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Was bringt der Internationale Gerichtshof?

Jennifer Wagner
4. Oktober 2018

Iran sieht sich als Gewinner im Streit mit den USA um die Sanktionen. Die Vereinigten Staaten wollen nun alle Verträge, die im Zusammenhang mit dem Gericht stehen, überprüfen. Ein Überblick, wie der IGH funktioniert.

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Den Haag Internationaler Gerichtshof tagt zu Iran USA
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Corder

Der Internationale Gerichtshof (IGH) wird inoffiziell oft als "Weltgericht" bezeichnet, und die Richter fällen ihre Entscheidungen im eindrucksvollen Friedenspalast in Den Haag. Der aktuelle Beschluss des IGH sorgt allerdings für Wirbel: Die Sanktionen der Vereinigten Staaten von Amerika gegen die Islamische Republik Iran dürfen nicht den zivilen Luftverkehr beeinträchtigen und keine Arzneien, medizinischen Geräte oder Nahrungsmittel betreffen. Der Iran jubelt, die USA toben. Ein Überblick über die Funktionen des Internationalen Gerichtshofs und seine Wirkungsmacht.

Worum kümmert sich der Internationale Gerichtshof eigentlich?

Der IGH ist zuständig, wenn sich Staaten streiten. Nur sie können Klage gegeneinander einreichen, aber keine Einzelpersonen, wie es vor dem Internationale Strafgerichtshof möglich ist. Der IGH steht grundsätzlich nur Mitgliedern der Vereinten Nationen offen. Mit der Unterzeichnung der UN-Charta haben die Staaten auch den IGH anerkannt. Es gibt allerdings ein großes Aber, wie Prof. Stefan Talmon, Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn erklärt: "Grundsätzlich kann ein Staat aufgrund der staatlichen Souveränität nur mit seinem Einverständnis vor einem internationalen Gerichtshof verklagt werden."

Welche Möglichkeiten gibt es, einen Staat zu verklagen?

Staaten können einander am IGH auf unterschiedliche Weise verklagen. Zum einen könne das ad hoc geschehen, so Talmon, wenn gerade eine Streitigkeit entstanden ist: "Das ist aber sehr selten der Fall, denn meist wird eine der Parteien in einer schlechteren Position sein und deshalb der Streitbeilegung vor dem IGH ad hoc nicht zustimmen." Daneben gebe es sogenannte internationale Streitbeilegungsabkommen, in denen sich Staaten generell oder für bestimmte Fragen bereit erklären, Streitigkeiten einem internationalen Gericht vorzulegen.

Abgesehen davon gibt es Streitbeilegungsklauseln, die Staaten in Sachverträge aufnehmen. Diese Klauseln legen fest, Unstimmigkeiten über den jeweiligen Vertrag dem IGH zur Entscheidung vorzulegen. "Das ist zum Beispiel jetzt der Fall zwischen Iran und den USA. Der Freundschaftsvertrag von 1955, auf den sich Iran jetzt berufen hat, enthält eine solche Streitbeilegungsklausel", so Talmon.

Universität Bonn Stefan Talmon Völkerrechtler
Stefan Talmon, Völkerrechtler an der Uni BonnBild: privat

Als weitere Möglichkeit können Staaten vorab ihre Zustimmung zu einer Klärung eines Falls vor dem IGH erklären, indem sie eine Unterwerfungserklärung abgeben. "Die Staaten, die solche Erklärungen abgegeben haben, können sich dann vor dem IGH gegenseitig verklagen", erklärt der Völkerrechtler. Die USA hatten ihre Unterwerfungserklärung in den 1980er Jahren zurückgezogen, als sie von Nicaragua wegen der Unterstützung der Contras im nicaraguanischen Bürgerkrieg verklagt und vom IGH wegen Völkerrechtsverletzungen verurteilt wurden. Dass Staaten diese Erklärung zurückziehen, ist laut Talmon nicht ungewöhnlich: "Zurzeit hat nur ein Staat, der ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates ist, eine solche Unterwerfungserklärung abgegeben, und das ist das Vereinigte Königreich."

Im Fall Iran-USA gibt es einen Beschluss, aber noch kein Urteil. Warum?

