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Politik

Wahlkampf beim Wächter der EU-Grenze

17. Mai 2019

Einer ihrer wenigen Auftritte im EU-Wahlkampf wird Angela Merkel in Kroatien absolvieren. Das liegt auch an der wichtigen Rolle, die das Land in der gegenwärtigen europäischen Flüchtlingspolitik spielt.

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Serbien Flüchtlinge an der Grenze zu Kroatien
Flüchtlinge auf dem Weg nach WesteuropaBild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Wenn am Samstag die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Spitzenkandidat der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber ihren kroatischen Gastgeber Andrej Plenkovic treffen, wird es nicht nur um die Unterstützung eines treuen Verbündeten im EU-Wahlkampf gehen. Kroatien gilt derzeit auch als zuverlässiger Bewacher der EU-Außengrenze - und hilft dadurch, das Flüchtlings-Thema im Vorfeld der EU-Wahlen möglichst klein zu halten. Die Einhaltung der Menschenrechte spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Das belegt vor wenigen Tagen ein Team des Schweizer Fernsehens SRF. Heimlich filmte es an der grünen bosnisch-kroatischen Grenze an zwei Tagen insgesamt vier sogenannte Push-Backs, illegale Abschiebungen von Flüchtlingen aus Kroatien. Worüber Menschenrechtsorganisationen schon seit langem berichten, ist nun offenbar auch dokumentiert: widerrechtlich und unter Androhung von Gewalt schicken kroatische Polizisten Flüchtlinge, die sich schon auf kroatischem Territorium befinden und dort auch schon um Asyl gebeten hatten, zurück nach Bosnien und Herzegowina.

Es handelt sich hauptsächlich um Flüchtlinge aus Pakistan, Algerien und Afghanistan. Den Schweizer Journalisten schildert  einer aus der Gruppe, wie sie von der kroatischen Polizei behandelt wurden nachdem sie mit Polizeiautos bis zu einem Wäldchen an der Grenze nach Bosnien gebracht wurden: "Sie öffneten die Tür des Vans und sagten: 'Einer nach dem anderen!' Sie zerstörten unsere Handys und gaben uns unser Geld nicht mehr zurück. Dann schlugen sie uns mit den Stöcken, traten uns und sagten: 'Go Bosnia!'"

Migranten in Bosnien an der Grenze zu Kroatien
Tausende warten in der Nähe der bosnisch-kroatischen Grenze auf eine Gelegenheit, in die EU zu kommenBild: picture-alliance/dpa/A. Emric

Gewalt an der Grenze

Damit verstoßen die Beamten klar sowohl gegen die Völkerrechtsbestimmungen, als auch gegen die geltenden EU-Verordnungen, sagt Julija Kranjec vom Zagreber NGO Zentrum für Friedensstudien (CMS) in einem DW-Gespräch. Denn alle Flüchtlinge, die ein EU-Land betreten und dort Asyl beantragen, haben das Recht auf eine Einzelfallprüfung, also ein individuelles und rechtstaatliches Verfahren. Das gilt auch für die Fälle illegaler Einreise. Und auch eine Abschiebung ist nur  möglich im Rahmen eines geordneten Verfahrens, betont Kranjec: "Das darf nicht auf dem inoffiziellen Weg geschehen."

Gefährliches Schlupfloch in Bosnien

Das kroatische Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Polizisten würden nur diejenigen an der Einreise in die EU abhalten, die versuchen, illegal die EU-Grenze zu überqueren. Das sei im Einklang mit den Bestimmungen des Schengener Abkommens über den Schutz der EU-Außengrenze. Außerdem sei der Grenzabschnitt dort minenverdächtiges Gebiet, argumentiert man in Zagreb. Deshalb hätten die Polizisten die illegal nach Kroatien eingereisten Personen auf die nächstgelegene Forststraße geleitet. Das legt die Schlussfolgerung nahe, den Flüchtlingen sei tatsächlich geholfen worden. Zudem seien die Behauptungen, die Flüchtlinge seien geschlagen und bestohlen worden, "falsch", so das Innenministerium.

