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Film

Warum analoge Filme erhalten werden müssen

Jochen Kürten
25. September 2016

Viele analog produzierte Filme wurden vernichtet, weil eine Archivierung überflüssig erschien. Diesen Fehler will man nicht wiederholen. Doch die Digitalisierung allein genügt nicht. Sie kann das Original nicht ersetzen.

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Filmstill - Das Luftschiff von Rainer Simon (Foto: DEFA-Stiftung/W. Ebert)
Bild: DEFA-Stiftung/W. Ebert

Als "Jahrhundertaufgabe" bezeichnete Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Sicherung des nationalen Filmerbes. Und das ist sie wohl auch, eine teure und langfristige Angelegenheit. Der Film hat es im Vergleich zu anderen Kultursparten in Deutschland schwer. Niemand würde im Lande der Dichter und Denker die Bedeutung eines Goethe- oder Schiller-Manuskripts in Zweifel ziehen oder die Partitur einer Beethoven-Symphonie.

Nationale Aufgabe: Filmerbe erhalten

Das Kino hat da noch Nachholbedarf - zumindest im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung. Auch dieses Defizit kam zur Sprache beim ersten Festival zur Bewahrung des nationalen Filmerbes "Film:ReStored_01", das die Deutsche Kinemathek initiiert hat. Dass Monika Grütters das Berliner Festival eröffnete, zeigt schon, wie ernst auch die Bundesregierung die Sache nimmt. Man ist sich einig: Gehandelt werden muss jetzt - sonst gehen wertvolle Filmschätze verloren.

Bei den Vorträgen in Berlin wurde eines deutlich. Im Zeitalter der Digitalisierung ist die Bewahrung des (analogen) Originals von immenser Bedeutung. Diese Erkenntnis setzt sich bei manchen erst langsam durch. Sieht man einmal von den Experten ab, so herrschte in den vergangenen Jahren bei vielen die Meinung, durch die Digitalisierung sei man in der Lage, Filme für die Ewigkeit zu sichern.  

Niemand weiß Genaues über die Zukunft digitaler Speichermedien

Ein Irrtum, wie Anke Wilkening von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung im Gespräch mit der Deutschen Welle erläuterte: "Es gibt derzeit keine wirkliche Datensicherung, die garantiert, dass die Daten in zehn oder 20, geschweige denn in 500 Jahren, noch vorhanden wären." Dies zu behaupten sei fahrlässig und leider herrsche diese Meinung auch in der Öffentlichkeit.

Deutschland Berlin - Filmfestival "Film:ReStored_01" Anke Wilkening von der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung (Foto: DW/J. Kürten)
Anke Wilkening von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-StiftungBild: DW/J. Kürten

Wilkening war in den letzten Jahren mitverantwortlich für die großen Restaurierungs- und Rekonstruktionsprojekte deutscher Filmklassiker wie "Metropolis" (1927) oder "Der müde Tod" (1921). Bei den Berliner Filmfestspielen gehören diese Premieren zu den alljährlichen Höhepunkten.

In den letzten Jahren sind zur analogen Rekonstruktion dieser Klassiker die Möglichkeiten der Digitalisierung hinzugekommen. Sie erlauben es, Filme für ein größeres Publikum wieder erreichbar zu machen. Doch eine Garantie für den ewigen Fortbestand der Werke gewährleisten die digitalen Techniken nicht. "In der digitalen Ära hat das Original noch einmal eine ganz andere Wertigkeit bekommen", gab sich Wilkening überzeugt.

Demnächst "Münchhausen" in frischen Farben

Rund 20 Filme werden von der Murnau-Stiftung jährlich digitalisiert. Hinzu kommen ein bis zwei große und prestigeträchtige Restaurierungsprojekte. Derzeit sitzt man bei der Stiftung in Wiesbaden an einer Neufassung des legendären Münchhausen-Films mit Hans Albers aus dem Jahre 1943, einem der ersten deutschen Farbfilme.

