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Hessischer Kulturpreis

15. Mai 2009

Eigentlich sollte er einer von vier Preisträgern sein. Doch dann wurde dem Islamwisschenschaftler und Publizisten Navid Kermani der hessische Kulturpreis doch nicht zuerkannt. Eine Schande, meint Bettina Marx

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Bild: DW

Das darf doch nicht wahr sein! Da sollte der hessische Kulturpreis, der seit 1982 jedes Jahr für besondere Leistungen in Kunst, Wissenschaft und Kulturvermittlung vergeben wird, an vier deutsche Vertreter der großen monotheistischen Religionen verliehen werden - als Auszeichnung für Mittlerdienste zwischen den Religionen und als Signal für Dialogbereitschaft und Offenheit.

Und nun fehlt - ausgerechnet - der Vertreter des Islam. Ausgerechnet Navid Kermani wird der Preis vorenthalten, dem in Deutschland geborenen und von iranischen Eltern abstammenden Wissenschaftler, Publizisten und Schriftsteller. Ausgerechnet er, der unermüdliche Wanderer zwischen den Welten, der mit seinen Texten zu einem besseren Verständnis des Islam beigetragen hat, ist auf so unwürdige Weise öffentlich beschämt worden.

Die Sache mit dem Kreuz

Seine Äußerungen über das Kreuz Christi, veröffentlicht am 14. März in der "Neuen Zürcher Zeitung", seien von einer derart schockierenden religiösen Intoleranz, dass es ihm unmöglich sei, zusammen mit ihm aufzutreten, schrieb Kardinal Lehmann in einem Brief an die hessische Staatskanzlei, die den Preis ausgelobt hat. Der evangelische Kirchenpräsident Peter Steinacker schloss sich dieser Auffassung an.

Es muss gefragt werden: Haben Kardinal Lehman und Professor Steinacker Navid Kermanis Text überhaupt gelesen? Und falls ja, muss weiter gefragt werden: Haben sie seine religionsphilosophische Betrachtung von Guido Renis Altarbild des Gekreuzigten in der Kirche San Lorenzo in Rom überhaupt verstanden?

Haben sie die Sätze gelesen, in denen der gläubige Muslim Kermani bekennt: "Und nun saß ich vor dem Altarbild Guido Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich - nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben."

Und haben sie die Sätze gelesen, in denen er die christliche Verklärung des Leids mit dem in der Schia zelebrierten Martyrium vergleicht - und beides ablehnt? Oder haben sie etwa nur die Sätze gelesen, in denen er sagt: "Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Nicht, dass ich die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen. Es ist keine Vorwurf. Es ist eine Absage."

Was eigentlich erwarten die Vertreter der Kirchen von einem gläubigen Moslem, der für den interreligiösen Dialog eintritt? Dass er seine eigene Überzeugung verleugnet?

Das Kreuz ist nun mal für die Vertreter der beiden anderen monotheistischen Religionen genau so schwer zu akzeptieren und zu verstehen, wie es die Selbstgeißelungen der Schiiten oder die jüdischen Speisegesetze für Christen sind. Übrigens ist die Kreuzsymbolik auch für viele nicht-religiös gebundene oder atheistische Menschen nicht akzeptabel.

Ein großartiger Artikel

Kermanis Artikel ist ein großartiger nachdenklicher Text, in dem er sich mit fundamentalen Fragen auseinandersetzt, die viele moderne Menschen beschäftigen, seien sie religiös oder säkular, Christen, Muslime, Juden oder Atheisten. Ihn aufgrund dieses Textes als Preisträger abzulehnen, ist engstirnig und zeugt von einer erschreckenden kulturellen Begrenztheit.

Noch schlimmer aber ist die unwürdige Art, wie die hessische Staatskanzlei mit Kermani umgegangen ist. Sie hat es noch nicht einmal für nötig befunden, ihn über die Bedenken der anderen Preisträger zu informieren. Da kann man sich nur Kermanis eigenen Worten anschließen: "Schämen Sie sich, Herr Koch."

Autorin: Bettina Marx

Redaktion: Kay-Alexander Scholz