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Was Eltern nicht für möglich halten

23. Oktober 2010

Vor 40 Jahren kam der "Schulmädchen-Report" in deutsche Kinos und brach alle Zuschauerrekorde. Den Produzenten machten solche Sexfilmchen reich. Der Filmgeschichte ist das Kapitel eher peinlich.

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Hauptdarstellerinnen des "Schulmädchen-Report" (Foto: dpa)
Hartwig: "Schulmädchen hat etwas Mystisches"Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Da tut es dem Herrn Direktor vom Kraftwerk doch ein bisschen leid, dass er verheiratet ist. Wenn die kichernden Damen vom Mädchengymnasium zwischen den stampfenden Dampfkolben seiner Werkhalle ihre hoch geschürzten Röckchen spazieren führen. Auf seine Kosten kommt nur der Busfahrer, den "Renate, 18 Jahre" auserkoren hat, um den "physikalischen Zusammenhängen der Wärmeenergieerzeugung" auf der Rückbank noch tiefer nachzuspüren. Ja, auf Klassenfahrten geschehen bisweilen Dinge, die Eltern nicht für möglich halten. Zumindest nicht vor dem 23.Oktober 1970, als "Jugendpsychologe Dr. Bernauer" aufklärte. "Unsere Mädchen", beginnt er am 23. Oktober 1970 seinen laubgesägten Monolog, "verstehen die neue Sexualmoral als substanziellen Bestandteil ihres Selbstbewusstseins." Die Beweisführung bot Stoff für 13 Folgen des "Schulmädchen-Report", der erfolgreichsten Kinoserie der siebziger Jahre, übersetzt in 38 Sprachen, gesehen von mehr als 100 Millionen Zuschauern weltweit.

Durst nach "Aufklärung"

"Ich bin über Nacht damit zum reichen Mann geworden, das gebe ich zu", sagt Wolf C. Hartwig, der Produzent. Er sitzt im Seidenpyjama auf einer bourdeauxroten Samtcouch in seiner Pariser Wohnung. "Der Titel Schulmädchen hat etwas Mystisches", flüstert er in rheinländischem Singsang, Hartwig ist in Düsseldorf geboren, vor 91 Jahren. "Was machen junge Mädchen mit der Sexualität, das war ein vollkommenes Tabuthema, Neugier, Terra Inkognita." Vorlage für die Filmchen war ein gleichnamiges Buch, bestehend aus zwölf von 36 Interviews mit 14-bis 20-jährigen Münchner Schülerinnen.

Der selbsternannte Sexualpädagoge Günther Hunold hatte es 1970 veröffentlicht, Hartwig kaufte die Rechte daran, für 30.000 Mark, produzierte für 130.000 Mark und wurde Millionär. "Ich bin da genau im richtigen Moment in diese Nische reingestoßen", sagte er ohne falsche Bescheidenheit. Es war die Zeit als der erst kürzlich verstorbene Oswalt Kolle "als Vorkämpfer für die sexuelle Freiheit kämpfte", erinnert sich Hartwig. Das verklemmte Deutschland sah sich ab den sechziger Jahren plötzlich mit Pille, Miniröckchen und Beatmusik konfrontiert und dürstete nach Aufklärung.

Wolf Hartwig (Foto: DW)
Mit dem Schulmädchen-Report hat Wolf Hartwig Millionen gemachtBild: Anne Herrberg

"Entschuldigung, masturbieren Sie?"

Produzent Hartwig schickte "Reporter" Friedrich von Thun in Münchner Fußgängerzonen, um Fragen zu stellen wie: "Entschuldigung, masturbieren Sie? Wann wurden Sie defloriert? Geht Sex auch ohne Liebe?" Dazwischen wurden in losem Zusammenhang Episoden aus dem Intimleben meist minderjähriger "Dinger" (Hartwig) erzählt: "Hannelore, 16 Jahre", "Marlene, 17 Jahre" oder "Herma, 15 Jahre", so lernt man, turnen mit Lehrern, Bademeistern und anderen älteren Männern durch die wildesten Positionen.

