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Was sind Übersetzungen wert?

Christine Harjes29. April 2006

Sie gelten als die Hungerleider des Literaturbetriebs: Übersetzer. Viel mehr als die bescheidenen Seitenhonorare könnten sie nicht zahlen, behaupten die Verlage. Das lassen sich einige Übersetzer nicht mehr bieten.

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Die Seitenhonorare reichen nicht, sagen die ÜbersetzerBild: picture-alliance/ ZB
Harry Rowohlt
Multitalent Harry RowohltBild: picture-alliance/ dpa

"Wer sagt, er kann vom Übersetzen leben, lügt oder schludert", zitiert der wohl bekannteste deutsche Literaturübersetzer Harry Rowohlt den ehemaligen Suhrkamp-Lektor Walter Boehlich. "Pu der Bär", Frank McCourts Autobiographie "Die Asche meiner Mutter" - ein Bestseller - , Kurt Vonneguts Roman "Zeitbeben" und mehr als hundert weitere, überwiegend amerikanische Bücher, gehören zu Rowohlts Übersetzungswerk. Und trotzdem könne er vom Übersetzen allein nicht leben, sagt Rowohlt. "Das ist zwar mein Hauptberuf, weil ich damit auch die meiste Zeit verbringe, aber wenn ich nicht über die Käffer tingelte und mit Betonung vorläse und in der Lindenstraße den Penner spielte, könnte ich mir das Übersetzen nicht leisten."

Platonische Regelung

Übersetzen als Luxus? Der Umberto-Eco-Übersetzer Burkhart Kroeber nennt konkrete Zahlen: Das Honorar pro Seite liege zwischen 14 und 22 Euro. Er schaffe nie mehr als 100 Seiten im Monat, obwohl er schon seit 30 Jahren in dem Beruf arbeite. Macht ein Bruttohonorar zwischen 1400 und 2200 Euro. Dazu komme noch eine Beteiligung am Netto-Verkaufspreis von einem Prozent. Allerdings nur, wenn sich ein Buch mehr als 10.000 Mal verkauft. "Die meisten meiner Bücher werden aber weit unter 10.000 Mal verkauft, sodass die Regelung rein platonisch ist", sagt Kroeber.

Einkommenssteigerung auf drei Säulen

Gerlinde Schermer-Rauwolf vom Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ), der zur Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gehört, fordert eine Verdreifachung des Einkommens. "Nicht von heute auf morgen, aber absehbar." Das Einkommen solle auf drei Säulen steigen: Dem Normseitenhonorar, der prozentualen Beteiligung am Ladenpreis - und zwar bei jedem Exemplar, das verkauft wird - und der Verwertung der Nebenrechte. Also, wenn das Buch bei einem anderen Verlag als Taschenbuch oder als Hörbuch herausgegeben wird.

"Angemessene Vergütung"

Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften (Religionsdossier)
Keine Bibliothek ohne ÜbersetzungenBild: dpa

2002 schrieb die Bundesregierung in einem novellierten Urhebervertragsrecht eine angemessene Vergütung für verschiedene Künstler, unter anderem eben auch für Übersetzer, fest. Aber wer entscheidet, wie hoch ein angemessenes Honorar für eine Übersetzung ist? Die Angemessenheit wurde bislang nicht näher definiert, weil die Verlage versprachen, den Übersetzern entgegenzukommen. Bisher sei das nicht passiert, sagt Kroeber. "Ich kann nur feststellen, dass die Verlage, seitdem das neue Urheberrecht in Kraft ist, noch keinen Schritt getan haben. Sie haben immer alles verweigert", sagt der Übersetzer.

Notfalls entscheidet das Gericht

Mehr als die üblichen Seitenhonorare wollen die Verlage sowieso nicht zahlen. Damit die Ansprüche nicht verjähren, sind einige Übersetzer vor Gericht gezogen. In einem Präzedenzfall wurde im November 2005 in München ein Urteil gefällt: Danach sollen auch Übersetzer belletristischer Literatur statt Pauschalhonoraren an den Gewinnen der verkauften Bücher beteiligt werden. In einigen der zwölf Verfahren liegen die ersten Urteile vor. Dem Seitenhonorar von durchschnittlich 18 Euro stimmten die Richter zu, beim Netto-Ladenpreis sprachen sie den Übersetzern zwei Prozent zu und bei den Erlösen aus Nebenrechten sogar 25 Prozent. Dieses Urteil hat in der Verlagsbranche Existenzängste und öffentliche Diskussionen ausgelöst.

Weniger Übersetzungen

Frankfurter Buchmesse 2005: Frau mit Buch, Plakat Lesen!
Original oder Übersetzung?Bild: AP

Christian Sprang, Justiziar beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sieht die Entwicklung mit Sorge. "Die Hauptreaktion ist doch, dass sich die Verlage derzeit sämtliche Übersetzungen verkneifen, die sie sich irgend verkneifen können." So sei seit 2002 die Zahl der übersetzten Titel von damals 9000 auf inzwischen 5500 zurückgegangen. "Meine Hoffnung ist, dass die Übersetzer erkennen, dass das, was ihnen als Stärkung ihrer Interessen verkauft wurde, in Wirklichkeit etwas gewesen, ist was ihren Anliegen überhaupt nicht gerecht wird und dass man diese Reform wieder rückgängig macht", sagt Sprang.

Sprang sieht den Konflikt um die Übersetzerhonorare sehr marktwirtschaftlich: "Kein Übersetzer muss eine Übersetzung machen, wenn ihm das vom Verlag angebotene Normseitenhonorar zu niedrig erscheint." Horrende Honorare für bekannte Autoren seien dagegen angemessen. "Es gibt nur einen Dan Brown, einen John Grisham und eine Joanne Rowling. Aber es gibt allein in Deutschland mehrere 1000 Übersetzer, die diese Werke übersetzen können", erklärt Sprang. "Angebot und Nachfrage regeln den Preis."

Wenn es nach Harry Rowohlt ginge, müssten die Verlage einfach mehr hochwertige Literatur verlegen. "Wenn die Verlage behaupten, es wäre ihnen zu teuer, dann sollen sie eben weniger Scheißdreck importieren und mehr exportieren", sagt der Übersetzer, Autor und Vorleser.