in einen Besuchsstress. Manche aber können und wollen die grundlegende Freud- und Trost­losigkeit ihres Lebens ohne Gott nicht billig überspielen, die der französische Philosoph Jean Paul Sartre einmal in eindrückliche Worte fasste: "Das Leben des Menschen ist wie ein dunkler Kahn auf dem dunklen Meer unter einem dunklen Himmel mit einem Steuermann an Bord, der blind und taub ist."

Diesem trostlosen Bild gegenüber verkündet das Weihnachtsevangelium den Menschen die Nähe Gottes mitten in ihren Ängsten und in ihren Nöten. Gott lässt uns Menschen nie allein. Schon für uns Menschen gilt: Wenn ich einen anderen wirklich von Herzen liebe, möchte ich vieles in seinem Leben mit ihm teilen, mich mit ihm freuen und mit ihm leiden. Gott aber ist die vollkommene Liebe. Deshalb teilt er aus dieser Liebe heraus mit uns unser Leben in allen Höhen und Tiefen, wie es das Weihnachts­evangelium zeigt: Die Macht der Herrscher zwingt seine Mutter, Jesus fern der Heimat zur Welt zu bringen. Als Kind erlebt er die Ohnmacht, die Heimatlosigkeit und Ungeborgenheit vieler und schon bald wird er, wie viele Flüchtlinge unserer Tage, auf der Flucht sein vor den Machthabern dieser Welt. Welche Liebe zu uns zeigt sich in der Menschwerdung Gottes! Er teilt all unsere Nöte! Wie bewährt sich diese Liebe schließ­lich in Jesu Leben und Sterben: er lässt uns Menschen auch im Tod nicht allein! Diese Liebe Gottes ist der Grund unserer Hoffnung mitten in allen Nöten, Dunkelheiten und Trostlosigkeiten in dieser Welt: Gott lässt uns nie im Stich, er bleibt uns nahe im Leben und im Sterben.

Sind dies alles nur schöne Worte oder ist diese Nähe Gottes erfahrbare Realität unseres Lebens? Wenn Gott wirklich in unserem Leben für uns da ist, wie können wir ihn dann in unserem Leben wahrnehmen und spüren, dass er nie aufhört, uns zu tragen, dass er uns nie fallen lässt?

Die Hirten, die als erste mitten in der Realität ihres Lebens Gott in dem Kind in der Krippe fanden, können uns mit ihren Erfahrungen Antworten auf diese Frage weisen:

Sie gehörten aus religiös-rituellen und aus sozialen Gründen zu den oft verachteten Menschen, auch sie waren die Armen, die Jesus später selig preisen wird. In ihrer Armut machten sie sich auf den Weg zur Krippe und zeigen uns den Weg zu Gott: Mit all unserer Armut, unserer Ohnmacht, unseren Grenzen, unseren Nöten und Sorgen uns Gott anvertrauen, uns ihm überlassen, uns Gott zumuten, Gott mit unserem Vertrauen belasten.

· Die Hirten sind offen für Überraschendes, sie richten ihren Blick nach oben. Gott wird nur der erkennen, der immer wieder seinen Blick nach oben, zu Gott hinreißt, sein Leben nicht begrenzt auf die Dimension der irdischen Wirklichkeit, der Himm­lisches in seinem Leben für möglich hält, der Gott zutraut, dass er in unserem Leben manchmal völlig überraschend wirkend gegenwärtig ist.

· Die Hirten sind bereit zum Aufbruch. Sie bleiben nicht apathisch sitzen. Sie folgen den Worten der Engel und machen sich auf den Weg nach Bethlehem. Den leben­digen Gott wird nur der erfahren, der los-fährt, der es wagt, Gott beim Wort zu nehmen, der mit diesem Gott in seinem Alltag lebt.

· Die Hirten begegnen schließlich der Göttlichkeit des Kindes in der Krippe, indem sie niederknien und es anbeten. Der anbetende Mensch hält Gott seine offenen Hände und sein leeres Herz voll Vertrauen hin und bekennt: Von dir, Gott, lebe ich ganz und gar. Es wäre so segensvoll, wenn auch an diesem Weihnachtsfest Christen sich die Zeit nähmen, um vor dem Kind in der Krippe niederzuknien, es anzubeten und Gott die Ehre zu geben: „Ehre sei Gott in der Höhe“! (Lk 2,14).

Ich wünsche Ihnen die Offenheit für Gott in Ihrem Leben. Geben Sie Gott mit viel Vertrauen die Chance, in Ihrem Leben zu wirken! Lassen Sie Gott in Ihrem Leben zu! Wagen Sie, mit Gott zu leben. Ich wünsche Ihnen dann die Erfahrung seiner Nähe und so ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Redaktionelle Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Hörfunkbeauftragte der katholischen Kirche