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Warnungen vor ACTA-Nachfolge

Insa Moog2. August 2012

Hunderttausende Europäer protestierten online und auf den Straßen gegen ACTA. Im Juli lehnte das EU-Parlament das Abkommen ab. Nun machen sich Netzaktivisten bereit, um mögliche ACTA-Nachfolger abzuwehren.

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Teilnehmer einer Demonstration gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen ACTA in Berlin im Februar 2012 (Foto: AP)
ACTA Demonstration Anti OrotesteBild: AP

"Wir alle haben ACTA gemeinsam gestoppt", schreibt der Verein "Digitale Gesellschaft" auf seiner Website. Die Netzaktivisten-Lobby um Markus Beckedahl, außerdem Chefredakteur von "netzpolitik.org", einem der renommiertesten deutschen Blogs, betrachtet das Scheitern des umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens ACTA auch als persönlichen Sieg. Monatelang hatten Beckedahl und Co. Informationsmaterial verbreitet, Protest in Deutschland organisiert und mobilisiert. Das EU-Parlament lehnte ACTA nach den massiven Protesten europaweit Anfang Juli 2012 ab.

Längst werden nun die, die gegen ACTA waren, erneut auf Widerstand eingeschworen: In Blogs, Foren, auch in den sozialen Netzwerken machen Gerüchte um mögliche ACTA-Nachfolger die Runde: Abkommen, Richtlinien, Regeln, die Urheber- und Patentrechte oder die öffentliche Sicherheit schützen sollen, aus Sicht der Kritiker aber dabei das freie Internet oder die Privatsphäre der Bürger gefährden. Und die sind bereits auf den Plan gerufen. "Netzpolitik.org" warb zuletzt für den Anti-INDECT-Aktionstag.

Internet-Aktivist Markus Beckedahl (Foto: Markus Beckedahl)
Internet-Aktivist Markus BeckedahlBild: beckedahl.org

Mit INDECT zum Überwachungsstaat?

So gab es in Deutschland, Belgien, Österreich, Tschechien und Frankreich am Samstag (28.07.2012) bereits erste kleinere Protestaktionen gegen INDECT. INDECT, kurz für "intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment", ist ein internationales Forschungsprojekt für Überwachungssysteme. Die EU fördert es mit elf Millionen Euro. 2009 gestartet, sollen im Rahmen von INDECT in fünf Jahren angesetzter Projektlaufzeit Verfahren entwickelt werden, um Massenpaniken, aber auch Verbrechen vorherzusehen. Eingesetzt werden sollen dafür Videoüberwachung und biometrische Verfahren zur Gesichtserkennung, möglicherweise auch fliegende Drohnen. Mithilfe dieser technischen Hilfsmittel soll im öffentlichen Raum nach nicht näher definierten Verhaltensauffälligkeiten gefahndet werden.

EU-Kommission bietet Dialog an

Verdächtige Personen sollen erkannt und daraufhin eventuell bereits über sie gesammelte Informationen abgerufen und abgeglichen werden - zur Unterstützung der Sicherheitsbehörden bei der Gefahrenabwehr. "Lasst uns nicht zusehen, wie uns unsere Grundrechte entzogen werden", heißt es dazu in einem Youtube-Clip der selbsternannten "Hacktivisten"-Gruppierung Anonymous. Sie hatten bereits im Mai zum Aktionstag am 28. Juli aufgerufen. "Lasst uns gegen INDECT in gleicher Weise demonstrieren, wie wir es gegen ACTA zu Jahresbeginn getan haben", ermunterte der Clip mit dem Titel "Operation Indect". Marco Malacarne, Leiter des Referats für Sicherheitsforschung und Entwicklung der Generaldirektion Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission, ruft als Reaktion ebenfalls per Youtube zum Dialog über eine Online-Plattform auf, und verspricht beim weiteren Verfahren viel Transparenz.

Aktivist Alex Wilks mit Manuskript hinter Anti-ACTA-Plakat und Karton mit Anti-ACTA-Aufkleber (Foto: dapd)
Die Petition gegen das ACTA-Abkommen wurde Ende Februar 2012 dem Europäischen Parlament übergebenBild: dapd

CETA - ACTA in neuem Gewand?