Dabei dreht Hartwig nur mit Laien- oder bis dato unbekannten Schauspielern, viele fand er übrigens im Supermarkt: "Damals verdiente eine Verkäuferin ja nur 300 Mark, bei mir dagegen 500 oder 600 Mark", erklärt der Produzent. Für die Verkäuferinnen "irrsinnig viel Geld", Hartwig sparte Kosten und verstärkte den Effekt der "Semi-Documentary". Die Report-Filme schrieben sich auf die Fahnen, die Wahrheit in deutschen Schlüpfern zu zeigen. Hartwig erklärt: "So konnten mir die strengen Zensurbehörden nichts anhaben."

"Erzfeind!"

Bei den Dreharbeiten sei dann aber alles ganz gesittet zugegangen, "lagenweise Kleenex zwischen den Geschlechtsorganen", "das Ding mit dem Pflaster an den Bauch hingepappt", "Null Erotik!", erinnern sich Darsteller. Vielen diente der "Schulmädchen-Report" als Karrieresprungbrett: dem Musiker Konstantin Wecker, der Jazz-Sängerin Lisa Fitz, Sascha Hehn – Sunnyboy aus der "Schwarzwaldklinik" – oder Jutta Speidel, die später als TV-Nonne bekannt wurde.

Medien und anspruchsvolle Regisseure der Zeit liefen Sturm. Als "Erzfeind!" bezeichnete zum Beispiel Filmemacher Volker Schlöndorff die Sexfilmchen, schließlich versuchte der "Neue deutsche Film" gerade, mit "Opas Kino" aufzuräumen – rührselige Heimatfilme voller Anbiederungen an die überkommene Rollenverteilung der Kriegsjahre. Produzent Hartwig winkt ab: "Der neue Film war vielleicht von der Presse gefeiert, aber er zog keine Zuschauer in die Kinos. Was nützt ihnen der beste Film, wenn er kein Geld einspielt?" Die Schulmädchen-Filme retteten wirklich zahlreiche Lichtspielhäuser der Zeit aus den roten Zahlen, im Jahre 1970 und 1971 führten sie die Liste der erfolgreichsten Filme an. Das löste eine ganze Flut aus: Auf Schulmädchen folgte "Frühreifen-Report", "Hausfrauen-Report" oder "Krankenschwestern-Report", die Hälfte aller deutschen Produktionen Anfang der Siebziger waren Sexfilmchen.

No-Go für den Jugendschutz

"Das war sehr schmuddeliges Kino, in dem sich Männerphantasien und patriarchalische Strukturen der 60er und 70er spiegelten", sagt Filmwissenschaftler Gereon Blasaio von der Universität Köln. Emanzipatorisch konnte man das Frauenbild wahrlich nicht nennen. "Frauen waren Lustobjekt und machten sich auch dazu", fasst die Publizistin Brigitta Rambeck zusammen. Sogar Vergewaltigungsszenen tauchten auf, die das Opfer schließlich selbst zu genießen scheint. "Für den Jugendschutz ein absolutes No-Go!", sagt Charlotte von Wahlert von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, die fast alle Schulmädchen-Filme noch heute erst ab 18 Jahren frei gibt. Hartwig kann das nicht verstehen: "Heute ist doch alles viel schlimmer. Was ich damals gemacht habe, sehen Sie doch jetzt im Frühstücksfernsehen." Pornografie, das stellt er klar, habe er immer abgelehnt.

Aller Aufregung zum Trotz scheint die heutige "Schulmädchen"-Generation gerade noch mal an der Tragödie vorbeigeschrammt zu sein. Die Jugend lässt sich heute sogar mehr Zeit mit sexuellen Erfahrungen als früher, bezeugt eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Aus Sicht der "Schulmädchen"- Filme wäre sie also "völlig altmodisch". Denn, so heißt es schon in Teil 1: "Man kommt nicht über die Liebe zum Sex, sondern über den Sex zur Liebe. Wie beim Fußball: der Pelé trainiert zwar jeden Tag, aber nur alle vier Jahre ist Weltmeisterschaft."

Autorin: Anne Herrberg

Redaktion: Manfred Götzke