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Politik

Nicht verzagen, Wahl-App fragen

Tom Allinson mb
13. Mai 2019

Bei der EU-Wahl den Überblick zu behalten, ist für die meisten Wähler schwierig - allein in Deutschland treten 41 Parteien an. Digitale Wahlhelfer sollen Orientierung bieten. Doch wie groß ist die Manipulationsgefahr?

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Europawahl 2019 | Wahl-O-Mat
Bild: Imago Images/C. Ohde

Es steht viel auf dem Spiel bei der Wahl zum EU-Parlament vom 23. bis 26. Mai. Die Populisten haben viel zu gewinnen, die etablierten Parteien viel zu verlieren; die Wahl könnte somit die EU grundlegend verändern. Die europaweit etwa 374 Millionen Wähler aus 28 Staaten haben die Qual der Wahl - in Deutschland etwa kandidieren 41 Parteien.

Die Entwickler von Wahlberatungs-Apps und -Webseiten, wie der deutsche Wahl-O-Mat oder die internationale App "VoteSwipe", wollen den Wählern bei der Entscheidungsfindung helfen. Sie gleichen die Positionen der unterschiedlichen Parteien ab.

Die Vielfalt ist groß bei solchen Apps: Bei manchen muss man einfach rechts oder links über die Oberfläche wischen, je nachdem, ob man einer Aussage zustimmt oder nicht. Andere sind komplexer, liefern detaillierte Analysen, Vergleiche und Diskussionspunkte.

Alle Apps geben an, dieselben Ziele zu verfolgen: Sie wollen Diskussionen fördern, politisch bilden und die Wahlbeteiligung erhöhen. Ihr Einfluss nimmt zu: Zwischen zehn und 40 Prozent der Wähler in der EU haben laut Umfragen bei einer der letzten großen Wahlen in ihrem Land davon Gebrauch gemacht.

Screenshot der Website VoteSwiper
Frage in der App "VoteSwiper": Soll die EU eine eigene Armee und ein eigenes Budget für Verteidigung haben? Bild: VoteSwiper

Ungewollte Einflussnahme? 

Aber geht der Einfluss dieser Apps und Webseiten vielleicht zu weit? Denn der Grad zwischen demokratischer Beratung und politischer Bevormundung zu Gunsten bestimmter Parteien ist schmal. "Ungewollte Einflussnahme ist ein mögliches Problem", sagt Uwe Wagschal. Er arbeitet für "VoteSwipe" und als Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg.

"Als Forscher hat man natürlich seine eigene Einstellung", so Wagschal. "Und wie Fragen formuliert werden, das kann den Nutzer natürlich in eine bestimmte Richtung lenken." 

"App-Entwickler müssen insbesondere beachten, dass Nutzer lieber positiv als negativ auf Fragen antworten", erklärt Stefan Marschall. Der Politologe der Universität Düsseldorf hat den Wahl-O-Mat mitentwickelt. "Es gibt diese Tendenz bei Menschen, sich zu fügen; man entscheidet sich lieber für zustimmende Aussagen", fügt er hinzu.

Politikwissenschaftler Stefan Marschall
Politikwissenschaftler Stefan Marschall hat den Wahl-O-Mat mitentwickeltBild: picture alliance/dpa/R. Vennenbernd

Strategische Themenauswahl

Für die Gestaltung der App bedeutet das: Entwickler "haben die Möglichkeit, eine Partei zu bevorzugen, je nachdem, wie sie die Fragen formulieren", sagt Bastiaan Bruinsma, der zu Wahlberatungs-Apps forscht.

Zudem bestehe die Möglichkeit, dass durch die Auswahl der Fragen und Themen eine Partei bei einer Wahl bevorzugt werden könnte, so Politologe Wagschal. Wenn man einem Thema besonders viele Fragen widme, könne dies natürlich Einfluss auf die Wahlentscheidung haben.

Es gibt viele weitere Faktoren, die beeinflussen, ob eine App die "wahren" politischen Präferenzen des Wählers widerspiegelt oder eben nicht: Design, Struktur, die Auswahl an Antwortmöglichkeiten, oder ob man eine persönliche Gewichtung von Themen angeben kann.

"Es gibt unbegrenzte Möglichkeiten, wie Wahlberatungs-Plattformen Wähler beeinflussen und manipulieren können", weiß der niederländische Experte für Fake News, Ruurd Osterwoud . "Diese Apps oder Seiten machen einen anfällig. Sie spiegeln nicht wider, wen man wirklich wählen will", glaubt er.

Um einer möglichen Manipulation vorzubeugen, haben Experten wie Wagschal und Marschall einen Transparenz-Leitfaden mit strengen Regeln entwickelt, wie Fragen formuliert werden sollen.

Frankreich Europawahl 2019 | Wahlkampf in Toulouse
Klassischer Wahlkampf - in den meisten EU-Staaten immer noch die verbreitetste Form der Parteienwerbung Bild: Getty Images/AFP/E. Cabanis

Digitale Wahlberatung erfolgt nicht nur von staatlicher Seite, wie zum Beispiel der Wahl-O-Mat von der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch kommerzielle Apps und Webseiten sind in das Geschäft eingestiegen. Ein Beispiel dafür ist "iSideWith".

Die Plattform hat nach eigenen Angaben fünf Millionen Nutzer in Großbritannien und 800.000 in Spanien. Sie steht zwar keiner Partei nahe, allerdings sammelt und verkauft sie Nutzerdaten an Parteien. Politische Gruppen können so ihre Kampagnen auf bestimmte Zielgruppen zuschneiden.

Es gibt sogar Wahlberatungs-Plattformen, die von Parteien selbst entwickelt wurden. Die Gefahr allerdings, dass dadurch Wähler manipuliert werden könnten, sagt Stefan Marschall, sei relativ gering, da diese Angebote für Wähler nicht glaubhaft seien.

Parteien kaufen Nutzer-Daten

Wie weit reicht der Einfluss von Wahlberatungs-Plattformen? Könnten sie - ob gewollt oder ungewollt - eine Wahl entscheiden? Die Meinungen darüber gehen auseinander. 

Laut Politikwissenschaftler Wagschal nutzen rund vier Prozent der deutschen Wähler "den Wahl-O-Mat oder vergleichbare Angebote, um ihre endgültige Wahlentscheidung zu treffen". Bei einer knappen Wahl könnten Wahlberatungs-Plattformen also möglicherweise das entscheidende Zünglein an der Waage sein.

Dennoch wurde ihr Einfluss bisher kaum in Frage gestellt. Auch die Gefahr durch ein potentielles Hacking von Wahl-O-Mat und ähnlichen Angeboten sei bisher nicht überprüft worden, sagt Marschall. Dies liege wahrscheinlich auch daran, dass die digitalen Wahlhilfen bisher noch als weit weniger einflussreich gelten als Informationen aus Fernsehen, Zeitungen und Online-Nachrichtenseiten.