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Türkei: VW-Werk mit Signalwirkung

Daniel Derya Bellut
2. Oktober 2019

Es ist so gut wie sicher: VW wird in der Türkei produzieren. Die Milliardeninvestition wird die türkische Wirtschaft beleben, ist sich Wirtschaftsexperte Erdal Yalcin im DW-Interview sicher.

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Wolfsburg Volkswagen-Werk Mitarbeiter
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Die Türkei befindet sich seit letztem Jahr in einer heftigen Währungs- und Wirtschaftskrise. Die schwierige politische Lage schreckte lange Zeit ausländische Investoren davon ab, in dem Land zu investieren. Doch gerade ein deutsches Unternehmen setzt diesem Negativtrend ein Ende: nach türkischen Medienbericht hat sich Volkswagen heute in das türkische Handelsregister eingetragen. Damit ist es so gut wie offiziell: Das neue Osteuropawerk von Volkswagen wird in der Türkei entstehen. VW entschied sich damit  überraschenderweise offenbar gegen eine Investition im EU-Land Bulgarien. Rund eine Milliarde Euro soll in ein Werk in Manisa nahe Izmir im Westen der Türkei investiert werden. VW plant eine Jahreskapazität von 300.000 Fahrzeugen mit rund 4000 Beschäftigten.

Die Entscheidung ist nicht unumstritten - in den letzten Jahren kam es zu zahlreichen Verwerfungen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung. Der Wirtschaftsexperte Erdal Yalcin ist Professor für Internationale Wirtschaftspolitik an der Hochschule Konstanz. Im DW-Interview erklärt er die Hintergründe der Volkswagen-Investition.

Herr Yalcin, warum hat sich Volkswagen gerade für die Türkei als Standort für das neue Osteuropawerk entschieden?

Erdal Yalcin: Vor ein paar Jahren war ein VW-Werk in der Türkei schon einmal im Gespräch - damals hat man sich noch dagegen entschieden. 

"VW-Investition überwiegen für mich die langfristigen positiven Effekte trotz der gegenwärtigen politischen Herausforderungen" so Yalcin
"Bei der VW-Investition überwiegen die langfristigen positiven Effekte", glaubt Wirtschaftsexperte YalcinBild: Ifo-Institut

Doch aus einer langfristigen ökonomisch Perspektive heraus betrachtet ist die Entscheidung nachvollziehbar und grundsätzlich auch sinnvoll.  Die Türkei hat sich in den letzten 15 Jahren zu einem wichtigen Produktionsstandort gerade in der Automobilindustrie entwickelt – besonders durch die vielen Zulieferer, die sich dort niedergelassen haben. Das Netzwerk von Zulieferunternehmen,  darunter z.B. auch die Robert Bosch GmbH in der Nähe von Bursa, ist riesig geworden. Das ist für ein Unternehmen wie VW natürlich sehr nützlich. In Bulgarien gibt es diese Bedingungen nicht.

Wie sind die Bedingungen für Volkswagen auf dem türkischen Arbeitsmarkt?

Die Lohnkosten in der Türkei sind sehr niedrig. Der Mindestlohn beläuft sich gerade einmal auf 420 Euro. Das ist ein signifikanter Unterschied zu Bulgarien. Die Türkei ist außerdem ein sehr großer Markt  – die Bevölkerung wird in absehbarer Zeit die 100 Millionen-Marke überschreiten. Man kann junge Mitarbeiter rekrutieren, die langfristig bei VW mitwirken können. Die potentiellen Arbeitskräfte sind in der Regel gut ausgebildet. Seitdem im Jahr 2005 mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufgenommen wurden, hat sich einiges getan. Gleichzeitig haben die zahlreichen politischen Konflikte auch dazu geführt, dass in den letzten Jahren viele Talente ausgewandert sind – ein sogenannter Brain-Drain.

Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Inflation - die türkische Wirtschaft steckt in einer schweren Krise. Könnte eine Investition von einem so großen Unternehmen wie Volkswagen die türkische Wirtschaft beleben? 

Absolut. Es ist ein essentiell wichtiges Geschäft für die türkische Wirtschaft. Es ist ein Signal: "Schaut her, das größte Autounternehmen der Welt investiert in der Türkei". Das könnte auch weitere ausländische Unternehmen motivieren, dem Beispiel zu folgen.

Die Türkei hat in letzter Zeit rechtsstaatliche Prinzipien missachtet. Ist es klug von VW,  in einem Land mit so wenig Rechtssicherheit zu investieren?

Keine Investitionen sind auch nicht gerade die Lösung, insbesondere wenn wir langfristig nach Verbesserungen streben. In Russland wurden Investitionen aus Deutschland in jüngerer Zeit zum Teil verboten. Doch die wirtschaftliche Isolation hat überhaupt nichts gebracht – genauso wenig hat sie im Iran etwas bewirkt. Letzten Endes hat der Investitions-Stopp eher die demokratischen Kräfte weiter geschwächt. Ich sehe in Investitionen in Ländern mit einer schwierigen politischen Lage eher eine Chance. Es kann eine positive Abhängigkeit entstehen; historische Erfahrungen zeigen uns, dass die Aufrechterhaltung von wirtschaftlichen Beziehungen langfristig ein besseres Mittel darstellen als Isolation. Investitionen können dazu dienen bessere Rahmenbedingungen in der Türkei zu schaffen, die sich letztlich auch auf die politischen Beziehungen positiv auswirken.

Die türkische Regierung missachtet mehr denn je Freiheitsrechte und demokratische Prinzipien. Ist es nicht moralisch verwerflich, gerade jetzt der türkischen Regierung mit einer Milliarden-Investition ein so großzügiges Geschenk zu machen? 

Man sollte es dennoch nicht kategorisch ablehnen. Die Türkei ist mehr als nur die türkische Regierung. In der Bevölkerung gibt es viele Menschen, die das Land zu einer liberalen Demokratie hinbewegen wollen. Sanktionen würden die gesamte Bevölkerung abstrafen – das kann nicht die Lösung sein. "Der Wirtschaft soll es noch schlechter gehen";  das ist ein Ansatz, mit dem man in der Welt nicht viele Probleme lösen würde. In der VW-Investition überwiegen für mich die langfristigen positiven Effekte trotz der gegenwärtigen politischen Herausforderungen.