1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Vorwurf Volksverhetzung

14. September 2017

Lob der Nazi-Zeit, Hetze gegen Flüchtlinge, Juden und Politiker verbreitete das 2016 verbotene Neonazi-Portal "Altermedia Deutschland". Der Prozess gegen die Betreiber hat begonnen. Was weiß man über die Hintergründe?

https://p.dw.com/p/2jpRW
Internetportal Altermedia
Screenshot des Neonazi-Portals: seit Januar 2016 verboten, zeitweise Millionen Abrufe im JahrBild: picture-alliance/dpa

Aggressive Parolen des Internetportals "Altermedia Deutschland" sind in alten Twitter-Nachrichten nachzulesen: "Ihr habt die Pflicht, diese geisteskranke Merkel jetzt zu stürzen" (2015). Da war die Rede von "jüdischer Jauche" und "tödlicher Zuwanderungsflut", der Mord an sechs Millionen Juden wurde bezweifelt, der Nationalsozialismus und Äußerungen Adolf Hitlers beworben.

Seit dem 27. Januar 2016, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, ist das Neonazi-Portal verboten. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière sprach von "übelsten rassistischen Beiträgen". Auf Antrag der deutschen Behörden wurde das Portal vom Server in Russland genommen. Zwei Verdächtige kamen vorübergehend in Haft.

Was werfen die Bundesanwälte den Angeklagten im Altermedia-Prozess vor?

Insgesamt fünf deutsche Staatsbürger hatte die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht Stuttgart angeklagt. Ein 28-jähriger Informatiker aus dem Schwarzwald und eine 48-jährige Call-Center-Mitarbeiterin gelten als Schlüsselfiguren. SIe sollen sich als Betreiber des "im deutschsprachigen Raum führenden rechtsextremistischen Internetportals 'Altermedia Deutschland'" zusammengeschlossen haben, um volksverhetzende Äußerungen zu verbreiten. Drei Mitangeklagten wird Beteiligung als Moderatoren und Autoren der Website vorgeworfen, ein Verfahren wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit abgetrennt. Gegen weitere Verdächtige werde noch ermittelt, teilte die Bundesregierung im Juni als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion "Die Linke" mit.

Die verbotene Internetseite diente der systematischen Verbreitung rechtsextremistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts, heißt es weiter. Die Äußerungen dort reichten von "Gewaltaufrufen gegen in Deutschland lebende Ausländer über die Verächtlichmachung von Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe bis hin zur Leugnung des Holocausts". Die strafbaren Inhalte seien weltweit verbreitet worden. Ziel nach Auffassung der Bundesregierung: "Sie sollten andere Rechtsextremisten zu weiteren Straftaten ermuntern".

Frankreich? USA? Was weiß man über Ursprung und Vernetzung von Altermedia?

Das internationale Internetportal "Altermedia.info" soll als Gegenprojekt zu linken Netzwerken gegründet worden sein. Die Domain, hieß es in einer Studie zu rechtsextremen Netzwerken von 2008, soll zum Internetangebot des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Duke gehört haben. Duke war führendes Mitglied des "Ku Klux Klan" und gehört zur Bewegung "White Supremacy" ("Weiße Vorherrschaft"). Im August 2017 nahm er an den rassistischen Ausschreitungen in Charlottesville teil.

USA Charlottesville David Duke
Betreiber von "Altermedia" in den USA? David Duke, hier bei Kundgebung "Weißer Nationalisten" in CharlottesvilleBild: Reuters/J. Ide

Als Mitgründer in Europa wird auch ein belgischer Vertrauter des früheren französischen Front-National-Chefs Jean-Marie Le Pen genannt. Für das Jahr 2008 zählte die Studie Unterseiten aus 20 europäischen Ländern, den USA und Kanada. Die Hälfte aller Aufrufe soll aus Deutschland erfolgt sein, sehr gefragt war das Portal aber offenbar auch in Österreich, Rumänien, den USA und Tschechien.

"Altermedia Deutschland" war anfangs unter dem Namen "Störtebeker-Netz" bekannt, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2016 (S. 64). Das Forum habe zeitweise mehrere Millionen Aufrufe pro Jahr verzeichnet. Die Seite mit "rassistischen, ausländerfeindlichen, antisemitischen und islamfeindlichen Inhalten" sei überwiegend von Neonazis genutzt worden.

"Stolzes Bekenntnis"? Was ergab der erste Prozess gegen "Altermedia" 2011?

In Rostock standen 2011 schon einmal zwei Betreiber von "Altermedia Deutschland" vor Gericht: Axel Möller und Robert R., beide NPD, wurden wegen Volksverhetzung und Aufrufen zu Straftaten zu Haftstrafen verurteilt. Für die Tageszeitung "taz" hat Autor Andreas Speit den Prozess beobachtet. Er schilderte, wie Möller - 2010 schon einmal verurteilt - den Begriff Geständnis ablehnte und von einem "sehr stolzen Bekenntnis" sprach. Der Staatsanwalt hatte antisemitische Ausfälle zitiert und Aufrufe zu "Gewalttaten gegen farbige Menschen". "Altermedia" verschwand zunächst von einem US-amerikanischen Server, tauchte auf einem anderen wieder auf, später dann auf einem Server in Russland.

Was folgte dem Verbot von "Altermedia Deutschland" 2016?

Nach dem Verbot des deutschen Neonazi-Portals, sagte der Berliner Innensenator Frank Henkel im März 2016, seien Rechtsextremisten ins virtuelle Ausland ausgewichen. Beliebt bei ihnen sei das russische Netzwerk "VK", vormals "VKontakte".

Wer heute die internationale Plattform "altermedia.org" aufruft, landet zunächst auf einer weitgehend leeren Seite. Dort heißt es, man habe sich entschlossen, sich auf die beiden Länder zu konzentrieren, die "uns am nächsten sind": Belgien und Frankreich. Auf dem gemeinsamen französischsprachigen Angebot findet sich zum Beispiel das Tagebuch des rechtsradikalen Ex-Front-National-Chefs Jean-Marie Le Pen.

Von Social Media überholt? War "Altermedia" für die rechtsextreme Szene noch wichtig?

Zum Zeitpunkt des Verbots, schreiben viele Beobachter der rechtsextremen Szene, hatte "Altermedia Deutschland" längst an Bedeutung verloren, weil Neonazis vermehrt in soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter drängten, wo sie mehr Menschen erreichen könnten. Auch der Verfassungsschutzbericht 2016 erwähnt die "Verlagerung der vormals szeneinternen Kommunikation" und den "zunehmend größeren Empfängerkreis" über soziale Netzwerke und Kurznachrichtendienste.

Nicht immer werden dort problematische Inhalte, die User melden, sofort gelöscht, das ergab ein Test der Initiative "jugendschutz.net". Es können auch schnell Ersatz-Accounts angelegt werden. Eine Ausweich-Plattformen wie das russsische "VK", stellt jugendschutz.net fest, "löscht fast keine unzulässigen Inhalte".