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Geothermie

Geraldo Hoffmann21. November 2007

Geothermie könnte die Hälfte des deutschen Strombedarfs decken, sagen Experten. Bislang wird sie aber kaum genutzt. Ein innovatives Kraftwerk in Unterhaching bei München könnte das ändern.

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Oberbürgermeister Erwin Knapek und Projektleiter Christian Schönwiesner-Bozkurt (Rödl & Partner) feiern in einem improvisierten Thermalbad den Erfolg der ersten Bohrung. Foto: DW/ Rödl & Partner
Geothermie: Nicht nur zur StromgewinnungBild: Rödl & Partner

Unter dem größten Teil Süddeutschlands kocht es: "Es ist Europas größtes zusammenhängendes Gebiet, aus dem Thermalwasser erschlossen werden kann. Das muss man sich wie einen Schwamm vorstellen, der die Ausmaße des Bodensees besitzt", erklärt Christian Schönwiesner-Bozkurt, Leiter des Geothermieprojektes Unterhaching.

Diese preiswerte und Klima schonende Energiequelle anzuzapfen, ist das Ziel der Gemeinde Unterhaching, die noch im Jahr 2007 das derzeit ehrgeizigste Geothermieprojekt Deutschlands abschließen will: Neben der direkten Einspeisung von Heizenergie in das Fernwärmenetz – wie es bereits anderswo in Deutschland gemacht wird – soll hier auch Strom aus Erdwärme erzeugt werden.

Risikobereitschaft wurde belohnt

Es gehe um "das Topprojekt des dritten Jahrtausends, um zu zeigen, was in Deutschland getan werden müsste", sagt Bürgermeister Erwin Knapek (SPD). Allein die Planungs- und Bohrphase dauerte drei Jahre. Zudem investierte die Gemeinde rund 70 Millionen Euro, 16 Millionen Euro kostet allein das Kraftwerk, samt zehjähriger Wartung.

Das Risiko der Bohrung wurde mit einer 1,2-Millionen-Prämie abgesichert. Die Versicherung musste aber nicht in Anspruch genommen werden – ein Viertel der Prämie wurde später rückerstattet, denn am 24. September 2004 stieß der riesige Bohrmeißel in 3.346 Metern Tiefe tatsächlich auf 122 Grad Celsius warmes Wasser. Und wie prognostiziert, ließen sich 150 Liter pro Sekunde an die Oberfläche fördern. Inzwischen sind rund 140 Kundenanlangen installiert und etwa 90 Wärmeübergabestationen an das Fernwärmenetz angeschlossen. Mittelfristig sind 70 Megawatt Anschlussleistung geplant.

Erste Kalina-Anlage Europas

Die meisten der bisher in Europa gebauten Erdwärme-Förderanlangen wandeln die Wärme aus dem einst glühenden Planeten nicht in Strom um, sondern leiten sie direkt in die Heizung weiter. In Deutschland gibt es vor allem in den neuen Bundesländern mehrere solche Anlagen, die noch aus DDR-Zeiten stammen.

Eine davon, das Kraftwerk Neustadt-Glewe in Mecklenburg-Vorpommern, produziert seit drei Jahren auch Elektrizität. Die im November 2003 in Betrieb genommene Dampfturbine hat allerdings nur eine Leistung von 210 Kilowatt. Und sie arbeitet mit dem nach Expertenmeinungen nicht sehr effiziente ORC-Verfahren (Organic Rankine Cycle). Dabei wird wegen der niedrigen Temperaturen des Thermalwassers (97º C) über Wärmetauscher ein organisches Arbeitsmedium erhitzt, das bereits weit unter 100º C verdampft.

Unterhaching hingegen setzt auf das “Kalina-Verfahren“, das nach dem russischen Erfinder Alex Kalina genannt ist und von Siemens erstmals in Europa getestet wird. Dabei wird ein Amoniakwassergemisch genutzt, das erhitzt wird, verdampft, in die Turbine geleitet wird und den Generator antreibt. "Dieses Verfahren steigt die Effizienz bei der Energieerzeugung und könnte zu einem deutschen Exportschlager werden", so Schönwiesner-Bozkurt.

In wenigen Wochen soll die Kalina-Anlage mit einer Kapazität von 3,4 Megawatt in Betrieb gehen. In der Luft über Unterhaching liegt bereits ein Hauch von Energiewende. Denn mit Erdwärme lässt sicht nicht nur Geld sparen – die Gemeinde verspricht stabile Preise und 15 Prozent Einsparung bei der Energieumwandlung in der Heizung: "Wir sparen zwischen 30.000 und 40.000 Tonnen CO2 pro Jahr ein, also bis zu zwei Drittel der CO2-Emissionen für stationäre Energie", so Bürgermeister Knapek.

Goldgräberstimmung

Mindestens ein Viertel der 20.000 Haushalte in Unterhaching soll künftig mit Wärme und Strom aus dem "Schweiß der Erde" versorgt werden. Die ersten Erfolge des Projektes haben bereits eine Goldgräberstimmung in der Region ausgelöst: Laut Schönwiesner-Bozkurt sind in Bayern bereits mehr als 90 so genannte Erlaubnisfelder mit einem geschätzten Investitionsvolumen von 3,5 bis 4 Milliarden Euro beantragt und erteilt worden.

Am Alpenrand, in den neuen Bundesländern und in Rheinlandpfalz vermuten Wissenschaftler bislang die wirtschaftlichsten Heißwasserlagern. Eine Studie des Bundestages bezifferte 2003 das Gesamtpotential der Erdwärme in Deutschland auf 300.000 Terawattstunden. Davon seien unter Nachhaltigkeitsaspekten jährlich etwa 300 Terawattstunden sinnvoll nutzbar, was etwa der Hälfte der gegenwärtigen Bruttostromerzeugung entspreche. Allerdings sei die Stromerzeugung mittels Geothermie weit teurer als bei Steinkohle- und Gaskraftwerken.

Während Investoren vor Tiefengeothermieprojekten – die bislang keine attraktive Rendite versprechen – noch zurückschrecken, wird die so genannte Oberflächengeothermie (bis 400 Meter Tiefe) bundesweit zunehmend genutzt. 2006 waren mit 24.000 Erdwärmesystemen doppelt so viele dieser Klima schonenden Anlagen in Privathäusern, Gewerbebauten und öffentlichen Einrichtungen neu installiert worden wie in 2005, meldet der Bundesverband Gheotermie.

Der Verband schätzt, dass derzeit über 100.000 solche kleinen Anlagen installiert sind. Damit stehe in Deutschland bereits mehr als 1 Gigawatt Wärme aus geothermischen Ressourcen zur Verfügung. Das stimmt auch Unterhachings Bürgermeister Erwin Knapek optimistisch: "Die Geothermie ist auf dem Vormarsch."

Nahaufnahme eines 23 Zoll grossen Bohrmeißels, Foto: DW/ Rödl & Partner
In über 3000 Metern Tiefe wurde heißes Wasser gefundenBild: Rödl & Partner
Bürgermeister Erwin Knapek, Foto: DW/ Geraldo Hoffmann
Knapek freut sich über das 'Topprojekt des dritten Jahrtausends'Bild: Geraldo Hoffmann
Schaubild Geothermie, Quelle: DW/ Rödl & Partner
So funktioniert GeothermieBild: Rödl & Partner