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Pekings Politthriller

Matthias von Hein15. März 2012

Die Absetzung von Bo Xilai als Parteichef von Chongqing hat den Machtkampf in China vorerst zu Gunsten liberalerer Kräfte entschieden. Der Fall hat dabei alle Zutaten eines Politthrillers.

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Bild: AP

Chinas Kommunistische Partei hat über 80 Millionen Mitglieder. Die sind kein monolithischer Block - es gibt unterschiedliche Strömungen mit sehr unterschiedlichen Zielen. Da die Partei sich um ein Bild der Geschlossenheit bemüht, finden Kämpfe zwischen den Strömungen überwiegend im Verborgenen statt. Im Herbst aber steht ein Machtwechsel an. Auf dem nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag werden die Leitlinien für die Gestaltung chinesischer Politik festgezurrt, vor allem durch Personalentscheidungen. Mit dem Fall Bo Xilai ist jetzt im Vorfeld des Parteitags der Machtkampf an die Oberfläche gekommen. Die seit Anfang Februar auftauchenden Mosaiksteine ließen sich - notgedrungen spekulativ - folgendermaßen zu einem Politkrimi der Sonderklasse verbinden.

Das "Drehbuch"Die Schauplätze: Chongqing, mit 32 Millionen Einwohnern größte Stadt Chinas; Chengdu, Hauptstadt der Provinz Sichuan und Sitz eines amerikanischen Konsulats; Guangzhou, Hauptstadt der boomenden Südprovinz Guangdong (Kanton) und schließlich die Hauptstadt Peking. Die handelnden Personen: Bo Xilai, ehrgeiziger Parteichef von Chongqing und hoffnungsfroher Anwärter auf einen Platz im neunköpfigen Machtzentrum der KP - dem Ständigen Ausschuss des Politbüros; Wang Lijun, ehemaliger Polizeichef von Chongqing und lange Jahre Bo Xilais engster Vertrauter; Wang Yang, Parteichef von Guangdong und ebenfalls Kandidat für den Aufstieg ins Machtzentrum; Xi Jinping, wahrscheinlich der kommende Präsident Chinas und Wen Jiabao, amtierender Ministerpräsident.

Bo Xilai auf dem Volkskongress im März 2012. (Foto: dpa)
Bo Xilai auf dem Volkskongress im März 2012Bild: dapd

Mit Bo Xilai und Wang Yang wollen die prominentesten Vertreter der "Neuen Linken" und der Neo-Liberalen in den Ständigen Ausschuss des Politbüros. Neben ihrer unterschiedlichen politischen Haltung sind die beiden auch persönlich verfeindet. Wang Yang war vor Bo Xilai Parteisekretär von Chongqing. In seiner Anti-Korruptions-Kampagne ließ Bo den früheren, noch von Wang Yang eingesetzten Polizeichef von Chongqing zum Tode verurteilen und hinrichten. In China wird bei Machtkämpfen häufig gegen Untergebene und Schützlinge des Gegners vorgegangen, falls der Gegner selbst nicht angegriffen werden kann. Bo Xilais eigener Polizeichef Wang Lijun leistete da ganze Arbeit. Bos Macht wuchs. Zugleich machte sich der charismatische Sohn eines prominenten Revolutionsveteranen viele Feinde. Seine maoistisch anmutenden Kampagnen und die zweifelhaften Methoden im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen in Chongqing sorgten in Parteikreisen für Unmut.

Schließlich wendete sich das Blatt und Bo Xilais Einfluss schwand. Erstes sichtbares Zeichen: Wang Lijun wurde am 2. Februar von seinem Posten als Polizeichef von Chongqing entlassen, vermutlich, weil gegen ihn wegen Korruption ermittelt wurde. Bo Xilai ließ seinen Vertrauten fallen. Wang muss um sein Leben gefürchtet haben und floh am 6. Februar ins 300 Kilometer entfernte Chengdu. In der Hauptstadt der Provinz Sichuan gibt es ein amerikanisches Konsulat. Da suchte Wang Zuflucht. Zu Recht. Eine ganze Karawane von Fahrzeugen mit bewaffneter Polizei fuhr ihm von Chongqing aus hinterher und umstellte das Konsulat - ein extrem ungewöhnlicher Vorgang.

Die Machtzentrale Chinas: das neunköpfige Politbüro. Im Herbst werden alle Plätze neu vergeben. (Foto: AP)
Die Machtzentrale Chinas: das neunköpfige Politbüro. Im Herbst werden alle Plätze neu vergebenBild: AP

Internationale Brisanz erhielt die Flucht Wangs zusätzlich dadurch, dass der Besuch von Chinas Kronprinz Xi Jinping bei US-Präsident Barack Obama am 14. Februar bevor stand. Der sollte durch nichts gestört werden. Wang blieb einen ganzen Tag im Konsulat, verhandelte offenbar mit Peking. Er verließ das Konsulat erst, als Beamte der Zentralregierung ihn durch die Reihen der Chongqinger Polizisten hindurch zum Flughafen und in die Hauptstadt eskortierten. Seither ist Wang verschwunden. Aber es wird gemunkelt, dass er belastendes Material gegen seinen früheren Chef Bo Xilai in der Hand hat. Das könnte sich als hilfreich erweisen, um seinen eigenen Kopf zu retten.

Innerparteiliche Einheit demonstrieren Noch aber wurde Ruhe bewahrt: Anfang März stand der Nationale Volkskongress bevor. Die jährliche Tagung von Chinas 3000 handverlesenen Delegierten sollte Einheit ausstrahlen. Selbst Bo Xilai durfte noch einmal bei einer Pressekonferenz auftreten. Erst in der Abschlusspressekonferenz von Ministerpräsident Wen Jiabao am Mittwoch wurde das Thema wieder akut. Wen kritisierte Bo Xilai und sein "Chongqing Modell" in ungewöhnlich deutlichen Worten. Er warnte vor einer Wiederkehr "kulturrevolutionärer Zustände" und plädierte für eine Fortsetzung und Vertiefung politischer Reformen. Was er genau meint, ließ Wen offen. Nur einen Tag darauf wurde der ehemalige Politstar Bo Xilai abgesetzt. Der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua war diese politische Sensation nur ein paar dürre Zeilen wert.

Ministerpräsident Wen Jiabao greift das "Chongqing Modell" von Bo scharf an. (Foto: Reuters)
Ministerpräsident Wen Jiabao greift das "Chongqing Modell" von Bo scharf anBild: Reuters