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Eine Frage des Gefühls

Ines Pohl (New York)19. April 2016

Bei der Kür der US-Präsidentschaftskandidaten steht eine weitere wichtige Vorwahl an: im Bundesstaat New York. Dabei geht es nicht nur um Stimmenfang, sondern auch um Psychologie. Von Ines Pohl, New York.

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Präsidentschafts-Kandidaten Hillary Clinton und Bernie Sanders bei einer TV-Debatte (Foto: Justin Lane/EPA))
Bild: picture-alliance/dpa/J. Lane

"Wir haben die Möglichkeit, uns zwischen einem Clown und einer Lügnerin zu entscheiden", sagt Aaron Goldenstein und wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte." Es ist warm in Brooklyn, die Sonne brennt auf Goldensteins schwarzen Hut, der klassischen Kopfbedeckung orthodoxer Juden.

Aus Sicht des 42-jährigen Vaters von vier Kindern ist Donald Trump ein Clown und Hillary Clinton eine Lügnerin. Eine unter US-Wählern weitverbreitete Kategorisierung der beiden prominentesten Kandidaten der Demokraten und Republikaner.

Eigentlich, sagt Goldenstein, sind die Menschen in seinem Viertel eher konservativ eingestellt - wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, aber auch um Außenpolitik. "Das Iran-Abkommen ist ein großer Fehler. Wir brauchen endlich wieder eine Führung, die sich klar für die Interessen von uns Juden einsetzt."

Kritik an Kandidat Cruz

Keine Frage: Juden spielen eine wichtige Rolle in New York. In den Talkshows wird deshalb gerade heftig debattiert, ob Ted Cruz sich unverhohlen antisemitisch geäußert hat, mit seiner Kritik an den so genannten "New Yorker Werten" als er sagte, die Bewohner der größten Stadt der USA seien "fokussiert auf Geld und die Medien".

Ted Cruz bei Republikaner-Gala in New York (Foto: Eduardo Munoz Alvarez/Getty Images)
Kandidat Cruz bei Republikaner-Gala in New York: Unverhohlen antisemitisch?Bild: Getty Images/E.M.Alvarez

Eine Lesart: Cruz habe in New York sowieso keine Chance gegen den New Yorker Multimillionär Donald Trump und versuche mit solchen Sätzen Stimmen gut zu machen für die kommenden Wahlen in anderen Bundesstaaten.

Laut Umfragen ist auf republikanischer Seite Trump der eindeutige Favorit im Staat New York. "Es sollte ihm gelingen, nahezu alle der 95 Delegiertenstimmen zu gewinnen", prognostiziert Professor Larry J. Sabato von der Universität in Virginia.

Und das sei existenziell. "Wenn er hier in New York nicht ganz groß gewinnt, hat er keine Chance mehr, die 1237 Stimmen zu bekommen, die er braucht, um beim Parteitag als eindeutiger Favorit ins Rennen zu gehen, auf dem der Kandidat ja letztlich gewählt wird", sagt der Politikwissenschaftler.

Albtraum vieler Republikaner

Wenn Trump in New York nur knapp gewinnt oder gar verliert, wird der Albtraum vieler Republikaner immer wahrscheinlicher: dass am Ende dieses Wahlkampfs mit seiner bizarren Politikshow kein Präsidentschaftskandidat eindeutig feststeht. Dann müsste der Parteitag im Sommer darüber entscheiden, ob die Republikaner lieber jemanden ins Rennen schicken, der besser zu den Prinzipien der Partei passt, als Trump. Doch dieser Kandidat hätte dann den Makel, dass er schon bei den Vorwahlen zu wenig Wählerinnen und Wähler für sich überzeugen konnte.

Schon jetzt kursieren Videos in den Sozialen Netzwerken, in denen Parteimitglieder ihre Mitgliedsurkunde verbrennen - als Protest gegen die anhaltende Kritik der Parteiführung an Donald Trump.

Vordergründig ist die Situation bei den Demokraten weniger dramatisch. Deutlich mehr Menschen haben Hillary Clinton ihre Stimme direkt gegeben als ihrem Mitbewerber Bernie Sanders. Dazu kommt ein eindeutiger Vorsprung bei den sogenannten Superdelegierten, einer Besonderheit der Demokratischen Partei bei der Präsidentschaftskandidatenkür.

Vorwahlmarathon ohne Ende

Theoretisch würde es Clinton deshalb reichen, wenn sie nur knapp in New York gewinnt. Selbst eine knappe Niederlage würde sie rein rechnerisch kaum in Bedrängnis bringen. "Clinton wird in jedem Fall die Spitzenkandidatin werden, egal, wie es hier ausgeht"; prognostiziert Politikwissenschaftler Sabato. "Aber natürlich: Je besser Bernie Sanders abschneidet desto mehr Aufwind bekommen seine Unterstützer."

Und diese Dynamik macht Clinton zu schaffen. Die Ex-Außenministerin wollte eigentlich schon längst den Vorwahlkampf für sich entschieden haben. Doch jetzt muss sie sogar noch nachlegen, um ihr Ziel zu erreichen. Noch am Wochenende vor den wichtigen Wahlen in New York war sie in Los Angeles unterwegs, um frisches Geld zu sammeln für den nicht enden wollenden Vorwahlmarathon.

Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton (Foto: Reuters/M.Segar)
Kandidatin Clinton: Fähig, die Herzen zu gewinnen?Bild: Reuters/M.Segar

Hillary Clinton war acht Jahre lang Senatorin in New York. Und auch wenn Sanders in New York City geboren wurde, wäre es eine derbe Niederlage, wenn sie sich selbst hier "in ihrer Stadt" nicht durchsetzen könnten. Es würde genau jene Skeptiker bestätigen, die zwar keine Zweifel an Clintons fachlicher Kompetenz haben, wohl aber an ihrer Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Und gerade in den USA spielt am Ende das Gefühl die wahlentscheidende Rolle.

Clinton in Favoritenrolle

Insider ihres Planungsstabes geben offen zu, dass das Team Clinton die Zeit jetzt lieber genutzt hätte, um bereits das eigentliche Rennen um das Weiße Haus im Herbst vorzubereiten. "Natürlich schwächt Bernie Sanders damit die Spitzenkandidatin seiner eigenen Partei und hält sie von der eigentlichen Arbeit ab, die jetzt ansteht", sagt eine Mitarbeiterin des Clinton-Teams in der Wahlkampfzentrale im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

Es ist genau diese Haltung, die vielen Menschen aufstößt. "Hillary Clinton tut, als hätte sie ein Recht auf das Weiße Haus, das hat sie nicht", so Sanders-Unterstützerin Meggie McCollin. "Wir geben nicht auf und kämpfen bis zum Schluss", sagt sie auf dem Weg zu einem der vielen Bernie-Sanders-Events in New York in diesen Tagen. "Denn es sind die Menschen, die entscheiden, und nicht die Spielregeln des Geldes."

Laut den Umfragen liegt Hillary Clinton weit vor Bernie Sanders. Aber in diesem Jahr lagen schon viele Umfragen falsch. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch nach diesem superwichtigen Dienstag noch immer nicht feststeht, wer das Rennen macht. Bei keiner der beiden Parteien.

Infografik mit Ergebnissen der US-Vorwahlen, Stand 09.04.2016 (Grafik: DW)