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PolitikEuropa

Warum Bauern mit Depression und mentalen Problemen kämpfen

Holly Young | Kathleen Schuster
25. Februar 2024

Bauern protestieren derzeit gegen die Kürzung von Subventionen. Doch Europas Landwirte fühlen sich seit Jahren aufgerieben zwischen Klimawandel und Politik. Und sie vermissen den Respekt vor ihrer Arbeit.

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Belgien Bauern Proteste in Brüssel: Traktoren auf einer Straße, auf einer Räumschaufel steht "SOS"
Bauernproteste in Brüssel: Es ist nicht nur wirtschaftliche Not, die Europas Landwirte umtreibt, sondern auch psychische ProblemeBild: EU//Christophe Licoppe

Jürgen Donhauser kennt die Härten des Lebens als Landwirt. Der Bauernhof seines Sohnes, etwa eine Stunde östlich von Nürnberg, ist seit Generationen in Familienbesitz. Aber erst als er vor ein paar Jahren Diakon in der örtlichen Gemeinde wurde, begannen die  benachbarten Bauern, ihm ihre Sorgen anzuvertrauen.

Die Geschichten hätten ihn geschockt, sagt Donhauser: "Das fängt an mit: 'Jürgen, wenn ich abends keine halbe Flasche Jägermeister trinke, dann kann ich überhaupt nicht ins Bett gehen, weil ich überhaupt nicht abschalten kann.' Und geht bis: 'Jürgen, wenn alles vorbei wäre, erhänge ich mich am nächsten Baum.'"

Einen Bauernhof nach zehn, vielleicht sogar 15 Generationen aufzugeben, so Diakon Donhauser, "das ist eine brutale Belastung."

Steigender Druck in ganz Europa

In letzter Zeit haben Bauernproteste in vielen Teilen Europas für Schlagzeilen gesorgt. Bilder von blinkenden und hupenden Traktorenkonvois und brennende Reifen vor dem EU-Parlament in Brüssel prägten die Berichterstattung.

Doch Forscher interessieren sich auch für die verborgene Seite der Demonstrationen. Studien zeigen, wie sehr das, was die Landwirte auf die Straße treibt, auch ihre Psyche belastet: der Klimawandel und die politischen Maßnahmen dagegen.

Polen Bauernproteste: Auf einem Traktoanhänger ist ein Bild zu sehen: Der Sensenmann im EU-Gewand hinter einem Traktor, daneben kniet geschlagen der Bauer
Auch in Polen haben Bauern protestiert, auch hier sehen viele ihre Lebensgrundlage bedrohtBild: Karol Serewis/SOPA/ZUMA/picture alliance

In einer Umfrage unter 250 irischen Bauern gaben 20 Prozent an, schon einmal über Selbsttötung nachgedacht zu haben. 40 Prozent sagten, sie litten unter mittlerem bis schwerem Stress.

In Nord-Belgien sagte fast die Hälfte von 600 befragten Landwirten, ihr Beruf verursache psychisches Leid. In Deutschland und Österreich ist Studien zufolge mehr als ein Viertel der Landwirte von Burnout betroffen. In der deutschen Gesamtbevölkerung betrifft dies sechs Prozent.

Aufgerieben zwischen Klimawandel und Klimapolitik

Die Gründe für psychische Erkrankungen sind komplex, sagen die Forscher. Dennoch hätten sie einen wichtigen Faktor identifiziert: die Klimapolitik. Rund zehn Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU kommen aus dem Landwirtschaftssektor. Hauptsächlich sind das Methan (CH4) und Lachgas (N2O), die von den Tieren und vom Dünger stammen, der auf den Böden ausgebracht wird. Beiden wird eine um ein Vielfaches stärkere Treibhauswirkung zugeschrieben als Kohlendioxid (CO2).

Auch die Pestizide, die Schädlingsbefall vorbeugen und die Ernte stabilisieren, stehen wegen ihrer desaströsen Folgen für die Biodiversität in der Kritik. Doch viele Bauern sagen, die Klimapolitik zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bringe sie in eine aussichtslose Lage. Sebastian Luhmer betreibt einen Bio-Bauernhof südlich von Bonn im Rheinland. Er sagt, die EU-Vorgabe, den Düngemitteleinsatz um 20 Prozent zu reduzieren, bereite ihm Kopfschmerzen.

