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Politik

Vor 80 Jahren: Hitler-Stalin-Pakt

23. August 2019

Adolf Hitler und Josef Stalin sahen sich als ideologische Erzfeinde. Und doch einigten sich die beiden Diktatoren 1939 auf einen Nichtangriffspakt und teilten Osteuropa unter sich auf. Die Folgen sind bis heute spürbar.

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Bildkombo Hitler und Stalin
Bild: picture alliance/AP/Heritage Images/Ann Ronan Pictures

Es war eine zynische Rechnung. Und sie ging für beide Seiten zunächst auf. Für seinen geplanten Überfall auf Polen sicherte sich Hitler die Neutralität der Sowjetunion. Da dies Polens Garantiemächte Großbritannien und Frankreich auf den Plan rufen würde, vermied er vorläufig einen Zweifrontenkrieg. Mehr noch - mit einem gleichzeitigen Handelsabkommen vereinbarten beide Diktatoren sowjetische Rohstoff-Lieferungen gegen deutsche Maschinen.

Damit wollte Hitler eine mögliche britische Seeblockade, die im Ersten Weltkrieg mit zur deutschen Niederlage geführt hatte, wirkungslos machen. Stalin wiederum glaubte, das Deutsche Reich werde sich in einem langen Krieg mit den Westmächten aufreiben. Längerfristig hielt er einen Krieg gegen das Deutsche Reich aber für unausweichlich und wollte die Atempause für eine weitere Aufrüstung nutzen.

Hitler-Stalin-Pakt Unterzeichnung 1939
Vertragsunterzeichnung in Moskau am 23.8.1939: Links Reichsaußenminister von Ribbentrop, daneben Stalin, am Schreibtisch der sowjetische Außenminister MolotowBild: AFP/Getty Images

Das Entscheidende aber stand nicht im offiziellen Vertrag, sondern im Geheimen Zusatzprotokoll: Es teilte die Länder zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion für den Fall von "territorial-politischen Umgestaltungen" in Einflussgebiete auf. So sollten zum Beispiel Estland, Lettland, der östliche Teil Polens und das rumänische Bessarabien als "Interessensphären" an die Sowjetunion fallen, der westliche Teil Polens ans Deutsche Reich.

Unendliches Leid

Am 1. September 1939 griff die deutsche Wehrmacht Polen an. Gut zwei Wochen später marschierte die Rote Armee von Osten in Polen ein und besetzte dann nach und nach die anderen der sowjetischen Einflusssphäre zugewiesenen Gebiete. Die Aufteilung des gesamten östlichen Europa wurde in den ersten zwei Wochen des beginnenden Zweiten Weltkrieges vollzogen. Deutsche und sowjetische Militärs, Geheimdienste und Verwaltungsbeamte arbeiteten dabei eng zusammen.

Polen Deutschland Geschichte Jahrestag Überfall auf Polen Panzer
Wenige Tage nach Vertragsunterzeichnung rollten deutsche Panzer nach PolenBild: ullstein bild - SV-Bilderdienst

Polen verschwand - ein weiteres Mal - von der politischen Landkarte. Die baltischen Staaten, die erst nach dem Ersten Weltkrieg 1919 ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, wurden Sowjetrepubliken. Das rumänische Bessarabien wurde der Ukrainischen Sowjetrepublik angegliedert. So sei Rumänien praktisch "in die Arme Nazi-Deutschlands getrieben worden", erklärt der rumänische Historiker Cosmin Popa. 

Für die Menschen auf beiden Seiten der Trennungslinie begann nun unendliches Leid: Hitler setzte seine Lebensraum- und Rassenideologie in den besetzten Gebieten um und ließ Millionen Menschen ermorden, während im sowjetischen Teil große Bevölkerungsteile vertrieben und zahlreiche Angehörige der alten Eliten getötet oder in Zwangsarbeitslager verschleppt wurden.

Der Hitler-Stalin-Pakt hielt knapp zwei Jahre. Im Juni 1941, als Hitler halb Westeuropa unterworfen hatte, fühlte er sich stark genug und griff den Bündnispartner selbst an. Es war eine entscheidende Selbstüberschätzung. Schon im folgenden Winter begann sich militärisch das Blatt zu wenden. Aber für die Völker der "Interessensphären" bedeutete es noch mehrere Kriegsjahre hindurch Elend, Vertreibungen und millionenfachen Tod.

