1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was passiert, wenn Putin das Gas abdreht?

14. Juli 2022

Russlands Präsident will nicht mehr garantieren, dass nach der Wartung der Pipeline Nord Stream noch Gas nach Deutschland fließt. Die zuständige Bundesnetzagentur bereitet die Bürger in Deutschland auf harte Zeiten vor.

https://p.dw.com/p/4E6Yd
Russland | Gazprom | Arbeiter kontrolliert Messinstrumente
Gazprom-Mitarbeiter in Russland kontrolliert Messinstrumente (Archiv)Bild: Maxim Shipenkov/dpa/picture alliance

So langsam wird es ernst für Deutschlands Gasversorgung:  Am Mittwoch verkündete der russische Gaskonzern Gazprom, dass nicht sicher sei, ob die Gasversorgung aus Russland nach Ende der Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream von Russland durch die Ostsee direkt nach Deutschland noch gesichert ist. Die Wartungsarbeiten werden noch bis zum 21. Juli dauern.

Offiziell begründet Gazprom die Bedenken damit, dass eine wichtige Turbine, die zuletzt in Kanada gewartet worden war, noch nicht wieder am Pipeline-Unternehmen angekommen sei. Die deutsche Regierung hält dagegen, mit der absehbaren Lieferung der Turbine aus Kanada gebe es keinen Grund mehr, die Gaslieferungen zu drosseln. Zuletzt waren nur noch 40 Prozent der sonst üblichen Menge an Gas aus Russland geliefert worden. 

Deutschland | Gas Pipeline Nord Stream 1
Die Pipeline Nord Stream 1 endet in Lubmin bei Greifswald: von hier wird das Gas normalerweise auf dem Landweg weiterverteiltBild: Hannibal Hanschke/REUTERS

Gas aus Russland ist extrem wichtig für die Energieversorgung vor allem der Industrie und der privaten Haushalte. Gut die Hälfte der Wohnungen in Deutschland werden mit Gas beheizt.

Mit anderen Worten: Russlands Präsident Putin setzt die Gasversorgung Deutschlands als politische Waffe ein. So jedenfalls haben das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und auch Bundeskanzler Olaf Scholz mehrfach betont. Habeck sagte etwa dem Sender RTL: "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich befürchte es nicht." Die Abhängigkeit von russischem Gas ist hoch, auch wenn die Regierung schon einiges unternommen hat, um sie zu verringern.

Gazprom wartet Gas-Pipeline Nord Stream 1

Zuständig für die Frage, wer welche Mengen an Gas in Deutschland bekommt, ist die Bundesnetzagentur, eine staatliche Behörde. Deren Chef, der Grünen-Politiker Klaus Müller, betont stets, dass in erster Linie die privaten Haushalte versorgt werden. So sagte er dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Die deutsche und die europäische Rechtslage sehen vor, die privaten Haushalte bis zum Ende zu schützen." Auch wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck daran jetzt Zweifel aufkommen ließ. Habeck hatte die bislang vorgesehene Priorisierung von Verbrauchern etwa vor den Industriekunden in Frage gestellt, wenn es tatsächlich zu einem kompletten Ausfall der Gaslieferungen kommen sollte. 

Dramatisch steigende Gas-Preise

Das alles zeigt: Die Nerven liegen blank - laut Umfragen sinkt auch der Rückhalt für die Sanktionen gegen Russland. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte jetzt, die privaten Kunden in Deutschland müssten sich auf eine Verdreifachung der Gaskosten in Deutschland im kommenden Jahr einstellen: "Bei denen, die jetzt ihre Heizkostenabrechnung bekommen, verdoppeln sich die Kosten bereits. Und da sind die Folgen des Ukraine-Krieges noch gar nicht berücksichtigt." Kunden, die für Gas bislang etwa 1500 Euro im Jahr zahlen müssten, sollten sich auf Rechnungen in Höhe von 4500 Euro einstellen.

Deutschland Robert Habeck und Olaf Scholz
Auf der Suche nach Alternativen zu russischem Gas: Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Bundeskanzler Olaf ScholzBild: Bernd Elmenthaler/IMAGO

Habecks Überlegungen, bei einem Komplettausfall der russischen Lieferungen den Vorrang für die privaten Nutzer zu überdenken, damit die Wirtschaft keinen allzu großen Schaden erleidet, stieß auf heftige Kritik etwa der Sozialverbände. Die Präsidentin des Sozialverbandes VDK, Verena Bentele, sagte etwa den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, gerade Familien mit kleinen Kindern, Menschen mit einer Behinderung sowie ältere, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen seien auf eine sichere Versorgung mit Gas angewiesen. Und der Vorstandschef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, wer letzten Endes wie viel Gas bekomme, dürfe nicht ein Minister wie Habeck entscheiden. "Der Bundestag ist gefordert, die Frage der Priorisierung endgültig zu entscheiden", so Brysch im Gespräch mit der "Osnabrücker Zeitung."

Nicht genug Gas im Speicher

Das Gas wird also knapp in Deutschland. Und teuer. Laut Gesetz müssen die Speicher hierzulande zum 1. Oktober zu 80 Prozent und bis zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein. Dass das in diesem Jahr gelingt, ist aber sehr unwahrscheinlich. Im Moment beträgt der Füllstand gerade einmal rund 65 Prozent, zu wenig, um die Versorgung im Winter zu sichern. Tatsächlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Bundestag darüber noch mal entscheiden wird, wer mit Vorrang Gas beziehen kann und wer nicht.

Die EU-Kommission in Brüssel rechnet derweil damit, dass Russland die Gaslieferungen nach Europa noch in diesem Jahr komplett stoppen könnte. Ein Entwurf für einen Notfallplan sieht deshalb vor, dass etwa öffentliche und kommerzielle Gebäude ab Herbst nur noch mit maximal 19 Grad beheizt werden. Es wird, soviel steht schon fest, ein harter Herbst und Winter für die Gaskunden in Europa.

Patrick Graichen über Energiesicherheit in Deutschland