Ein Mähdrescher erntet ein Getreidefeld ab, senkrecht von oben fotografiert
Getreideernte: Viele Landwirte sorgen sich um ihre Erträge, wenn zu schwankenden Wetterbedingungen auch noch Düngerestriktionen kommenBild: Daniel Kubirski/picture alliance

Stickstoff-basierte Düngemittel verursachen rund fünf Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und können auch das Grundwasser verunreinigen. Eine winterliche Düngepause stelle Landwirte allerdings vor große Probleme, so Biobauer Luhmer. Grund dafür sei, dass die Düngephase dadurch noch kürzer ausfalle, als es die Veränderung der Wetterperioden ohnehin schon bewirke.

Luhmer betont, dass er nicht gegen Klimapolitik sei. Schließlich seien die Landwirte davon als erste betroffen: Trockenheit und zunehmend unvorhersagbare Jahreszeiten zeigen sich bereits in der Realität. Hinzu kämen steigende Kosten und striktere Bauvorschriften, die kaum noch Raum für Planung und Profit ließen.

Negative Schlagzeilen hinterlassen Spuren

Für viele Landwirte seien die jüngsten Subventionskürzungen nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe. Viele nähmen auch die Medienberichterstattung als sehr negativ und verletzend wahr, meint Diakon Donhauser.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sei man den Bauern noch ganz anders begegnet, erzählt der ehemalige Bauer, da habe es noch geheißen: "Landwirte, strengt euch an, dass wir nicht mehr hungern müssen." Von diesem Respekt als Hüter des Bodens und Erzeuger von Lebensmitteln sei kaum noch etwas zu spüren: "Statt Anerkennung sind wir permanent in der Kritik. Das macht mürbe. Wer möchte sich schon die ganze Zeit als Insektenvernichter, Brunnenvergifter und Tierquäler beschimpfen lassen? Das geht nicht spurlos an einem vorbei."

Milchbauern: Weitermachen oder aufgeben?

Die Schlagzeilen trügen dazu bei, Bauern das Gefühl zu vermitteln, sie seien übermäßig für den Klimawandel verantwortlich, sagt Louise McHugh, Professorin für Psychologie am University College Dublin. Sie hat in einer Studie über die psychische Gesundheit von irischen Landwirten mit Bauern gesprochen, die überaus motiviert seien, innovative Methoden und politische Maßnahmen zum Klimaschutz mitzutragen. Aber sie forderten ein Mitspracherecht.

Vor allem müssten die Maßnahmen auch praktikabel sein. Die Landwirtschaft könne zudem als Frühwarnsystem für den Klimawandel dienen, meint Forscherin McHugh.

Kampagne für mehr Wertschätzung

"Wir müssen die psychische Gesundheit und all die Änderungen, die in den kommenden Jahren anstehen, berücksichtigen", sagt McHugh. Ein Ort, an dem das bereits geschehe, seien Seminare über psychische Gesundheit als Modul im Landwirtschaftsstudium.

Ganz ähnlich sieht das Franziska Aumer. Die studierte Informatikerin absolviert derzeit eine Ausbildung zur Milchbäuerin und ist der Meinung, dass Landwirte mehr Informationen und Möglichkeiten zum Austausch benötigen. Gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen hat sie die Informationskampagne "acker.schwestern" gegründet, mit der sie seit 2021 über Probleme in der Landwirtschaft aufklärt - auch um der Vereinnahmung landwirtschaftlicher Interessen durch rechtsextreme Politiker entgegenzuwirken.

Während ihrer Arbeit werden die "acker.schwestern" mit menschlichen Tragödien konfrontiert. So kennt jede von ihnen Landwirte, die sich bereits das Leben genommen haben. "Bei mir war es ein junger Kerl, 25 Jahre. Ich habe ihn über das Ehrenamt für die Landwirtschaft kennengelernt. Er war richtig aktiv, lebensfroh." Jahrelang habe sich der Niederländer für seinen Betrieb eingesetzt und gekämpft. An dem Tag, an dem er erfuhr, dass man ihm im Zuge strengerer Stickstoffregelungen die Betriebsgenehmigung entzogen hatte, habe er den Entschluss zum Suizid gefasst.

Aufgeben komme für sie allerdings nicht infrage, sagt Aumer: "Ich hoffe, dass Politik und Gesellschaft erkennen, was sie an ihren Bauern haben und uns wieder Rückendeckung und Unterstützung geben, damit dieser Beruf wieder eine Zukunft hat und die Menschen nicht psychisch kaputt macht."

 

Die Deutsche Welle berichtet zurückhaltend über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website https://www.befrienders.org/. In Deutschland hilft Ihnen die Telefonseelsorge unter den kostenfreien Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

Aus dem Englischen von Jan D. Walter