Guderian und Kriwoschein 2. Weltkrieg 1939
Deutsche und sowjetische Militärs arbeiteten bei der Aufteilung und Unterwerfung Polens eng zusammen Bild: picture-alliance/akg-images

Das Trauma bleibt

Das Trauma der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf Kosten der anderen bleibt in den betroffenen Ländern präsent. In Polen gilt der Hitler-Stalin-Pakt bis heute als Beispiel für geheime Absprachen der beiden großen Nachbarn, die zu Nachteilen führen. Im Jahre 2006 verglich der damalige Außenminister Polens, Radosław Sikorski, die Nord-Stream-Pipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt, was zur großen Aufregung auf beiden Seiten führte.

Der Pakt gilt in der polnischen Geschichtsschreibung als "Vierte Teilung" des Landes – eine Anspielung auf die drei Teilungen im 18. Jahrhundert, als Polen von Russland, Preußen und Österreich geteilt wurde und von der Welt-Karte für mehr als ein Jahrhundert verschwand.  

Im Zweiten Weltkrieg führte der sowjetische Einmarsch zudem zur Verhaftung von fast 22.000 polnischen Offizieren und Polizisten, die im Frühling 1940 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD in Katyn und an zwei anderen Orten mit Genickschuss hingerichtet wurden.  

Auch für Rumänien seien die Auswirkungen noch heute erheblich, sagt der Historiker Popa. Die Existenz der Republik Moldau ist eine direkte Folge des Pakts. "Er war nichts anderes als der Ausdruck des angewandten Totalitarismus in der Außenpolitik. Es war der klare Machtanspruch der beiden Totalitarismen, des kommunistischen und des nationalsozialistischen."

Stalin wird in Russland rehabilitiert

Der Pakt hatte Folgen weit über das Kriegsende hinaus: Da die UdSSR zu den Siegermächten gehörte, konnten die Westmächte nicht verhindern, "dass die Gebiete, die der Sowjetunion im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts zugeschlagen worden waren, am Ende des Zweiten Weltkrieges bei der Sowjetunion blieben", so der Historiker Jörg Ganzenmüller. Erst Anfang der 1990er Jahre erlangten etwa die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zurück.

Der Hitler-Stalin-Pakt war nach dem Krieg viele Jahre in Vergessenheit geraten. Im Osten wurde er während des Kalten Krieges tabuisiert. In der Bundesrepublik Deutschland spielte er in der historischen Aufarbeitung der Nachkriegszeit keine große Rolle. Erst nach der Wende 1989 in Europa kam die Erinnerung in die öffentliche Diskussion zurück.

Russland Vostok 2018 War Games | Russland Wladimir Putin, Präsident
Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Hitler-Stalin-Pakt in jüngster Zeit verteidigtBild: Reuters/Sputnik/A. Nikolsky/Kremlin

Doch die Wunden sind nicht verheilt, im Gegenteil. Vor zehn Jahren, zum 70. Jahrestag, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin den Pakt in einem "Brief an die Polen" als unmoralisch bezeichnet. Diese Einsicht ist längst verblasst. Wenige Monate nach der russischen Annexion der ukrainischen Krim verteidigte Putin den Vertrag; aus damaliger Sicht sei er notwendig gewesen. Zu den diesjährigen Gedenkfeiern in Polen anlässlich des Beginns des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren wurde Putin nicht eingeladen. Im heutigen Russland ist auch Josef Stalin weitgehend rehabilitiert. In einer Umfrage in diesem Jahr äußerten sich 70 Prozent der befragten Russen positiv zu Stalins Rolle für das Land.

Neue, alte Ängste

So wachsen die Ängste in Polen und den baltischen Staaten wieder, man könne erneut zu Opfern einer Politik werden, in der sich Deutschland und Russland auf ihre Kosten einigen. Der Bau der direkten Erdgasleitung Nord Stream 2 von Russland durch die Ostsee nach Deutschland unter Umgehung der Transitländer ist zu einem Symbol dieser Angst geworden. Neuerdings hat Polen in dem Streit die USA auf seine Seite gezogen, da es sich von seinen Nachbarn zumindest in diesem Punkt nicht genug ernst genommen fühlt.

Deutschland Nord Stream 2 vor der Insel Rügen
Symbol alter Ängste: Bau der Erdgasleitung Nord Stream 2 in der OstseeBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

"Historische Analogien kann man nicht ziehen", sagt Wissenschaftler Ganzenmüller dazu. Die Angst sei übertrieben: "Polen und die baltischen Staaten stehen Deutschland sehr viel näher als Russland." Dafür spreche schon die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU und der NATO. "Nichtsdestotrotz verfolgt die deutsche Außenpolitik mitunter vielleicht allzu rücksichtslos außenpolitische Interessen, berücksichtigt diese vorhandenen Ängste nicht und sorgt deshalb für Irritationen." Daher rät der Historiker der Bundesregierung, stärker auf diese alten Befürchtungen einzugehen.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik