1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Vorwürfe vor Präsidentenwahl

Barbara Wesel
10. Januar 2017

Das Rennen um das Amt des EU-Parlamentspräsidenten ist weiter offen. Die Sozialisten haben die Absprache mit den Christdemokraten gebrochen, dass ein Konservativer auf Martin Schulz folgen sollte. Die EVP ist beleidigt.

https://p.dw.com/p/2VX4P
Europaparlament in Straßburg 01.07.2014
Bild: DW/B. Riegert

In einer Woche wird in Straßburg der Nachfolger für Martin Schulz bestimmt. Der Wahlkampf tritt in die Phase des Schlamm-Wrestling ein. So veröffentlichte der Chef der Christdemokraten über Nacht eine "Geheimvereinbarung" mit Sozialdemokraten und Liberalen aus dem Jahr 2014, die überhaupt nicht geheim war. Ganz Brüssel wusste längst davon, pocht doch die EVP seit jeher darauf, nach dem Abgang des Sozialdemokraten Martin Schulz einen automatischen Anspruch auf den Posten zu haben. Das hatten die Fraktionschefs damals so vereinbart und auch unterschrieben, und damit eine Art informelle große Koalition begründet. Aber die ist zerbrochen, die Sozialdemokraten und die Liberalen haben eigene Kandidaten aufgestellt, und EVP-Fraktionschef Manfred Weber zeigt sich beleidigt: "Jetzt werden wir sehen, ob die Unterschriften noch etwas wert sind".

Kein Hinterzimmer-Deal?

Der christdemokratische Chef der größten Fraktion pocht auf das Abkommen von damals. Dieses sei kein "Hinterzimmer-Deal", sondern "übliche demokratische Kompromissbildung". Und die daraus entstandene informelle große Koalition habe doch gute Ergebnisse für die Bürger gebracht: Bei der Sicherheit, bei Energie, Klimaschutz, Datenschutz und so weiter. Mit dieser Zusammenarbeit sei jetzt Schluss, und wenn nun Anti-Europäer und Radikale Einfluss auf die Politik im Europaparlament bekämen, dann seien die Sozialdemokraten schuld, behauptet Manfred Weber. Sie hätten das Tischtuch zerschnitten. 

Antonio Tajani
Antonio Tajani hat seine Konkurrenten aus dem Feld geschlagen - aber seine Wahl ist nicht sicher Bild: AP

"Es war eine Partnerschaft gegen den Extremismus", legt Weber noch nach, und die anderen hätten die glasklare Vereinbarung gebrochen. Die Sozialdemokraten wiederum sehen sich im Recht, weil alle EU-Institutionen von Konservativen geführt würden, wenn sie sich an das Papier von 2014 hielten. Also haben sie den eigenen Fraktionschef als Gegenkandidaten aufgestellt.

An den Kandidaten scheiden sich die Geister

Das Problem bei der Sache ist, dass dem Fraktionschef der EVP leider die Kandidatenkür aus dem Ruder gelaufen ist. Statt eine allseits akzeptable Frau der Mitte, etwa die Irin Mairead McGuiness, zu wählen, gelang es dem Forza-Italia-Mann Antonio Tajani, sich nach vorn zu schieben. Er war jahrelang Parteisprecher, dann Silvio Berlusconis Mann in Brüssel, und wurde als EU-Kommissar wegen seiner zu großen Nähe zur Industrie kritisiert. Für viele Sozialdemokraten eine Art "schwarzes Tuch".

"Tajani ist ein großartiger Kandidat", beschwört Fraktionschef Weber noch einmal. Aber Parlamentarier der anderen politischen Gruppen erinnern an seine Vergangenheit. Der Italiener ist in Brüssel alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Ihn jetzt als bürgernahen Parlamentspräsidenten zu verkaufen, ist daher eine schwere Aufgabe.

Gianni Pitella, der Kandidat der Sozialdemokraten für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten, ist zwar ein leidenschaftlicher Europäer, aber nicht unbedingt ein Mann des Kompromisses. Und ihm fehlen Charisma wie Sprachkenntnisse. Er muss Unterstützung bei den Linken im EP suchen, um überhaupt eine Chance zu haben.  

Selbstzerstörung bei den Liberalen

Straßburg EU-Parlament - Parlamentarier Gianni Pitella
Für Pitella haben die Sozialisten die "große Koalition" im Europaparlament aufgekündigt Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Von der Blockade zwischen den großen Fraktionen im EP hätte einer profitieren können: Liberalen-Chef Guy Verhofstadt. Der Belgier gilt als glühender Europäer und schwingt mitreißende Reden. Er hätte im vierten Wahlgang als lachender Dritter aus dem Rennen hervorgehen können. Aber in einem bemerkenswerten Akt der Selbstzerstörung machte er am Montag seine Chancen zunichte.

Still und leise hatte nämlich Verhofstadt vor Weihnachten Geheimgespräche mit dem Chef der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung begonnen. Das Ziel war, Beppe Grillo mit den Liberalen in die Fraktionsgemeinschaft zu holen. Die Sache wurde erst bekannt, als Grillo am Sonntag seine Parteimitglieder über den Wechsel abstimmen ließ. Das politische Brüssel rieb sich die Augen: Welche Substanzen waren im Spiel, um dem liberalen Europa-Freund Verhofstadt eine Ehe mit dem populistischen EU-Feind Grillo als möglich erscheinen zu lassen? War es Selbstüberschätzung oder Machtversessenheit? Jedenfalls ließ seine Fraktion den Belgier am Montagabend knallhart auflaufen und durchkreuzte den Deal.

Die Karten neu gemischt

Für die Grünen hat sich Verhofstadt mit seinem absurden Vorstoß unglaubwürdig gemacht. Grillos Bewegung sei eigentlich eine Art Privatunternehmen, weil nur er sage, wo es lang geht, so der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. Und die Liberalen seien ja sehr für die private Marktwirtschaft - also passten beide wenigstens in dem Punkt zusammen. Die Grünen aber hätten schon früher eine Zusammenarbeit mit der Europa-skeptischen Truppe aus Italien ausgeschlossen.

Ein Nebeneffekt ist nun, dass Grillo sich auf seiner Suche nach geborgter politischer Respektabilität verzockt hat. Er ist im Europaparlament faktisch heimatlos, hatte er sich doch schon öffentlich von seinem Fraktionsgenossen Nigel Farage und dessen UKIP-Partei verabschiedet. Muss er auf Knien zurückkommen, oder geht er an weitere Türen klopfen? 

Wer wird Präsident des Europaparlaments?

Klar ist nach diesen Verrenkungen und Verwerfungen nur eines: Präsident wird ein Italiener. Denn vier der sieben Kandidaten stammen aus Italien, darunter die beiden Spitzenkandidaten der Christdemokraten und Sozialisten. Entweder Antonio Tajani oder Gianni Pitella müssen für die absolute Mehrheit um die Stimmen anderer Parteien werben. Im vierten Wahlgang reicht dann die einfache Mehrheit. EVP-Chef Weber hat schon geschworen, man werde keine Stimmen "von Radikalen akzeptieren", und damit meint er die Riege der Europa-Feinde. Er muss allerdings nicht beweisen, dass er den Schwur hält - schließlich ist die Wahl geheim. Wer für wen aus welchen Gründen stimmen wird, bleibt ein Rätsel - vor der Wahl genauso wie danach.