1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was tun gegen Kinderehen?

Carsten Grün15. August 2016

In vielen Ländern gehört es immer noch zum Alltag, dass minderjährige Mädchen verheiratet werden. In Deutschland sind Kinderehen zwar verboten - doch ihre Zahl ist gestiegen, vor allem unter Flüchtlingen.

https://p.dw.com/p/1JiRa
Bangladesch Dhaka Symbolbild Kinderehe junge Frau mit Baby Foto: (c) picture-alliance/ZUMA Press/Mohammad Ponir Hossain
Bild: picture-alliance/ZUMA Press/M. Ponir Hossain

Mehr als 1000 Fälle von Kinderehen wurden nach Informationen deutscher Behörden seit 2015 in Deutschland registriert. Die meisten dieser Ehen seien bereits im Ausland geschlossen worden, aber auch arrangierte Verbindungen in Deutschland hätten zugenommen. Auch bei zugewanderten Roma-Familien aus anderen EU-Ländern wurden Ehen vor dem 18. Lebensjahr geschlossen. Oft wollen die Familien die Mädchen damit sozial absichern. Nach deutschem Recht sind Ehen ab 16 grundsätzlich möglich - mit Zustimmung der Eltern.

Junges Flüchtlingspaar hatte geklagt

Vor diesem Hintergrund fällte nun das Oberlandesgericht Bamberg im Juni ein Urteil mit hoher politischer und gesellschaftlicher Brisanz. Die Richter erkannten die in Syrien geschlossene Ehe eines 15-jährigen Mädchens und ihres 21-jährigen Ehemanns an. Die beiden waren als Flüchtlinge aus Syrien nach Bayern geflohen. Zuvor hatte das Jugendamt die Ehe nicht anerkannt und versucht, die junge Frau unter seine Vormundschaft zu stellen. Das Paar zog vor das Familiengericht und unterlag in erster Instanz.

Schwieriges Urteil

Das Oberlandesgericht Bamberg hingegen hob das Urteil auf. Sprecher Leander Brößler sagte, dass sich das Gericht bei seiner Entscheidung auf den Paragrafen 1633 des Bürgerlichen Gesetzbuches bezogen habe, wonach eine verheiratete Minderjährige selbst darüber bestimmen kann, wo sie sich aufhalten und mit wem sie Umgang haben möchte. Voraussetzung für diese Einschränkung der Personensorge des Vormunds ist eine wirksame Ehe, selbst wenn diese in Deutschland nie hätte geschlossen werden dürfen. Im konkreten Fall - der Ehemann und seine damals 14-jährige Ehefrau waren bei Eingehung der Ehe syrische Staatsangehörige und haben in Syrien geheiratet - habe das OLG eine wirksame Ehe nach syrischem Recht bejaht, so Brößler.

Kinderheirat in Iran Foto: lizenzfrei
Kinderehen gibt es in vielen Staaten der Welt, wie hier im IranBild: Mehr

Fall für den Bundesgerichtshof

Den rechtlichen Hintergrund sehen die Richter wie folgt: Selbst wenn bei Eheschließung ein Verstoß gegen das syrische Mindestalter vorgelegen hätte, wäre die Ehe nach syrischem Recht zwar fehlerhaft und anfechtbar. Solange eine begründete Anfechtung aber nicht erfolgt sei, ist sie als wirksam anzusehen. Wie der Familiensenat des OLG betont, gelte die gleiche Rechtsfolge auch im deutschen Recht. Denn das erlaube ebenso Ausnahmen, wonach Minderjährige eine Ehe eingehen können. Eine Heirat sei als wirksam anzusehen, solange die Ehe nicht aufgehoben worden sei, heißt es in der Urteilsbegründung. Daher könne das Jugendamt nicht über die junge Frau bestimmen, entschieden die Bamberger Richter. Eine Hintertür lassen sich die Juristen jedoch offen. Eine Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung wurde zugelassen, da eine grundsätzliche Bedeutung des Falles bestehe. Die Stadt Aschaffenburg als Klägerin gegen das Urteil will vor den Bundesgerichtshof ziehen.

Kritik aus Politik und Verbänden

Der Frauenverband "Terre des Femmes" lehnt das Urteil ab: "Frühverheiratungen sind eine Menschenrechtsverletzung. Minderjährige können die Folgen einer Heirat noch nicht abschätzen. Außerdem sind sie besonders gefährdet, in ihrer Ehe häusliche und sexualisierte Gewalt zu erfahren", sagt Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle. Dass nun ein Gericht in Deutschland die Heirat einer 14-jährigen Syrerin anerkenne, sei ein fatales Signal, das alle bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen Frühehen zunichte mache. Auch in den Landesministerien regt sich Widerstand gegen die derzeitige Rechtsordnung. Die Justizminister Bayerns und Nordrhein-Westfalens, Winfried Bausback und Thomas Kutschaty, haben sich für Gesetzesänderungen ausgesprochen.

Deutsche Behörden mangelhaft geschult

Paula Honkanen-Schoberth, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes, tritt dafür ein, die Ausnahmeregelungen bei Ehen unter 18 Jahren generell abzuschaffen und auch Ehen von Minderjährigen ohne standesamtliche Trauung neu juristisch zu bewerten. "Ehen, die nur über ein Zeremoniell mit Minderjährigen geschlossen werden, müssen als Zwangsverheiratung definiert werden. Nur so können sie grundsätzlich strafrechtlich verfolgt werden. Das hätte zur Folge, dass solche Ehen nicht mehr so einfach zu schließen wären." Honkanen-Schoberth sieht zudem Defizite in der Betreuung und Beratung minderjähriger Flüchtlinge: "In den Erstaufnahmeeinrichtungen wäre es wichtig, die Mädchen über ihre Rechte aufzuklären und ihnen auch verständlich zu machen, dass sie in Deutschland Hilfe bekommen können." Die Folgen für die betroffenen jungen Frauen seien immens, so Honkanen-Schoberth. "Die Mädchen gelangen in eine Spirale, zuerst wird die Schule abgebrochen oder nicht begonnen, ohne eigene Ausbildung wird die Abhängigkeit vom Ehemann immer größer, dazu kommen noch die frühen Schwangerschaften."

Deutschland Paula Honkanen-Schoberth Pressekonferenz in Berlin Foto: picture-alliance/dpa/M. Hitij
Paula Honkanen-Schoberth vom Kinderschutzbund fordert schärfere GesetzeBild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Schutzfunktion des Staates

Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Familienrichterin Elisabeth Winkelmeier-Becker wendet sich entschieden gegen Ehen von Minderjährigen: "Solche Kinderehen passen nicht zu unseren Werten, zu denen es gehört, dass die Ehe auf einer freiwilligen Entscheidung mündiger Menschen beruht und nicht durch Verwandte oder Traditionen vorgegeben wird." Winkelmeier-Becker sieht die Politik in der Pflicht, durch Anpassungen in der Gesetzgebung zu Ehen von Minderjährigen zu reagieren. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kündigte in der "Welt am Sonntag" die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu diesem Thema an.