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Erhards Israel-Dilemma

Bettina Marx12. Mai 2015

Am 12. Mai 1965 nahmen die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf. Vorausgegangen war ein langes, zähes Ringen. Kanzler Erhard befand sich damals in einer ziemlichen Zwickmühle.

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Der erste deutsche Botschafter in Israel, Rolf Pauls, überreicht dem israelischen Präsidenten Salman Schasar sein Beglaubigungsschreiben (Foto: dpa/picture-alliance)
Bild: picture-alliance/dpa

Bonn, im März 1965. Im Regierungsviertel der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik herrscht Aufregung. Wird die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen? Hinter verschlossenen Türen wird über diese Frage gerungen. "Wir Journalisten standen zu Hunderten vor dem Büro der CDU, wo die Entscheidungen getroffen wurden, stundenlang", erinnert sich Inge Deutschkron.

Die heute 92-Jährige war damals Journalistin in Bonn und berichtete für die israelische Tageszeitung "Maariv". Die Beratungen hätten sich über Tage hingezogen, erzählt sie im Gespräch mit der DW. Immer wieder habe sich die Tür geöffnet und ein Sprecher sei herausgekommen, um die wartenden Journalisten weiter zu vertrösten. "Es wurde uns gesagt: 'Heute schaffen wir es nicht mehr, sie müssen morgen wiederkommen.' So ging das tagelang."

Deutschkron, die den Zweiten Weltkrieg in Berlin im Untergrund überlebt und später jahrelang als Journalistin in Israel und Deutschland gearbeitet hatte, erinnert sich mit erstaunlicher Präzision an diese Zeit vor fünfzig Jahren. Noch heute kann sie kaum verstehen, warum es so lange dauerte, bis Bonn dem Werben aus Jerusalem nachgab. "Das war schon komisch", sagt sie nachdenklich. "Bundeskanzler Erhard wusste gar nicht, was er machen sollte." Und resolut fügt sie hinzu: "Lächerlich. Das war doch lächerlich."

Kanzler Erhard steckt im Dilemma

In der Tat hatte Israel die Bundesrepublik schon lange gedrängt, die informellen Kontakte, die seit den 50er Jahren bestanden, in volle diplomatische Beziehungen umzuwandeln. Aber die Bundesregierung zögerte. "Sie wollte es nicht wegen der Araber, die gedroht hatten, ihre Beziehungen zur Bundesrepublik abzubrechen", erklärt Deutschkron. "Die Handelsbeziehungen mit der arabischen Welt waren zu wichtig."

Doch es ging nicht nur um Geschäfte, es ging auch um Prestige, um Deutschlands Stellung in der arabischen Welt und um die deutsche Teilung. Bundeskanzler Ludwig Erhard stand vor einem Dilemma. Ende Februar 1965 war der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, in Kairo empfangen worden. Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser hatte ihn eingeladen, nachdem bekannt geworden war, dass die Bundesrepublik Israel mit Waffen versorgte. Der Empfang Ulbrichts als Staatsoberhaupt der DDR erschütterte den von Bonn aufrecht erhaltenen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik, der in der Hallstein-Doktrin formuliert worden war. Gleichzeitig stand Erhard unter erheblichem innen- und außenpolitischem Druck, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen. Als Kompensation bot sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen an. Die Entscheidung fiel schließlich am 6. März. Am Ende habe Erhard allein entschieden, sagt Deutschkron, nachdem er erfahren habe, dass man in den USA, vor allem in jüdischen Kreisen, verärgert war über die zögerliche Haltung der Bundesregierung. "Als er das hörte, sagte er zu seinen Ministern: Meine Herren, ich brauche Sie nicht mehr."

