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Corona-Krise: Was Deutschland lernen kann

Rahel Klein
25. November 2020

In einigen afrikanischen und asiatischen Ländern sind die Corona-Zahlen zum Teil deutlich niedriger als in Deutschland. Warum ist das so - und was kann Deutschland von den dortigen Maßnahmen mitnehmen?

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 Demokratische Republik Kongo | Coronavirus | Schulstart
In afrikanischen Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo gehören Temperaturmessungen zum Alltag dazuBild: Getty Images/AFP/A. Mpiana

Trotz des Teil-Lockdowns sind die Corona-Zahlen in Deutschland nicht signifikant nach unten gegangen, Experten sprechen von einem "Seitwärtstrend". Am Mittwoch soll deshalb über weitere Regelungen entschieden werden. Ein Blick auf andere Teile der Welt zeigt: Deutschland könnte sich bei seinen Corona-Maßnahmen durchaus auch ein Beispiel an Neuseeland, Asien und Afrika nehmen - auch wenn manche Gegebenheiten natürlich schlecht übertragbar sind. 

Neuseeland: Strikter Lockdown und Abschottung

Neuseeland gilt weltweit als Positivbeispiel, was die Eindämmung des Coronavirus angeht. Bereits zweimal  - im Juni und Oktober - erklärte Premierministerin Jacinda Ardern den Pazifikstaat für coronafrei, seit Ausbruch der Pandemie gab es in dem Fünf-Millionen-Einwohner-Staat rund 2000 registrierte Coronafälle, 25 Menschen starben in Zusammenhang mit Covid-19. Der Alltag läuft mittlerweile wieder weitgehend normal ab, sogar Großveranstaltungen wie Rugby-Spiele können ohne Maske stattfinden.

Experten sehen die vergleichsweise frühen und extrem strikten Maßnahmen als einen Hauptgrund für die erfolgreiche Eindämmung. Bereits Mitte März wurden die Grenzen geschlossen, es gab ein Einreiseverbot für Touristen. Kurze Zeit später wurde der Notstand ausgerufen und ein mehrwöchiger Lockdown verhängt, der zu den härtesten der Welt gehörte. Auch jetzt gelten bei kleinsten Ausbrüchen lokal begrenzt strikte Ausgangsbeschränkungen. Mit Erfolg: Die Anzahl der täglichen Neuinfektionen bewegte sich im November im niedrigen einstelligen Bereich - Ende November gab es rund 50 aktive Fälle.

Neuseeland | Coronavirus | Premierministerin Jacinda Ardern
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern: Das ganze Land soll ein Team seinBild: Getty Images/AFP/M. Mitchell

Eine solch strikte Abschottung ist als vergleichsweise kleiner Inselstaat allerdings sowohl geografisch als auch politisch deutlich einfacher umzusetzen als es für einen europäischen Binnenstaat wie Deutschland der Fall ist. Auch Maßnahmen schnell und einheitlich zu verabschieden, ist in einem föderal gegliederten Staat mit 16 Bundesländern deutlich herausfordernder. Hinzu kommt: Neuseeland geht es wirtschaftlich historisch schlecht, die Arbeitslosenzahlen steigen. Die Abschottung hat also einen hohen Preis.

Lernen könnte Deutschland allerdings - unabhängig von politisch-geografischen Gegebenheiten - vor allem im Bereich der Kommunikation und Transparenz der Maßnahmen. Premierministerin Ardern kommunizierte ihr Vorgehen offensiv auch in den sozialen Medien, mit täglichen und sehr persönlichen Ansprachen. Sie bezeichnete die Bevölkerung als ihr "Team of five Million", schuf ein Gemeinschaftsgefühl, gab sich äußerst einfühlsam und fürsorglich. Damit schuf sie ein hohes Vertrauen in die Regierung und eine hohe Akzeptanz selbst deutlich strikterer Maßnahmen als in Deutschland.

Corona in Afrika: Das Leben im Freien 

Im April warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Zahl der Corona-Infektionen könnte auf dem afrikanischen Kontinent innerhalb eines halben Jahres rasant ansteigen - auf zehn Millionen Fälle. Mehr als ein halbes Jahr später rätseln viele Experten, warum die meisten afrikanischen Länder bisher vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen sind. 17 Prozent der Weltbevölkerung leben in Afrika, die registrierten Corona-Fälle machen aber nur rund 3,4 Prozent der weltweiten Fälle aus, fast genauso sieht es bei der Zahl der in Verbindung mit COVID-19 Verstorbenen aus.

Die Dunkelziffer der mit Corona Infizierten dürfte jedoch deutlich höher liegen, in den afrikanischen Ländern wird viel weniger getestet als in anderen Teilen der Welt. Trotzdem betonen Experten, dass es bisher keinen großen Anstieg an ungeklärten Todesfällen gegeben hat. Viele sehen in der Altersstruktur einen entscheidenden Vorteil für den Pandemieverlauf: Auf keinem Kontinent der Erde leben so viele junge Menschen, das Durchschnittsalter in den afrikanischen Staaten liegt bei 18 Jahren - in Deutschland ist es mit über 40 Jahren mehr als doppelt so hoch. Da junge Menschen seltener schwer an COVID-19 erkranken, sehen viele Experten darin einen großen Vorteil im Laufe der Pandemie.

