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Gesamtdeutscher Bundestag

20. Dezember 2010

Am 20. Dezember 1990 trat das erste aus freien Wahlen hervorgegangene gesamtdeutsche Parlament seit 1932 zusammen. Die Union aus CDU und CSU hatte mit Kanzler Helmut Kohl als Spitzenkandidat die Wahl überlegen gewonnen.

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Blick in den Berliner Reichstag zur 1. Sitzung des gesamtdeutschen Parlaments - noch vor dem Umbau (Foto: dpa)
Im Berliner Reichstag - noch vor dem UmbauBild: picture alliance/dpa

Seit dem Beginn der Währungs– und Wirtschaftsunion am 1. Juni 1990 hatten CDU und CSU in den Umfragen gegenüber der SPD und ihrem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine stetig aufgeholt. Im Stammland der deutschen Sozialdemokraten, wo Ende des 19. Jahrhunderts ihr Gründungparteitag stattgefunden hatte, liefen die Wähler zum amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl über. Für den ehemaligen Außenminister der DDR, Markus Meckel, war das keine Überraschung, "denn die Menschen hofften auf die Bundesregierung."

Stimmungswandel

Oskar Lafontaine plädierte für eine langsamere und vor allem anders finanzierte deutsche Einheit als Helmut Kohl. Der Bundeskanzler machte sich im Wahlkampf für einen sofortigen Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten stark. Als der am 3. Oktober 1990 Realität wurde, kannte die Popularität Kohls in Ostdeutschland keine Grenzen mehr. Wahlveranstaltungen vor mehr als 150.000 Besuchern waren keine Seltenheit.

Bundeskanzler Helmut Kohl winkt bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Erfurter Domplatz der Menschenmenge zu. (Foto:dpa)
Wahlkampf wie es ihn noch nie in Deutschland gegeben hat. Bundeskanzler Helmut Kohl hat - wie hier in Erfurt im Februar 1990 - bis zu 300.000 Besucher, Oskar Lafontaine erreicht ebenfalls Hunderttausende.Bild: picture alliance/dpa

Als am Abend des 2. Dezember 1990 die Stimmen der ersten Bundestagswahl im wiedervereinten Deutschland ausgezählt wurden, hatte Helmut Kohl trotz leichter Verluste einen haushohen Sieg für die Union eingefahren. Die SPD landete mit 33,5 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz, während die Liberalen mit elf Prozent ein gutes Ergebnis erzielten.

Bei dieser ersten gesamtdeutschen Wahl galt die Besonderheit, dass eine Partei lediglich in einem der beiden deutschen Staaten über die 5-Prozent-Hürde kommen musste, um im Bundestag vertreten zu sein. Deshalb konnte die SED-Nachfolgepartei PDS ebenso Parlamentarier in den Bundestag entsenden wie Bündnis90/Die Grünen, ein Verbund aus den DDR-Bürgerbewegungen und den westdeutschen Grünen.

Portrait des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und früheren Außenministers der DDR (Foto:dpa)
Markus Meckel, ehemaliger DDR-Außenminister:"Es galt, den Aufbau Ost voranzutreiben."Bild: picture-alliance / dpa

DDR-Oppositionelle in allen Parteien

In allen Parteien saßen Mitglieder der DDR-Bürgerrechtsbewegung und anderer Oppositionsgruppen. So auch der Brandenburger Pfarrer und SPD-Abgeordnete Markus Meckel, der in den letzten Monaten der DDR als Außenminister den "2 plus 4"-Prozess mit seinem westdeutschen Kollegen Hans-Dietrich Genscher verantwortet hatte. Er erinnert sich gut an die Stimmung während der konstituierenden Sitzung des Bundestags am 20. Dezember 1990: "Das war für mich sehr bewegend, wenige Meter von der Mauer entfernt. Ich hatte aber auch den festen Willen, in der Politik die deutsche Einheit gesellschaftlich und mental zu verwirklichen."

Organisation der deutschen Einheit

Aber so groß die Freude über die staatliche Einheit auch war, der Jubel dieses 20. Dezember 1990 konnte über die schwierigen Aufgaben nicht hinwegtäuschen, die vor den Abgeordneten lagen. Wie sollte die Einheit organisiert werden? Wie konnten die Lebensverhältnisse zwischen Ost und West so angeglichen werden, dass die Ostdeutschen nicht mehr ihre Heimat verlassen würden? Welche Rolle sollte das vereinte Deutschland in Europa und der Welt spielen?

Für Markus Meckel waren die außenpolitischen Aspekte auch nach der deutschen Einheit zentrales politisches Anliegen. Die Integration des vereinigten Deutschland in die Europäische Union und die Erweiterung der EU in den folgenden Jahren sind für ihn Meilensteine.

In Deutschland herrschte Ende 1990 Aufbruchstimmung, obwohl niemand wusste, wie sich der Prozess der deutschen Einheit gestalten würde. Es gab keine Vorlage, von der man hätte lernen können, und niemand hatte einen Plan in der Schublade, der den Einheitsprozess skizzierte. Die Deutschen betraten Neuland, als sie daran gingen, aus zwei Ländern wieder eines zu machen.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Hartmut Lüning