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Warten auf die Ratspräsidentschaft

Alexander Kudascheff, Brüssel27. September 2006

Die finnische Ratspräsidentschaft - ein schöner Begriff aus der Welt der EU - tourt zurzeit auf Hochtouren. Informelle und formelle Sitzungen jagen sich. Dabei ist noch nicht mal Halbzeit und beide Gipfel stehen noch an.

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Im Herbst noch in Lahti, traditionell ein rituelles Stelldichein,um Wirtschaftsprobleme zu besprechen - und dann der übliche vorweihnachtliche Wintergipfel. Dabei gibt es neben Plätzchen in Brüssel auch immer ein herzliches Dankeschön der anderen 24 für die geglückte Ratspräsidentschaft ( selbst wenn nichts davon stimmt). Und dann - in den ein bis zwei Wochen bis zum neuen Jahr stellen sich die Neuen vor - demnächst also die Deutschen, die ja die Geschäfte der EU im ersten Halbjahr 2007 führen werden.

Ziele und Prioritäten schon festgelegt

Doch die Deutschen sind nicht zurückhaltend, sie scheinen es gar nicht abwarten zu können, demnächst das Sagen zu haben - auch wenn nur für sechs Monate. In Hintergrundgesprächen wird man schon darauf eingeschworen, welche Ziele, welche Prioritäten die Deutschen in diesem halben Jahr haben werden. Mag sein, dass damit auch ein bisschen von der im wahrsten Sinn des Wortes Malaise der Gesundheitsreform abgelenkt werden soll, aber unüblich ist es doch. Schließlich zeigt sich damit, wie viel man von der finnischen Ratspräsidentschaft hält. Nämlich nichts, auch wenn man es nicht so laut und deutlich sagt.
Das hat natürlich neben fehlendem Fingerspitzengefühl vor allem mit einem zu tun: dem immensen, dem schon übersteigerten Erwartungsdruck auf die Deutschen.

Übersteigerte Hoffnungen

Und der zeigt sich am besten in der europäischen Verfassungskrise: Die Verfassung ist tot, ja sicher, so hört man überall. Niemand kennt einen Ausweg. Ja warum denn? Die Deutschen werden's schon richten. Das heißt, die Antwort auf die Krise der EU heißt lapidar, lasst mal die Deutschen ran. Vertraut Ihnen, dann wird schon alles werden. Und Berlin scheint mit dieser Rolle, mit diesem Erwartungsdruck keine Probleme zu haben. Dabei weiß man natürlich, egal was Berlin vorschlägt, um aus der verfahrenen Verfassungskrise herauszukommen - die Franzosen müssen dann immer noch Ja sagen, die Niederländer auch - und all die, die noch gar nichts gesagt haben, die Dänen, Engländer, Schweden, Tschechen und Polen - lauter Länder mit einer gehörigen Portion Europaskepsis. Da ist mehr als Vertrauen in deutsche Fähigkeiten angesagt, da müssen die Deutschen politisch zaubern lernen - um die Verfassung zu retten. Ob die Regierung aber zaubern kann?

Es geht nur gemeinsam

Der Erwartungsoptimismus ehrt ja die Deutschen. Aber es wäre sicher vernünftiger, ihn stärker zu dämpfen. Auch die Deutschen kochen europapolitisch nämlich nur mit Wasser. Und sicher wäre es stilvoller - egal wie intensiv man seine Ratspräsidentschaft auch vorbereitet - nicht schon mitten in der finnischen Amtsperiode seine Ziele im Hintergrund zu verkünden. Denn auch für die Deutschen gilt die alte europäische Erkenntnis: egal wie wichtig, wie stark, wie groß, wie einflussreich ein Land sein mag - ohne die anderen 24 geht nichts - und so manches vernünftige Projekt ist schon am Widerstand eines Landes gescheitert, das sich nicht ernst genommen fühlte. Und da kommt es nicht auf die Größe an.