Kenia Corona Graffiti
Graffitis machen in Kenias Hauptstadt Nairobi auf den Kampf gegen COVID-19 aufmerksamBild: Getty Images/AFP/S. Maina

Darüber hinaus findet das Leben in vielen Fällen vor allem im Freien und auf dem weniger dicht besiedelten Land statt - wo die Ansteckungsgefahr niedriger ist. Forscher haben außerdem Hinweise gefunden, dass auch genetische Faktoren eine Rolle für mildere Verläufe spielen könnten. Und auch die Tatsache, dass Krankheiten wie Masern, Durchfallviren, Malaria oder Parasiten in Afrika häufiger vorkommen, könnte dazu führen, dass das Immunsystem vieler Menschen abgehärteter ist. Faktoren also, die sich nicht auf Deutschland übertragen lassen und aus denen sich kurzfristig kaum Handlungsempfehlungen für die deutsche Pandemiebekämpfung ergeben.

Lernen von der Ebola-Pandemie 

Lernen kann Deutschland trotzdem. Experten sind sich nämlich auch einig, dass die Pandemiepläne in vielen afrikanischen Ländern deutlich aktueller waren. "Dort ist die Vorbereitung viel besser gewesen", sagt auch der Wiener Wissenschaftler Peter Klimek. "Das Problembewusstsein für Pandemien ist viel größer, weil es so etwas dort in der Vergangenheit mehr gegeben hat."

Viele Länder setzten auch - durch ihre Erfahrungen aus der Ebola-Epidemie  - seit Beginn der Corona-Krise auf strikte Einreisebestimmungen. Sie veranlassten Tests und Temperaturmessungen an der Grenze, um von vornherein zu verhindern, dass das Virus ins Land kommt. Viele Länder, so wie Nigeria, verhängten außerdem schnellere und striktere Lockdowns - manchmal sogar bevor die ersten Fälle gemeldet wurden. In Sachen Präventions- und Eindämmungsstrategien lohne es sich also, genauer nach Afrika zu blicken, so Experten.

Asien: Masken gehören schon lange zum Alltag 

Taiwan, Japan, China, Singapur sind nur einige der Länder, die die Corona-Pandemie schneller und effektiver in den Griff bekommen zu haben scheinen. Auch Thailand oder Vietnam weisen nur noch extrem niedrige Infektions- und Todeszahlen in Zusammenhang mit COVID-19 auf.

Doch in wahrscheinlich keinem Teil der Welt klaffen die Corona-Strategien so stark auseinander - auch aufgrund der völlig unterschiedlichen politischen Systeme und geografischen Gegebenheiten in Asien. Chinas autokratisches Regime riegelte die Stadt Wuhan, von der aus sich das Virus verbreitete, Ende Januar komplett ab, auch im restlichen Land stand das Leben weitgehend still. Dass das Ausmaß der Pandemie zu Beginn vertuscht wurde, trug nicht dazu bei, die offiziellen Infektionszahlen im Land bis heute für bare Münze zu halten. Dennoch scheint China die Pandemie kontrolliert zu haben, seit Monaten gibt es offiziell nur noch extrem niedrige Neuinfektionszahlen.

Wieso Taiwan dem Coronavirus trotzt

In Japan schränkte die Regierung das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben frühzeitig ein, aber deutlich weniger strikt als es in Deutschland später der Fall war. In einem Gastbeitrag für "Die Zeit" erklärte Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, den Erfolg der japanischen Corona-Pandemie vor allem mit zwei Faktoren: der gezielten Unterbindung von Clustern, also lokaler Häufungspunkte von Infektionen, statt massenhafter, ungezielter Testung und der Bereitschaft der Bevölkerung, sich eigenständig auch an nicht behördlich angeordnete Maßnahmen anzupassen. Während Masken in Deutschland zunächst als nicht wirkungsvoll abgetan wurden,ist die Bereitschaft und Normalität, Masken im Alltag zu tragen, in vielen asiatischen Ländern schon vor der Corona-Pandemie vorhanden gewesen.

Asien Japan junge Menschen auf der Straße
Alltagsmasken gehören in Japan deutlich selbstverständlicher dazuBild: picture-alliance/AP Images/H. Sekiguchi

Auch der Einsatz von Big Data und umfänglichen Tracking-Methoden gilt in vielen Ländern Asiens als erfolgreiches Mittel im Kampf gegen die Corona-Ausbreitung. Egal ob in China, Taiwan oder Südkorea - die Kontaktnachverfolgung mithilfe von GPS-Daten, Überwachungskameras oder Kreditkartendaten ist in vielen Ländern Asiens deutlich umfassender als in Deutschland. Wer sich allerdings ansieht, wie lange es in Deutschland gedauert hat, bis eine Corona-Warn-App zur Verfügung stand, wie hoch die datenschutzrechtlichen Bedenken waren und wie wenig Menschen die App bis heute in Deutschland nutzen (rund  25 Prozent) - der kann sich schwer vorstellen, dass ähnlich umfassende Überwachung und Tracking-Daten in Deutschland umsetzbar wären.

Deutschland: Diskussion um Freiheitseingriffe? 

Trotzdem könnte Deutschland gerade aus dieser Tatsache, nämlich dass intensives Tracking die Kontaktnachverfolgung verbessert, Lehren für die Zukunft ziehen. Politik und Gesellschaft könnten eine intensive Diskussion darüber führen, welche Eingriffe in die persönlichen Freiheiten des Einzelnen - vor allem auch mit Blick auf digitales Tracking - in Pandemiezeiten akzeptiert und angemessen sind. Das könnte die Akzeptanz bei künftigen Ausbrüchen erhöhen und Regierungen zu schnellerem Handeln veranlassen.