Mehr ACTA als in INDECT soll im kanadisch-europäischen Handelsabkommen CETA ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") stecken, über das seit 2009 unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird. Wie viel genau, darüber gab es in der Vergangenheit großen Wirbel. Im Februar 2012 machte der kanadische Rechtswissenschaftler Michael Geist öffentlich, dass ganze Textpassagen aus ACTA wortwörtlich auch in CETA zu finden waren. CETA beschäftige sich insgesamt aber nur in einem Kapitel mit geistigen Eigentumsrechten, erklärt der deutsche Urheberrechtsexperte Leonhard Dobusch von der Freien Universität Berlin. "Themen sind dort zum Beispiel die Überwachung der Internetnutzung und die Herausgabe von Nutzerdaten im Fall von Urheberrechtsverletzungen", so Dobusch. Noch verhandelt die EU-Kommission. Offiziell kam zuletzt nur eine Reaktion auf den bereits verbreiteten Verdacht, CETA sei ACTA unter neuem Namen: Der Sprecher von EU-Handelskommissar Karel De Gucht, der auch für ACTA maßgeblich verantwortlich war, versuchte in einem Tweet zu beruhigen und dementierte, dass CETA weiterhin ACTA gleichen würde.

Urheberrechtsexperte Leonhard Dobusch (Foto: Leonhard Dobusch)
Leonhard DobuschBild: Leonhard Dobusch

IPRED2 vorerst vertagt

Ebenfalls um die Durchsetzung des Rechts am geistigen Eigentum wie bei ACTA geht es in der EU-Richtlinie IPRED. Die bereits bestehende Regelung sollte 2012 überprüft und weiterentwickelt werden. Nun soll die angekündigte Überarbeitung bis 2013 dauern. Wohl auch, weil die ACTA-Proteste vielen EU-Parlamentariern zu denken gegeben haben, meint Leonhard Dobusch. IPRED ist enger gefasst als etwa CETA, in dem es auch um materielle Güter jenseits von geistigem Eigentum gehe. "IPRED verpflichtet EU-Mitgliedsstaaten, Regelungen und Verfahren einzuführen, die den Schutz des geistigen Eigentums sichern", sagt Dobusch. Bevor IPRED2 kommt, soll ein Bericht Erkenntnisse über den Erfolg der Vorgängerrichtlinie liefern, ob Verfahren zur Rechtsdurchsetzung im Internet eher verschärft oder gelockert werden müssen.

Mögliche ITR-Reform im Dezember

Vor allem die Netzneutralität könnte bei einer Reform der International Telecommunications Regulations (ITR), internationaler Regularien für Telekommunikationsanbieter, bedroht sein. Im Dezember beraten darüber die 193 Mitgliedsstaaten der ITU, der internationalen Fernmeldeunion, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, in Dubai. "In Deutschland gibt es schon jetzt bestimmte Anbieter, die zu bestimmten Tageszeiten die Übertragungsgeschwindigkeit der Internetverbindung drosseln", erklärt Leonhard Dobusch. "Die Befürchtungen dabei sind, dass Internetzugangsanbieter wie die Deutsche Telekom zukünftig kontrollieren, welche Internetservices und Angebote man nutzen darf", so der Urheberrechtsexperte. Voraussetzung dafür wäre technisch die Möglichkeit, Datenpakete bei der Übertragung auf Inhalte zu überprüfen, die urheberrechtlich geschützt sind. Tauschbörsen könnten ausgehoben und Filesharing unterbunden werden.

Rot leuchtende Glasfaserkabel für den Internetzugang (Foto: picture-alliance/dpa)
Rot leuchtende Glasfaserkabel für den InternetzugangBild: picture-alliance/dpa

Europäisierung des Urheberrechts als Lösung

Im Internet ist die internationale Dimension der Normalfall. Das stellt nicht nur die Nutzer, sondern auch die Urheberrechtsexperten vor neue Fragen und Probleme. "Die Juristen sind sich nicht einig, was illegal ist im Netz - wie kann man es von den einfachen Nutzerinnen und Nutzern erwarten", gibt Experte Leonhard Dobusch zu bedenken. Eine Lösung für die Zukunft sieht er in einer Europäisierung des Urheberrechts mit europäischen Verwertungsgesellschaften für verschiedenste urheberrechtlich schützenswerte Inhalte.