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Interview Michael Philipp

19. Dezember 2011

Das Amt des Bundespräsidenten ist in Mitleidenschaft gezogen. Und doch hält der Historiker Michael Philipp im Gespräch mit DW-WORLD.DE einen Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff nicht für nötig.

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Bundespräsident Christian Wulff mit nachdenklichem Blick (Foto: dpa)
Bild: dapd

DW-WORLD.DE: Herr Philipp, sie haben 250 Politiker-Rücktritte untersucht. Wann werden Sie den von Bundespräsident Christian Wulff untersuchen müssen?

Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt, da es doch bedauerlich wäre, wenn so schnell nach Herrn Köhler ein zweites Mal ein Bundespräsident zurücktreten würde. Und so, wie es aussieht, scheint Herr Wulff durch seine Flucht nach vorn sich an der Aufklärung von Vorwürfen aktiv beteiligen zu wollen und deswegen könnte es durchaus sein, dass über die Weihnachtstage die momentane Erregung abklingt.

Was konkret ist ihm denn vorzuwerfen, was hat er bisher falsch gemacht?

Zwei Dinge hat er falsch gemacht: Er hat in seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen eine nicht ganz geschickte Nähe zu Unternehmern aufgebaut, die sich in diesem Kredit und in Urlaubsaufenthalten in Häusern dieser Unternehmer niedergeschlagen hat und da ist sein sehr ungeschicktes Krisenmanagement.

Wenn man die Rücktritte unter Bundespolitikern untersucht, stellt man fest, dass häufig ein schlechtes Krisenmanagement der eigentliche Grund für den Rücktritt ist.

Halten Politiker die Journalisten für so blöd? Warum kommen die nicht gleich mit der ganzen Wahrheit heraus, und zwar rechtzeitig, wenn sich das Ganze wieder einrenken lässt mit einem Geständnis und der Bitte um Entschuldigung? Warum gibt es Geständnisse immer nur in der Salami-Taktik?

Salami-Taktik ist das richtige Stichwort. Die ist tatsächlich sehr weit verbreitet. Es gibt viele Gründe dafür, dass sich Politiker nicht richtig beraten lassen oder den richtigen Zeitpunkt verpassen. Vielfach ist es ein gewisser Realitätsverlust oder ein überzogenes Selbstwertgefühl oder auch der Eindruck, man könne sich dieser Vorwürfe erwehren, ohne konkret darauf einzugehen.

Inwieweit ist das Amt des Bundespräsidenten durch den Köhler-Rücktritt und die aktuelle Affäre Wulff schon beschädigt?

Der Historiker Michael Philipp (Bild: Philipp)
Historiker Michael PhilippBild: Michael Philipp

Das Amt des Bundespräsidenten ist durch den aktuellen Fall durchaus in Mitleidenschaft gezogen. Der Bundespräsident sollte oberhalb der tagesaktuellen Auseinandersetzung stehen und sich nicht durch persönliches Fehlverhalten oder fragwürdiges Verhalten in seine solche Diskussion begeben müssen.

Aber haben wir nicht alle einen kleinen schwarzen Fleck in unserer Vita? Da würde sich die Suche nach einem Bundespräsidenten schwierig gestalten.

Es geht nicht um die Frage, ob jemand eine weiße Weste haben muss und in jeder Hinsicht unbescholten ist. Nach der momentanen Sachlage hat sich Herr Wulff auch keinerlei Rechtsverstöße schuldig gemacht; insofern ist ihm juristisch auch nichts vorzuwerfen. Es ist eher eine Frage des politischen Anstands oder der Schicklichkeit, ob man diese Urlaubsreisen und diesen Kredit annimmt oder nicht. Das ist eine Frage der moralischen Bewertung. Aber er hätte noch als niedersächsischer Ministerpräsident offen zu diesem Kredit stehen sollen und nicht den Eindruck erwecken sollen, dass es etwas zu verbergen gibt. Seine anfänglichen Reaktionen jetzt vermitteln auch den Eindruck, es sei etwas schief gelaufen und hier gebe es etwas zu verbergen.

Würde ein weiterer Tropfen, würde eine weitere Enthüllung das Fass zum Überlaufen bringen?

Das ist relativ häufig so. Rücktritte haben eine eigene Dynamik. Oftmals führt das Dementi eines Politikers zu weiteren Recherchen. Häufig kommt dabei das Eine zum Anderen und häufig ist dann eine Situation erreicht, wo man sagt: jetzt ist es zuviel, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. In diesem Fall haben wir aber besondere Bedingungen: Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt, und der eigentliche Grund, der Politiker zum Rücktritt drängt, ist die eigene Partei, die negative Auswirkungen für die nächsten Wahlen befürchtet. Dieser Faktor trifft aber im Fall des Bundespräsidenten nicht zu.

Es drängt sich der Vergleich mit dem Profifußball auf. Wird die Trainerfrage erstmal durch die Medien und das Volk gestellt, ist es meistens schon zu spät. Auf die Treuebekundungen folgt relativ bald der Rauswurf. Kann man ähnliche Mechanismen in der Politik überhaupt noch bremsen?

Bei Politikern, die aktiv sind im Parteigeschehen, also bei Ministern oder Ministerpräsidenten, ist dieser Mechanismus schwer zu beherrschen. Im Falle des Bundespräsidenten ist es etwas anderes. Da ist natürlich die Erregung in der Bevölkerung, die auch durch die Medien transportiert und zum Teil auch gesteigert wird. Dennoch bin ich der Meinung, dass, wenn Herr Wulff das Stehvermögen besitzt – und nach seinen jetzigen Äußerungen sieht es so aus – dann wird ihn niemand abziehen können. Wäre er Minister, wäre es etwas anderes.

Das Interview führte Tobias Oelmaier.
Redaktion: Andrea Grunau

Michael Philipp ist Historiker und Autor des Buches "Persönlich habe ich mir nichts vorzuwerfen: Politische Rücktritte in Deutschland von 1950 bis heute". Darin untersucht er 250 Rücktritte deutscher Spitzenpolitiker.