Die USA haben die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs schon vor der Veröffentlichung seines Beschlusses angezweifelt. Sie glauben, der IGH dürfe sich nicht mit den Sanktionen befassen, weil der Iran die Klausel im Freundschaftsvertrag als Grundlage nimmt. "Die USA machen geltend, dass es sich hier nicht um eine Streitigkeit über den Vertrag von 1955 handelt, sondern dass es letztendlich um eine Streitigkeit über die Entscheidung des US-Präsidenten vom Mai 2018 geht, wieder Sanktionen gegen Iran zu verhängen", sagt Jurist Talmon. Deshalb könne es zunächst noch zu einem Verfahren um die Gerichtsbarkeit kommen, bevor es um die eigentliche Sachentscheidung geht. 

Anwälte in einem Sitzungssaal des Internationalen Gerichtshofs (Foto: Reuters/P. van de Wouw)
Vertreten die USA in Den Haag: Anwältin Jennifer Gillian Newstead und Berater Donald Earl ChildressBild: Reuters/P. van de Wouw

Stefan Talmon vermutet übrigens, dass der IGH in diesem Fall größtenteils tatsächlich nicht zuständig ist. "Das sehen Sie bereits an dem sehr begrenzten Umfang der vorsorglichen Anordnungen, die er getroffen hat." 

Wie durchsetzungsfähig ist der Gerichtshof?

Das ist ein Problem, das viele Instanzen der Vereinten Nationen haben. "Es gibt keinen Weltpolizisten, der das Recht gegen die einzelnen Staaten letztendlich durchsetzt", sagt Stefan Talmon. Eine Möglichkeit gebe es aber theoretisch: Der IGH könnte den UN-Sicherheitsrat bitten, sein Urteil durchzusetzen. "Das ist aber bislang aber noch nie passiert", so Talmon. 

Ansonsten bleibt das Wissen: UN-Mitglieder haben sich verpflichtet, die Entscheidungen des IGH auszuführen. Sollte sich ein Staat nicht daran halten, bleibt nur: Medien und Bürger können Druck machen. Allerdings haben sich die Staaten bisher in mehr als 90 Prozent der Fälle an die Entscheidungen des IGH gehalten, so Jurist Talmon: "Sie sagen: Wenn ich mich nicht daran halte, welche Garantie habe ich, wenn ich einen anderen Staat verklage, dass dieser sich daran hält? Es geht hier um eine Frage der Gegenseitigkeit."

Welche Bedeutung hat der IGH trotz dieser eingeschränkten Durchsetzungskraft?

"Der IGH ist von überragender Bedeutung", ist Jurist Talmon überzeugt. Er trage zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Konflikte bei. "Er bietet den Staaten die Möglichkeit, Streitigkeiten friedlich beizulegen unter Wahrung ihres Gesichts und ohne Krieg."

Ist der Iran tatsächlich der Gewinner im aktuellen Fall?

Stefan Talmon deutet die Entwicklungen in der Klage gegen die USA anders: "Letztendlich muss man sagen, dass Iran wohl zu 95 Prozent verloren hat. In den meisten Fällen, in denen der IGH die vorsorglichen Maßnahmen erlassen hat, hatten die USA sowieso nie geplant, Sanktionen zu verhängen." Der Iran habe eigentlich erreichen wollen, dass die bereits verhängten Sanktionen der USA ganz aufgegeben werden.

Vertreter des Iran in Den Haag (Foto: Reuters/P. van de Wouw)
Hatte sich mehr erhofft: Mohammed Zahedin Labbaf, Direktor des Center for International Legal Affairs im Iran (rechts)Bild: Reuters/P. van de Wouw

Deswegen glaubt Talmon auch, dass sich die USA an den IGH-Beschluss halten werden. "Die einzige Frage, wo Probleme auftreten könnten, betrifft die Lieferung von Ersatzteilen, Ausrüstung und Wartungsdienstleistungen für die zivile Luftfahrt. Aber alles andere - Medizinprodukte, Arzneimittel, Lebensmittel - sind zum großen Teil bereits aus den US-Sanktionen ausgenommen gewesen", so Talmon. "Hier müssen die USA gar nichts tun, um die Anordnung umzusetzen."

Welche langfristige Bedeutung hat der Fall Iran-USA?

Jurist Talmon glaubt, dass der Iran mit seiner Klage, dem Völkerrecht und der friedlichen Streitbeilegung einen Bärendienst erwiesen habe. Die USA steigen als ständiges Mtglied des Sicherheitsrates und einzig verbliebene Weltmacht als Folge des Rechtsstreits aus wichtigen internationalen Verträgen aus, die eine Streitbeilegungsklausel enthalten. Damit wollen sie sich in Zukunft der gerichtlichen Streitbeilegung entziehen und das wichtige Instrument werde "untergraben".