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Was bleibt von Rabins Erbe?

Daniella Cheslow / ch4. November 2015

20 Jahre nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin fragen sich viele im Land, wie er heute handeln würde. Daniella Cheslow berichtet aus Tel Aviv.

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Demonstranten mit Rabin-Bild (Foto: picture-alliance/dpa/S. Nackstrand)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Nackstrand

Am 4. November 1995 sprach Jitzchak Rabin auf dem Platz in Tel Aviv, der heute seinen Namen trägt, zu rund 100.000 Israelis und forderte seine Landsleute auf, das Oslo-Abkommen mitzutragen, ein Interimsabkommen, das eine Zweistaatenlösung vorbereitet hätte. "Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen", sagte Rabin. Als er zu seinem Wagen ging, schoss der Ultranationalist Yigal Amir zweimal aus nächster Nähe auf ihn. Rabin starb wenig später im Krankenhaus.

20 Jahre danach sagt die Knesset-Abgeordnete Sharren Haskel von der konservativen Likud-Partei, wenn Rabin heute noch lebte, hätte er längst seinen Plan aufgegeben, die israelische Macht über das Westjordanland und den Gaza-Streifen zu beenden. "Er war Zionist, und er liebte Israel und Israels Sicherheit, das Land Israel steckte ganz tief in seinem Herzen und Wesen."

Jitzchak Rabin kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg und wurde später Generalstabschef. Als Ministerpräsident war er aber überzeugt, Israel müsse sich vom Westjordanland und dem Gaza-Streifen zurückziehen, um den jüdischen und demokratischen Charakter des Landes zu erhalten. 1994 erhielten Rabin, der damalige Außenminister Schimon Peres, und Jassir Arafat, der damalige Präsident der Palästinensischen Befreiungsorganisation, gemeinsam den Friedensnobelpreis.

Rabin und Arafat geben sich die Hand (Foto: "AFP/Getty Images/J. David Ake)
Rabin und Arafat geben sich 1993 die Hand, hinter ihnen US-Präsident ClintonBild: AFP/Getty Images/J. David Ake

Israel rückt nach rechts

Zur Zeit des Rabin-Attentats war Israel in zwei etwa gleich große Lager von liberalen Oslo-Befürwortern und eher konservativen Oslo-Gegnern gespalten. Heute bezeichnen sich nur rund 15 Prozent der Israelis als politisch links.

Nach einer Umfrage der Universität Tel Aviv vom Oktober glaubten fast der Hälfte der befragten jüdischen Israelis und mehr als die Hälfte der arabischen Israelis, die Zweistaatenlösung sei tot. Palästinenser im Westjordanland und dem Gaza-Streifen zeigten sich noch mutloser in dieser Frage. In einer Erhebung des Palästinensischen Zentrums für Politik und Meinungsforschung vom September sagten zwei Drittel, eine Zweistaatenlösung sei unmöglich zu verwirklichen, 51 Prozent waren sogar dagegen.

Die jährliche Rabin-Kundgebung fand dieses Mal vor dem Hintergrund einer Reihe palästinensischer Angriffe auf Israelis mit Messern und Schusswaffen statt. 11 Israelis kamen dabei ums Leben, und mindestens 68 Palästinenser wurden getötet, darunter nach israelischen Angaben 42 Angreifer.

Die Gewaltwelle war im September losgebrochen, als Palästinenser behaupteten, Israel wolle erweiterte jüdische Ansprüche auf das Gelände der Al-Aksa-Moschee geltend machen. Sie gilt als drittwichtigste heilige Stätte des Islam, der Ort wird aber auch von Juden verehrt, weil der erste und zweite jüdische Tempel dort standen. Israel hat seine angeblichen Ansprüche bestritten, doch haben führende israelische Regierungsmitglieder jüdische Aktivisten bei deren Forderung unterstützt, dass Juden auf der Terrasse vor der Moschee und um den islamischen Felsendom beten dürften.

