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Politik

Warum Deutschland am Iran-Deal festhält

Andreas Becker | Maximiliane Koschyk
9. Mai 2018

Politik und Wirtschaft in Deutschland sind bestürzt über den Rückzug der USA aus dem Iran-Deal. Die europäischen Vertragspartner wollen an dem Abkommen vorerst festhalten. Darum ist für Deutschland der Iran-Deal wichtig.

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Deutschland Außenministertreffen zum iranischer Atomvertrag
Bild: picture-alliance/NurPhoto/E. Contini

Die Reaktionen im politischen Berlin waren eindeutig: Die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen sei ein "schwerwiegender Fehler". Die Bundesregierung zeigt sich aber entschlossen, an dem Abkommen festzuhalten. Das bekräftigten sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Außenminister Heiko Maas.

Sie stellen sich damit nicht nur gegen den US-Präsidenten, sondern auch gegen seinen obersten Repräsentanten in der Bundeshauptstadt. Richard Grenell, der gerade erst sein Amt als US-Botschafter in Berlin angetreten hat, twitterte kurz nach Trumps Rede im Befehlston: "Deutsche Unternehmen, die im Iran tätig sind, sollten ihre Tätigkeit dort unverzüglich einstellen."

Die Replik der Adressaten ließ nicht lange auf sich warten. Es sei nicht die Aufgabe des US-Botschafters, "deutschen Firmen Anweisungen zu geben oder zu drohen", sagte Michael Tockuss, Vorstandsmitglied der Deutsch-Iranischen Handelskammer.

Nach Angaben der Handelskammer treiben rund 10.000 deutsche Firmen Handel mit dem Iran, etwa 120 Unternehmen sind derzeit mit eigenem Personal im Iran tätig. Alles stehen und liegen zu lassen, ist für sie keine Option.

Trump trifft die deutsche Wirtschaft hart

Entsprechend besorgt sind deutsche Wirtschaftsvertreter. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht von "enormer Verunsicherung" durch die angekündigten US-Sanktionen, Trumps Entscheidung "trifft die deutsche Wirtschaft hart".

Der Industrieverband BDI "bedauert den Rückzug der USA", und der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) hofft, dass der Iran trotzdem am Abkommen festhält. So lange die EU ihre Sanktionen gegen den Iran nicht wieder aktiviere, sei ein legales Irangeschäft für die deutsche Wirtschaft weiterhin möglich.

Ob das wirklich stimmt, ist allerdings fraglich. Denn alle Firmen, die auch in den USA Geschäfte machen, müssen bei Verstößen gegen US-Sanktionen mit Konsequenzen rechnen. "Damit hat Europa keine Kontrolle über die eigenen Unternehmen. Die werden nicht in Brüssel kontrolliert, sondern eben in Washington",analysiert Sanktionsforscher Sascha Lohmann, der derzeit an der Harvard University tätig ist im DW-Interview.

Siemens Iran TC50 / IGAT5 pipeline Arbeiter
Für die deutsche Industrie geht es um lukrative Aufträge: Siemens-Mitarbeiter an der Gas-Pipeline IGATBild: Siemens

Deutsche Banken fürchten Sanktionen

Besonders Banken kennen diese Schwierigkeiten aus der Zeit vor dem Iran-Abkommen. Die deutsche Commerzbank musste 2014 wegen Sanktionsverstößen rund 1,5 Milliarden US-Dollar Strafe zahlen, die französische Paribas sogar neun Milliarden Dollar.

International tätige Banken waren deshalb auch nach dem Abschluss des Abkommens 2015 sehr zurückhaltend mit der Finanzierung von Geschäften im Iran, denn schon die Abwicklung von Zahlungen in Dollar und die Nutzung des Bankensystems SWIFT kann zum Problem werden.Kleinere Banken wie Sparkassen und Volksbanken haben diese Sorgen nicht, doch ihre Mittel reichen auch nur für überschaubare Projekte.

Das ist ein Grund, warum der von den Deutschen erhoffte Boom der Iran-Geschäfte seit 2015 ausgeblieben ist, glaubt der DIHK. Im vergangenen Jahr summierten sich die Geschäfte zwischen deutschen und iranischen Firmen auf 3,5 Milliarden Euro - gerade einmal ein Drittel dessen, was zuvor erhofft worden war.

Deutschland profitiert vom Iran-Abkommen

Von diesen 3,5 Milliarden Euro Gesamtvolumen entfällt der Großteil auf deutsche Exporte in den Iran, sie machten zuletzt drei Milliarden Euro aus. Deutschland verkauft damit immer noch mehr Waren in den Iran als andere EU-Staaten.

Doch der Abstand zu anderen Handelsnationen hat sich in den vergangenen Jahren vergrößert. China konnte seinen Marktanteil deutlich ausweiten und ist inzwischen für ein Viertel aller iranischen Importe verantwortlich. Der deutsche Anteil liegt heute bei knapp sechs Prozent, der Südkoreas und der Türkei etwas darüber.

Dass der DIHK jetzt die Bundesregierung und die EU aufgefordert hat, "die Geschäfte zu sichern", wirkt in den Augen des US-Präsidenten und seines Botschafters sicher wie mangelnde Härte, bedingt durch die Profitsucht einer exportfixierten Wirtschaft.

Wirtschaft_kompakt

"Wandel durch Handel": die deutsche Wirtschaftsdiplomatie

Doch für die Bundesrepublik war der Handel nach dem Zweiten Weltkrieg immer auch ein Kern-Bestandteil der Diplomatie. Mit der Sowjetunion schloss Bonn bereits 1958, kurz nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, ein Handelsabkommen.

Ab Ende der 1960er-Jahre belebte sich der sogenannte Osthandel mit den Ländern des Warschauer Pakts spürbar, dank der Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. "Wandel durch Annäherung" hieß das Leitmotiv dieser Politik. Und "Wandel durch Handel" könnte man die Politik nennen, die deutsche Regierungen etwa lange gegenüber China verfolgten. Von einem Handelsstreit zwischen China und den USA etwa wäre auch Deutschland schwer betroffen. 

Ein Abkommen verpflichtet?

Im Fall des Iran-Abkommens - und der Forderungen des US-Botschafters Grenell - stellt sich die deutsche Bundesregierung entschlossen vor ihre Wirtschaftsvertreter. Die Regierung will zunächst ermitteln, welche Folgen der US-Ausstieg für deutsche Unternehmen haben könnte. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will schon bald mit der US-Regierung sprechen. Es gehe nun darum, die Folgen einzudämmen - auch für die gesamte europäische Wirtschaft. Denn auch wenn Frankreichs Präsident Macron noch gewarnt hatte, dass es keinen Plan B gebe: Die Europäer haben Optionen.Und eine Verantwortung. 

Es geht also auch ums Prinzip: "Am Ende des Tages ist es ein internationales Abkommen, in das nicht nur die USA und der Iran involviert sind", sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). Die europäischen Unterzeichner - also Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich - hätten ebenso eine Verantwortung wie Russland und China. "Der Rest [des Abkommens] bleibt intakt." Wenn sich die restlichen Unterzeichner auch weiterhin an die Vereinbarung halten.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.