Schikane, Drohungen, illegale Gefängnisse

Allerdings sind solche Vorwürfe gegen die kroatischen Behörden nicht neu. Schon Ende 2018 veröffentlichte die zivile Beobachterorganisation Border Violence Monitoring (BVM) zahlreiche verdeckt aufgenommene Videos auf denen zu sehen sein soll, wie bewaffnete kroatische Polizisten Migranten, die sich schon auf kroatischem Territorium befinden, auf einen Waldweg zurück nach Bosnien-Herzegowina eskortieren. Und in ihrem jüngsten Bericht schreibt die Organisation sogar von einem illegalen Gefängnis in dem kroatischen Ort Korenica. Da würde man Flüchtlinge widerrechtlich und unter menschenunwürdigen Umständen festhalten, bevor man sie dann über die grüne Grenze zurück nach Bosnien schicke, so die Vorwürfe.

"Seit über zwei Jahren gibt es Berichte verschiedener kroatischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen mit Zeugenaussagen über solche Praktiken. Und auch die kroatische Beauftragte für Menschenrechte hat darüber geschrieben. Aber alles ist ohne Wirkung geblieben", sagt Julija Kranjec vom Zentrum für Friedensstudien." Das Innenministerium verneint routiniert alle Beschuldigungen. Man behauptet, alle Beschwerden wurden geprüft, aber nichts sei gefunden worden, was sie bestätigen würde. Offiziell heißt es in Kroatien immer, die Polizei würde stets im Einklang mit dem Gesetz handeln."

Aktivisten kämpfen gegen Gewalt an Migranten
Aktivisten kämpfen gegen Gewalt an Migranten - Kroatische Behörden weisen alle Beschuldigungen zurückBild: picture-alliance/P. Macek

Kroatien - ein braver Grenzwächter?

Seit die alte Balkanroute, über die 2015 etwa eine Million Flüchtlinge in die EU eingereist sind, durch Zäune an der ungarisch-serbischen und ungarisch-kroatischen Grenze geschlossen ist, versuchen Tausende Migranten über die sogenannte "neue Balkanroute" durch Bosnien-Herzegowina nach Kroatien zu gelangen. Die bosnischen Behörden haben allein 2018 mehr als 21.000 Migranten registriert.

Der Regierung in Zagreb ist zwar klar, dass die Flüchtlinge Kroatien vor allem als ein Transitland auf dem Weg nach Westen sehen, dennoch will man sich als braver Grenzwächter präsentieren. "Für die Regierung gehört der Beitritt zum Schengen Raum, der keine Binnengrenzen zwischen den EU-Staaten vorsieht, zu den außenpolitischen Prioritäten", sagt Julija Kranjec. "Daher will Kroatien zeigen, dass es in der Lage ist, die Außengrenze der EU zu schützen. Die Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung der Rechte der Geflüchteten werden dabei einfach in Kauf genommen."

Im Dienste Europas?

Und Kroatien ist kein Einzelfall innerhalb der EU. "Wir haben Berichte über ähnliche Praktika sowohl aus anderen Ländern, die sich an der EU-Außengrenzen befinden, als auch von einigen EU-Binnengrenzen", sagt Kranjec. Das scheint in der EU eine übliche Praxis geworden zu sein.

Daher verwundert nicht, dass für ihre Haltung die kroatische Regierung offenbar auch auf der EU-Ebene eine Rückendeckung bekommt. Schon zwei Mal haben die Abgeordneten des EU-Parlaments an die EU-Kommission  geschrieben, und die illegale Abschiebe-Praxis scharf kritisiert, allerdings ohne eine Antwort zu bekommen. Auch zu dem jüngsten Fall will die Kommission keine Stellung nehmen - wie die Schweizer Medien berichten, wurde eine Anfrage zu den jüngsten Vorfällen an den EU-Kommissar für Migration abgelehnt. Und es ist nicht zu erwarten, dass bei Merkels und Webers Besuch in Zagreb das Thema kritisch angesprochen wird.