Kultur ist in Deutschland Ländersache. Das hat Vor- und Nachteile für den Erhalt des Filmerbes. Anders als etwa in Frankreich, wo alles zentral in Paris erfasst und bearbeitet wird, werden diese Aufgaben in Deutschland von  mehreren staatlichen wie auch privaten Institutionen und Stiftungen wahrgenommen. Manche Experten bedauern das. Sie fordern eine zentrale Archivierung und Digitalisierung im Bundesarchiv.

Das Bundesarchiv sammelt nicht alles

Deutschland Berlin - Filmfestival "Film:ReStored_01"  Dr. Michael Hollmann Leiter des Bundesarchivs in Koblenz (Foto: DW/J. Kürten)
Leiter des Bundesarchivs: Dr. Michael HollmannBild: DW/J. Kürten

Dessen Leiter, Michael Hollmann, erinnerte an die eingeschränkten finanziellen Mittel sowie die klare gesetzliche Aufgabe des Archivs: "Wir haben keinen eigenständigen Sammelauftrag für den Spielfilm." Hollmann und seine Mitarbeiter sammeln und digitalisieren neue Filme nur dann, wenn sie von der Deutschen Filmförderung mitfinanziert werden. Außerdem kümmern sie sich um ältere Konvolute wie die Filme, die während der Nazi-Herrschaft entstanden.

Auch Hollmann schätzt die Bedeutung der einzelnen Film-Originale, also der analogen Filmspulen, hoch ein: "Das Original hat über seinen Eigenwert, über seine Aura hinaus, auch in der digitalen Welt einen Wert", so Hollmann im Gespräch mit der DW. Nur am Original könne man diesen Wert und auch die Bedeutung der digitalen Ersatzformen wirklich beurteilen.

Viele Filme für immer verloren 

Besonders nachdrücklich verwies Paolo Cherchi Usai vom George Eastman Museum in Rochester/New York auf den Wert der Film-Originale im Zeitalter des digitalen Wandels. Usai listete auf, wie oft man sich in der Geschichte des Films schon geirrt habe. In der Frühzeit des Kinos seien die Filmspulen kurz nach Gebrauch einfach vernichtet und das Material wiederverwertet worden. Oft habe es einfach nicht genügend Gelatine, das Ausgangsmaterial für Nitratfilm, gegeben.

Filmarchiv Filmspulen
Auch im digitalen Zeitalter müssen die Filmspulen aufbewahrt werdenBild: picture-alliance/dpa

Dann wurden alle kürzeren Filme zerstört, weil man mit dem Aufkommen des Spielfilmformats dachte, die Kurzfilme wolle keiner mehr sehen. Der gleiche verhängnisvolle Prozess habe sich 1929 mit dem Wechsel vom Stummfilm zum Tonfilm wiederholt. Das Ergebnis: Die Mehrheit der rund 150.000 Filme, die bis 1930 entstanden, existieren heute nicht mehr, sie sind für alle Zeiten verloren.

Das analoge Original ist nicht zu ersetzen

In späteren Jahrzehnten war man der festen Überzeugung, mit der Einführung von Speichermedien wie Video, DVD oder Blu-ray habe sich der Wert des Originals ein für alle mal erledigt. Ein folgenschwerer Irrtum, wie Usai aufzeigte. Denn auch die digitalen Techniken hätten nur eine begrenzte Zukunftskapazität. Noch Anfang des Jahrtausends sei man im Begeisterungsrausch über die digitalen Möglichkeiten davon ausgegangen, Filme ließen sich für alle Ewigkeit speichern und erhalten. Ein Irrglaube, wie man heute weiß.

Filme müssen in den Original-Materialen erhalten und konserviert werden - das ist eines der wichtigsten Ergebnisse des ersten Festivals "Film:ReStored_01" in Berlin. Die Digitalisierung soll und muss genutzt werden. Doch das analoge Original ist nicht zu ersetzen. Nicht nur Filmwissenschaftler und Kino-Enthusiasten sind darauf angewiesen, auch Historiker und Forscher anderer Fachrichtungen. Diese Originale zu sichern und die Digitalisierung gleichzeitig voranzutreiben, ist wahrlich eine Jahrhundertaufgabe.