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Wahnsinn mit Methode

Claus-Dieter Gersch22. Juli 2002

Wissen wir überhaupt noch, was die Tiere fressen, die wir essen? Die Skandale um Gift in der Nahrung sollten endlich zu einem Umdenken bei Verbrauchern, Produzenten und Politikern führen, meint Claus-Dieter Gersch.

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Ein Skandal folgt dem anderen: erst Dioxin, dann Nitrofen, in diesen Wochen nun Hormone und Antibiotika im Futter der Tiere. Es ist ein Wahnsinn. Verseuchte Abfälle werden Schweinen und Rindern zu fressen gegeben; die Menschen wiederum essen das Fleisch der Tiere. Sie alle befinden sich in einem gefährlichen Kreislauf. Im Mittelpunkt der Mensch, der Fleischesser; im Visier: der kriminelle Giftmischer, der einen größeren Profit erwartet, wenn er hochbelastete Abfälle in diesen Kreislauf einschleust und entsorgt. Es ist ein Wahnsinn.

Hunderte von Höfen in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, sind geschlossen, weil die Tiere mit hormonhaltigem Futter gefüttert wurden. Und woher kommt der Müll? Irgendwo in Irland deklarierte eine amerikanische Pharmafirma, die Anti-Baby-Pillen herstellt, ihren Abfall nicht als hochbelastet, sondern harmlos als zuckerhaltig. Das Zeug kaufte ein Futtermittelhersteller in Belgien, und schliesslich landete es in deutschen Ställen.

Müll kennt keine Grenzen in der globalisierten Welt. Giftige Abfälle werden hin und her gekarrt - und weil die Entsorgung teuer und die kriminelle Energie in der Futtermittelindustrie hoch ist, sind sie den Schweinen und Rindern ins Futter gemischt worden. Es ist ein Wahnsinn.

Niemand weiß genau, wie gefährlich hormonbelastetes Fleisch für den Menschen tatsächlich ist. Erste Untersuchungen zeigen: eine gesundheitliche Gefährdung ist bei diesen Mengen unwahrscheinlich. Eines aber ist klar: niemand kennt die Langzeitwirkung. Und klar ist auch: es ist verboten, Wachstumshormone in das Tierfutter zu mischen. Deshalb muss sich die ganze Aufmerksamkeit auf die mafiösen Strukturen in der europäischen Futtermittelindustrie richten - mit dem Ziel, die Giftmischer dingfest zu machen.

Es ist noch gar nicht lange her, da loderten die Scheiterhaufen in Europa. Rinder und Schweine mussten geopfert, verbrannt, vernichtet werden, aus Angst vor dem Rinderwahnsinn und der Maul- und Klauenseuche. Diese Bilder gingen um die Welt. Aber auch andere Bilder kamen ins Bewusstsein: Bilder von Kadavern kranker Tiere, die zusammen mit Krankenhausabfällen industriell zu Tierfutter verarbeitet wurden. Ganz abgesehen von der Gefahr für die gesunden Tiere, infiziert zu werden, wurde nun auch dem Letzten klar: Was in der Natur unmöglich ist, das schaffte die Futtermittelindustrie: pflanzenfressende Rinder und Schweine fressen aufbereitete Rinder und Schweine.

Und hier wird der ganze Wahnsinn, der systematische Wahnsinn deutlich. Da ist zunächst der Verbraucher, der billig einkaufen möchte. Da sind die internationalen Lebensmittelkonzerne, die den Preis drücken. Da ist der Bauer, der billig herstellen und verkaufen muss. Da ist die Futtermittelindustrie, die den Bauern große Erträge zu niedrigen Preisen verspricht. Da ist die Europäische Union mit ihren widersinnigen Agrarsubventionen. 40 Milliarden Euro werden jährlich unter die Bauern gebracht: die Produktion wird subventioniert und der Preis auch, die Lagerung wird bezuschusst und der Export ebenfalls: sogar die Vernichtung der eingelagerten Produktion wird subventioniert. Es ist ein Wahnsinn.

Lasst die Bauern wieder Bauern sein! Qualität, nicht die Menge soll subventioniert werden. So ähnlich steht es ja auch in der geplanten neuen Brüsseler Agrarordnung. Und ein Bauer, der seine Ware auf dem Wochenmarkt anbietet, weiß, dass er für gute Ware einen guten Preis verlangen kann. Ein Bauer, der hochwertiges Futter einkauft oder sein Tierfutter selbst mischt, weiß in der Regel, was im Trog ist. Und er wird niemals, niemals pharmazeutische Abfälle oder aufbereitete Tierkadaver seinen Schweinen und Rindern zu fressen geben. Die würden ihn auch aus dem Stall jagen.