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Glaube

Was die Kirche zu Corona zu sagen hat

20. August 2020

Hat die Kirche in der Corona-Krise versagt? Hat sie sich zu wenig zu Wort gemeldet? Nein! Viele Seelsorger haben erfolgreich versucht, Antworten aus dem Glauben auf die Pandemie zu finden.

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Abstand halten kreativ |Gottesdienste in der Kirche möglich
Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Erstaunlicherweise wurden schon bald nach Beginn der Corona-Krise Stimmen laut, die der Kirche vorwarfen, sich nicht genügend zu Wort gemeldet zu haben. Jetzt sei doch die Stunde des Glaubens, jetzt sei die orientierende Stimme der Kirchenführer notwendig. Zwar gab es Lob für den Verzicht auf die öffentliche Feier der Gottesdienste, was besonders zu Ostern schmerzhaft war, dem höchsten christlichen Fest. Andere aber kritisierten, dass die Kirche zu schnell auf ihr von der Verfassung garantiertes Recht auf freie Religionsausübung verzichtet habe, und sahen mit gemischten Gefühlen, dass erst ein muslimischer Konvertit salafistischer Prägung mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht das generelle Gottesdienstverbot kippte.

Doch stimmt der Vorwurf, dass die Kirche sich zu wenig Gehör verschafft hat? Dieser Meinung bin ich nicht, auch wenn natürlich eine kritische Reflexion der Corona-Krise innerhalb der Kirche notwendig sein wird. Vielmehr soll es darum gehen, was kirchliche Vertreter in dieser Krise denn gesagt haben und hätten sagen können.

 

Eine Strafe Gottes?

Die Corona-Krise als Strafe Gottes zu deuten ist hierzulande ein marginales Phänomen geblieben. Nur Religionsvertreter einiger Freikirchen, erkennbar nicht mehr ganz zurechnungsfähige katholische Bischöfe oder stärker fundamentalistische Strömungen des Islam haben hier einen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen behauptet. Interessant ist aber, dass kirchlich nicht gebundene Menschen den Religionsvertretern eine solche Deutung durchaus zutrauen. Und so falsch liegen sie nicht. Schon die Bibel ist voll von Erzählungen, die Naturkatastrophen oder anderes Unglück als Eingriff Gottes in die Geschichte deuteten. Und auch innerhalb der christlichen Kirchen ist eine „aufgeklärte“ Deutung des Weltgeschehens ein relativ neues Phänomen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es gang und gäbe, Unglück als „Strafe Gottes“ zu verstehen.

Tatsächlich handelt es sich dabei um Versuche, das gegenwärtige Geschehen mit Gott in Verbindung zu bringen. Das entspricht dem grundlegenden Anspruch von „Re-ligion“ (übersetzt „Rück-Bindung“), die Wirklichkeit mit ihrem transzendenten Grund zu verknüpfen. Was bleibt aber übrig, wenn man ein aufgeklärtes Gottesbild hat und nicht mehr glaubt, dass Gott in dieser direkten Weise in unserer Welt handelt?

 

Corona: Keine Rache der Natur

Dann fällt der Mensch auf sich selbst zurück! Und tatsächlich sind – außerhalb wie innerhalb der Kirche – Interpretationen aufgetaucht, die die Corona-Krise zwar nicht mehr als „Strafe Gottes“, aber doch als eine Art „Rache der Natur“ verstanden wissen wollten. Der Mensch sei zu unbedacht mit der Schöpfung, bzw. mit der Natur umgegangen, zum Beispiel mit Verweis auf die nicht naturgemäße Tierhaltung. Die Natur wehre sich nun gegen die menschlichen Allmachtsphantasien. Bei näherem Hinsehen kann diese Deutung auch nicht überzeugen, selbst wenn sie gesellschaftlich sehr weit verbreitet ist. Sie macht die Natur zu einem neuen Gott und moralisiert ein natürliches Phänomen – das Auftauchen eines neuen Virus – ohne wirklich die Gründe dafür zu kennen.