Haskel sagt, als Rabin noch lebte, habe sie sich mit dem Friedenslager identifiziert. "Das war eine ganz andere Zeit", so die heute 31jährige. "Mein Vater hatte ein Möbelgeschäft, und er nahm mich mit zum Gaza-Streifen, um dort für seinen Laden Ware einzukaufen." Heute ist der Gaza-Streifen eine isolierte Enklave, beherrscht von der islamistischen Hamas und abgeriegelt von Israel und Ägypten.

Haskel war Schülerin, als die zweite Intifada begann. Zweimal entging sie knapp Sprengstoffanschlägen auf Busse in dem Vorort von Tel Aviv, wo sie wohnte. Sie meldete sich bei der israelischen Grenzpolizei und nahm an Razzien auf Terrorverdächtige teil, sicherte den Abbruch von deren Häusern und von Demonstrationen in Ost-Jerusalem ab. Haskel sagt, manchmal treffe sie bei solchen Demonstrationen alte Freunde der Bewegung "Frieden jetzt". "Mir kommt vieles davon heute naiv vor. Sie glauben an eine Art Traum, der sich nicht verwirklichen lässt."

Neuer Pessimismus

Hagit Ofran ist Aktivistin, die sich gegen den Bau jüdischer Siedlungen in den Palästinensergebieten wendet. "Nichts hat sich geändert. Israel ist noch immer der Besatzer aller Palästinenser. Und die einzige Lösung ohne endloses Blutvergießen besteht in zwei Staaten", sagt sie.

Ofran leitet "Settlement Watch", die den Bau israelischer Siedlungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem verfolgt und anprangert. 2011 haben Unbekannte den Spruch "Rabin wartet auf dich" auf die Wand ihres Jerusalemer Hauses gesprüht.

Dennis Ross war während Rabins Regierungszeit amerikanischer Botschafter in Israel. Während der Friedensverhandlungen, so Ross im Deutsche-Welle-Gespräch, habe er gesehen, wie Rabin und Arafat lächelnd und händeschüttelnd miteinander umgegangen seien.

"Es lag ein Gefühl in der Luft, dass vieles möglich ist, ein Gefühl, das nicht nur wir hatten, sondern dass auch Israelis und Palästinenser hatten", sagt Ross. "Heute fehlt dieses Gefühl auf beiden Seiten und auch in den USA."

Kundgebung mit großem Rabin-Bildschirm (Foto: Reuters)
Die Kundgebung am vergangenen Samstag zur Erinnerung an Jitzchak Rabin fand ohne Regierungsmitglieder stattBild: Reuters

Politische Ambivalenz

Israel hat der Ermordung Rabins am vergangenen Samstag mit einer Kundgebung auf dem Jitzchak-Rabin-Platz gedacht. Die Organisatoren vermieden aber jeden Hinweis auf eine Zweistaatenlösung. Kein Mitglied der Regierung Netanjahu war anwesend.

Die 22jährige Psychologiestudentin Shiri Stern war dabei. Sie sagt, sie glaube nicht an die Schaffung eines palästinensischen Staates. "Was wir von Rabins Tod lernen können, das ist, dass wir gegen Gewalt sein müssen", sagt sie.

Der 39jährige Event-Manager Michael Gomel sagt, er fühle sich erhaben beki so vielen Teilnehmern. "Es erfüllt mich mit positiver Energie. Dadurch glaubst du, dass alles möglich ist und dass es noch Hoffnung gibt und wir irgendwann einen Frieden erreichen werden."

Der Geschäftsmann Doron dagegen sagt, er nehme jedes Jahr mit Grauen an der Kundgebung teil. "Leider sehe ich nicht, was sich in näherer Zukunft ändern sollte", so der 48jährige. "Es ist deprimierend. Nichts wird sich ändern. Alles wird nur noch schlimmer."