Kanzler Ludwig Erhard und seine Gattin werden im Jahr 1967 bei einem Privatbesuch vom israelischen Ministerpräsidenten Eschkol und dessen Ehefrau Miriam empfangen (Foto: dpa/picture-alliance)
Kanzler Ludwig Erhard (2.v.l.) trifft im Jahr 1967 in Israel Ministerpräsident Levi EschkolBild: picture-alliance/dpa

Ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier wird Botschafter

Als erster deutscher Botschafter wurde der Karrierediplomat Rolf Pauls nach Tel Aviv entsandt (siehe großes Foto oben, der Mann auf der linken Seite). Wenige Tage nach ihm überreichte der israelische Botschafter Asher Ben Natan in Bonn sein Beglaubigungsschreiben. Pauls frühere Laufbahn als Wehrmachtsoffizier hatte seiner Berufung überraschenderweise nicht im Weg gestanden. In Israel aber wurde er mit wütenden Beschimpfungen empfangen. "Pauls go home", riefen die Demonstranten.

Die Buchautorin und Zeitzeugin Inge Deutschkron in ihrer Wohnung in Berlin (Foto: Marx/DW)
Die Buchautorin und Zeitzeugin Inge DeutschkronBild: DW/B. Marx

Auch Deutschkron hielt ihn für die falsche Wahl. "Der hatte das Ritterkreuz, weil er ein großer Kämpfer für Hitlers Armee war, der gehörte nicht nach Israel." In ihrer israelischen Zeitung habe sie die Benennung Pauls scharf kritisiert. Mehr als die Wahl des Botschafters habe sie jedoch die seines Stellvertreters, Alexander Török, empört. Der ehemalige ungarische Faschist hatte 1950 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und war in den diplomatischen Dienst der Bundesrepublik eingetreten. Als sie dies erfahren habe, sei sie fassungslos gewesen über die mangelnde Sensibilität im Umgang mit Israel - nur 20 Jahre nach dem Holocaust. In ihren Memoiren beschreibt Inge Deutschkron den Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik mit den Worten "…und am Anfang war es peinlich".

Entscheidend für die Rückkehr Deutschlands in die Völkerfamilie

Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1965 war jedoch nur der nachgeholte formelle Akt, erklärt der israelische Historiker Dan Diner. Das "eigentliche Ereignis deutsch-jüdisch-israelischer Beziehungsaufnahme" sei das Luxemburger Abkommen 13 Jahre zuvor gewesen. 1952 unterzeichneten Unterhändler beider Seiten diesen Vertrag, der später in Deutschland als Wiedergutmachungsabkommen bekannt wurde. Darin verpflichtete sich die Bundesrepublik gegenüber Israel und der Jewish Claims Conference, Entschädigungen, Güter und Dienstleistungen im Gesamtwert von 3,5 Milliarden D-Mark zur Verfügung zu stellen. "Das war für die Bundesrepublik entscheidend, um wieder in die Völkerfamilie aufgenommen zu werden", so Diner im Interview mit der Deutschen Welle. Der Israel-Vertrag sei der erste bilaterale Vertrag gewesen, den die Bundesrepublik, damals noch als halbsouveräner Staat, eingegangen sei.

Der israelische Historiker Dan Diner
Der israelische Historiker Dan DinerBild: picture-alliance/dpa

In seinem kürzlich erschienenen Buch "Rituelle Distanz" beschreibt Diner die frostige Atmosphäre bei der Unterzeichnung des Abkommens, als sich beide Delegationen in Luxemburg wortlos, ohne Händedruck und ohne Reden begegneten. "Das Ganze war zum großen Teil eine Inszenierung und Ausdruck der vorangegangenen zweitägigen Debatte im israelischen Parlament, die im Januar stattfand und die wohl die wichtigste Debatte gewesen ist, die jemals im israelischen Parlament geführt worden ist." Die Frage, ob man Reparationen von Deutschland annehmen solle, über die in der Knesset erbittert gerungen wurde, habe das Selbstverständnis des jungen Staates Israel, nur wenige Jahre nach seiner Gründung und nur sieben Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, zutiefst berührt.