Papst Franziskus hat bei verschiedenen Gelegenheiten eine geistliche Deutung der Corona-Krise vorgelegt, die die Interpretation des Auftauchens der Pandemie als „Strafe Gottes“ vermeidet, sie aber gleichwohl als „Gelegenheit zur Umkehr“ zu verstehen sucht: Eine aus christlicher Sicht durchaus legitime Strategie, denn tatsächlich kann alles im Leben Anlass sein, eine andere, „transzendente“ Perspektive einzunehmen.

 

Antworten aus dem Glauben

Wenn man sich durch die diversen Online-Angebote und Ansprachen von Kirchenvertretern klickt, dann lassen sich vier Hauptbotschaften erkennen, die meines Erachtens eine adäquate Antwort auf die Corona-Krise darstellen.

Viele Menschen haben im Lockdown erfahren, wie machtlos sie sind, wie leicht persönliche Pläne durchkreuzt werden können, wie hilflos man sich fühlen kann. Zugleich war es für viele eine Gelegenheit, einen Gang zurückzuschalten und die wegen des „Social Distancing“ kompromittierten sozialen Kontakte neu schätzen und leben zu lernen. Kirchenvertreter haben deswegen zum Überdenken des eigenen Lebensstils aufgerufen - auf persönlicher Ebene, aber auch gesellschaftlich und wirtschaftlich. Was ist wichtig? Wie möchte ich mein persönliches Leben mit Freunden oder der Familie gestalten? Wie können wir nachhaltiger Leben? Solche fundamentalen Fragen zu stellen gehört meines Erachtens wesentlich zum Auftrag der Kirche.

 

Ein zweiter Aspekt war der Aufruf zur Solidarität! In- wie außerhalb der Kirche ist schnell der Blick auf diejenigen gerichtet worden, die es in der Pandemie besonders schwer haben: in Deutschland, aber auch global. Sicher ist da noch mehr Potential vorhanden, aber ein Blick in die Gemeindewirklichkeit zeigt, wie findig viele waren, um konkret solidarisch zu handeln. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Aufruf zur Solidarität deutlich wahrgenommen worden.

 

Hoffnung als zentrale Kategorie des Glaubens

Seelsorgerlich im engen Sinne waren all die Wortmeldungen, die das christliche Hoffnungspotential in die Mitte gestellt haben. Wenn schon die Deutung als „Strafe Gottes“ als nicht mehr mit dem christlichen Glauben vereinbar gilt, so blieb der Hinweis auf die biblische und christliche Hoffnungstradition zentral. Kern der christlichen Botschaft ist, dass Gott die Menschen nie im Stich lässt, auch nicht in dieser Pandemie. Diese Zuwendung Gottes setzt Energien frei, die zu konkretem Engagement führen. Diese Botschaft wurde tausendfach „zugesprochen“; und aus christlicher Sicht ist es nun an Gott, die Wirksamkeit seiner Botschaft zu erweisen.

Ein letzter Aspekt der christlichen Verkündigung in Corona-Zeiten war die Reflexion menschlicher Endlichkeit. Gerade zu Beginn ist Covid19 vor allem als todbringende Krankheit wahrgenommen worden. Nicht nur alte Menschen sind ihr zum Opfer gefallen. Daher ist es gut, die weit verbreitete Tabuisierung menschlichen Sterbens aufzubrechen und eine Deutung des Todes in einer Hoffnungsperspektive zu wagen. Ohne eine Ewigkeitsperspektive ist der Tod nämlich nur ein Scheitern menschlichen Lebenswillens.

Ein Blick auf diese Aspekte der kirchlichen Verkündigung in Corona-Zeiten zeigt, dass es sehr wohl etwas aus christlicher Sicht zu sagen gibt. Es bleibt die Aufgabe von Religion, die Wirklichkeit in einer anderen, transzendenten Perspektive zu deuten und die Rückbindung (re-ligio) unserer Welt an Gott in Erinnerung zu rufen.

 

P. Max. I. Cappabianca OP ist Mitglied des Dominikanerordens. Er ist als Hochschulpfarrer in Berlin und als TV-Moderator tätig.