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Was tun gegen Neonazis im Web 2.0?

24. Juli 2011

Jugendschutz wird in Deutschland traditionell groß geschrieben. Das betrifft auch den Schutz vor rechtsradikalem Gedankengut. In Berlin wurden jetzt neue Erkenntnisse im Kampf gegen Neonazis im Internet vorgestellt.

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Symbolbild: Auf einem Computermonitor sind die Internetseiten der NPD und des sozialen Netzwerks Facebook zu sehen (Foto: dpa)
Die Jugendschützer haben 6000 rechtsextreme Beiträge im Web 2.0 dokumentiertBild: picture alliance/dpa
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (Foto: dapd)
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische BildungBild: dapd

"Kampf an allen Fronten im Web 2.0 - professionelle Distributionsoptimierung - erfolgreiche Strategien zur Unterwanderung von Jugendstilen": Die warnenden Worte bei der Vorstellung des gemeinsamen Jahresberichts der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und der Organisation "Jugendschutz.net" über die Gefahren von Rechtsextremismus im Internet waren nicht zu überhören. Durch den anhaltenden Erfolg von Facebook, Twitter und Youtube habe sich eine neue Gefahrensituation für Jugendliche manifestiert, sagte BpB-Präsident Thomas Krüger am Donnerstag (21.07.2011) in Berlin. Der Trend, dass Hasspropaganda und rechtsextremistische Aktivitäten von den klassischen Webportalen ins Web 2.0 wandern, habe sich dramatisch zugespitzt. "Wir haben im Monitoring eine Verdreifachung der Zahlen festgestellt und das führt dazu, dass die Strategien nachjustiert werden müssen."

Die ungeheure Dynamik im Web 2.0 mache ein systematisches Monitoring fast unmöglich. Weltweit werden pro Minute 35 Stunden Filmmaterial hochgeladen. Zum anderen sind unter den 19 Millionen Facebook-Nutzern in Deutschland viele sogenannte "Digital Natives", die also mit dem Internet aufgewachsen sind und kaum noch klassische Medien und deren Inhalte zur Aufklärung und Prävention nutzen.

Emotionen statt stumpfer Parolen

Der Leiter Bereich Rechtsextremismus bei "jugendschutz.net", Stefan Glaser (Foto: dpa)
Der Leiter des Bereiches Rechtsextremismus bei "jugendschutz.net", Stefan GlaserBild: picture-alliance/ dpa

Die rechtsextreme Szene in Deutschland habe sich auf das Web-2.0-Zeitalter eingestellt und erreiche Jugendliche inzwischen über eine zielgruppenspezifische Ansprache, erklärt Stefan Glaser von "Jugendschutz.net". Dabei werde gezielt auf Emotionen gesetzt: "Musik und Videos sind die zentralen Träger der rechtsextremen Propaganda."

Ein aktuelles Video zeigt Fackelträger beim nächtlichen Marsch durch leere Straßen, die Gesichter mit weißen Masken verhüllt. Die Szenerie wird untermalt von dramatischer Musik. Dahinter stecken Neonazis, die vor dem "drohenden Volkstod" warnen. Ganz bewusst würden in den Videos das Kommunikationsbedürfnis und das Mobilisierungspotential der Jugendlichen angesprochen.

Unter den Videos finde sich immer ein Hinweis, wo im Internet mehr Informationen oder ein Forum der Szene zu finden sind. "Man kann sagen, dass die Dienste des Web 2.0 ein ideales Feld für die möglichst breite Mobilisierung darstellen", fasst Glaser seine Untersuchungen zusammen.

Wie kann gegengesteuert werden?

In Deutschland sind Provider im Internet laut Telemediengesetz nur mittelbar für das zuständig, was ihre User schreiben oder uploaden. Sie müssen Rechtsverstöße - wie rassistische Kommentare - nur dann löschen, wenn sie gemeldet werden. Genau hier werden auch die Macher von "Jugendschutz.net" aktiv. Die Zusammenarbeit mit den Providern funktioniere eigentlich recht gut, berichtete Stefan Glaser. Aber einfach sei die Arbeit trotzdem nicht. Glaser nannte drei Beispiele, die verdeutlichen, wie sehr die Arbeit der Jugendschützer auch von politischen und technischen Rahmenbedingungen abhängt.

Im Netz herrsche Meinungsfreiheit. Nur 15 Prozent der untersuchten verdächtigten Fälle von jugendgefährdendem Content seien letztlich wirklich rechtlich unzulässig gewesen. Gelöschte Hass-Videos würden in Windeseile durch ähnliche Video-Uploads ersetzt, so Glaser. Und an die vielen Meinungsbeiträge sei generell schwer heranzukommen, vor allem wenn die Server in den USA stehen, wo die Meinungsfreiheit breiter definiert werde als in Deutschland.

Gute Zusammenarbeit in Europa

Logo von INACH - International Network Against Cyber Hate

Seit dem Jahr 2002 gibt es das "International Network Against Cyber Hate" (INACH), das auch durch die Initiative von "Jugendschutz.net" entstand. Dadurch sei die europäische Zusammenarbeit auf diesem schwierigen Terrain sehr viel einfacher geworden, sagt INACH-Mitbegründer Glaser. Mit den Kollegen aus anderen Ländern werde gemeinsam über Strategien beraten, aber auch in konkreten Fällen zusammengearbeitet, wenn also zum Beispiel ein Video auf einem ukrainischen Server gelöscht werden soll.

Die Zusammenarbeit mit den Global Playern des Web 2.0 in den USA beschrieb Stefan Glaser mit auffallend deftigen Worten. Mit Kommunikation würde man die Unternehmen "weichklopfen wollen" - und wenn das nicht helfe, auch mal "die Keule auspacken und draufhauen".

Eine mögliche Keule ist der Appell an die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Provider. Hier können die Anbieter klare Regeln festlegen und Verstöße ahnden. Deutschlands Jugendschützer hoffen darauf, dass sich auch international ein höheres Problembewusstsein für Verstöße in der Internetkommunikation herausbildet.

"Wir brauchen Regeln"

Ein anderer Weg, die Jugendlichen durch sogenannte Filtersoftware zu schützen, scheitere oft am Widerstand der Wirtschaft, die zu den notwendigen Investitionen nicht bereit sei, merkte Thomas Krüger von der Bundeszentrale an. Mit Filtern ließe sich beispielweise verhindern, dass eine gelöschte Datei als Kopie neu hochgeladen wird.

Neben klassischer Aufklärung und Beratung hofft Krüger darauf, dass zukünftig mehr Netzaktivisten - also die Zivilgesellschaft - gegen den Missbrauch im Web 2.0 vorgehen. Denn Deutschland stehe vor einer wichtigen Herausforderung, meint Thomas Krüger. Das Netz sei kein rechtsfreier Raum. Deutschland brauche einen Aushandlungsprozess, um Regeln für das Leben im Netz zu erarbeiten. Das solle nicht heißen, das Netz mit Polizeitechniken zu überwölben. "Aber es darf nicht alles gesendet werden, was gesendet werden will." Letztlich müsse das Grundgesetz auch für die Kommunikation im Internet gelten.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Hartmut Lüning