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Wasserstoff-Premiere in Deutschlands Nordwesten

12. Dezember 2022

Die ersten Wasserstoff-Züge der Welt im Regelbetrieb betreibt eine Eisenbahngesellschaft aus Bremervörde. Im Regelverkehr verkehren dort sechs mit Wasserstoff angetriebene Züge und ersetzen die Dieseltriebwagen.

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Einfahrt des Wasserstoffzuges in Bremervörde
Einfahrt des Wasserstoffzuges in BremervördeBild: Eisenbahnbetriebe Weser-Ems

Christoph Grimm zieht sich die gelbe Warnweste über und verlässt sein Büro. Draußen, vor dem frisch renovierten alten Bahnhof der Bremervörder-Osterholzer Eisenbahn, wird die künftige Wasserstoff-Werkstatt hochgezogen. Sein Unternehmen, betont der Geschäftsführer, feierte vor kurzem eine Weltpremiere. Zwischen Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude fahren sechs wasserstoffangetriebene Züge im Regelbetrieb und ersetzen die herkömmlichen Dieselzüge. Dank einer Brennstoffzelle fahren die Züge komplett emissionsfrei.

"Alle relevanten Antriebskomponenten wie  Tank und Brennstoffzellen", erläutert er, "liegen bei Wasserstoffzügen auf dem Dach." Bei Dieselfahrzeugen befinden sich die Aggregate unter dem Fahrzeugboden. "Das erfordert ein komplett anderes Wartungskonzept, deswegen der Neubau."

Weltpremiere in Bremervörde

Die Eisenbahnverkehrsbetriebe Elbe Weser sind der Nachfolger regionaler Bundesbahn-Strecken sowie dreier privater Eisenbahnunternehmen. Seit über 40 Jahren hält das Unternehmen den Schienenverkehr in der strukturschwachen Region zwischen Elbe und Weser am Laufen. Die wasserstoffangetriebenen Züge sind das Sahnehäubchen im Fuhrpark der EVB. Im regionalen Personenverkehr fährt das Eisenbahnunternehmen auf 250 firmeneigenen Schienenkilometern. Das Unternehmen macht alles in Eigenregie: Signale, Gleise, Bahnhöfe, Lokomotiven.

Vor einem alten Lagerschuppen lagern Radsätze, dahinter stehen ausrangierte Loks zum Ausschlachten. Die EVB bieten zudem Containerzüge zwischen den norddeutschen Seehäfen und Süddeutschland an, arbeitet in den Häfen im Rangierdienst, unterhält Busse und ein eigenes Reisebüro. Arbeit für über 600 Beschäftige. Gesellschafter sind das Land Niedersachsen, die Landkreise und Städte aus der Region.

Der neue Wasserstoffzug der EVB
Unverkennbar: Der neue Wasserstoffzug der EVBBild: Eisenbahnbetriebe Weser-Ems

"Dass die EVB die Ehre hat", sagt Geschäftsführer Grimm nicht ohne Stolz, "den weltweit ersten wasserstoffbetriebenen Zug im Planeinsatz zu haben", sei vor allem der Tatsache zu verdanken, dass der Fahrzeughersteller Alstom im niedersächsischen Salzgitter beheimatet ist. 

Das Streckennetz der EVB bot sich da an - ebenfalls in Niedersachsen gelegen und nicht elektrifiziert. Ideale Voraussetzungen für den Betrieb von Wasserstoff-Zügen. Keine neue Technologie kommt in der Anfangsphase ohne großzügige staatliche Unterstützung über die Runden.

Brennstoffzellen sind sündhaft teuer. Die niedersächsische Landesnahverkehrsgesellschaft schoss beim Kauf der Züge 81 Millionen Euro zu. Das Geld stammt aus dem Fördertopf "Nationale Wasserstoffstrategie" der Bundesregierung.  Einer der neuen Züge steht eigentlich immer in der Werkstatthalle - Wasserstofftanks und Brennstoffzellen müssen überprüft und gewartet werden. Übergangsweise wird die Wartung in der regulären Halle auf dem Firmengelände durchgeführt. Vor dem Tor steht eine E-Lok - dunkelblau, hellgelb, lichtgrau lackiert, die Farben der EVB. In der Halle wartet Markus Rech, zuständig für die Technik und Instandhaltung. "Der Wasserstoff verbindet sich mit der Umgebungsluft, aus Wasserstoff und Sauerstoff wird Wasser." Diese chemische Reaktion setzt Energie frei, die die Brennstoffzelle als elektrischen Strom abgibt. Markus Rech: "Wenn so ein Fahrzeug im Bahnhof steht oder vorbeifährt, sieht man den Wasserdampf, der oben rauskommt."

Wasserstoff-Tankstelle der Verkehrsbetriebe Weser-Ems
Wasserstoff-Tankstelle der Verkehrsbetriebe Weser-EmsBild: Eisenbahnbetriebe Weser-Ems

Noch grauer Wasserstoff, bald grüner Wasserstoff

Betankt werden die Wasserstoff-Züge an einer extra hierfür errichteten Tankstelle; zwei Tonnen Wasserstoff lagern dort. Der Wasserstoff kommt aus Stade, berichtet Geschäftsführer Christoph Grimm: „Stade ist ein wichtiger Standort der Chemieindustrie. Der Wasserstoff fällt dort als Beiprodukt an."  Wasser in seine chemischen Einzelelemente zu zerlegen, schluckt enorm viel Strom. Wird die Energie wie am Industriestandort Stade aus Gas- oder Kohlekraftwerken bezogen, spricht man von grauem Wasserstoff. Damit ist klimapolitisch noch nichts gewonnen. Der CO2-Ausstoß reduziert sich erst,  wenn der Strom für die Elektrolyse aus regenerativen Energieträgern stammt. In vier Jahren soll es so weit sein. Dann werden sich neben der Wasserstofftankstelle in Bremervörde Windkrafträder drehen und Photovoltaikfelder installiert sein. Das Grundstück, bestätigt Christoph Grimm, „haben wir vorsorglich beim Bau der Wasserstofftankstelle mit gesichert." Die Elektrolyse-Anlage, die dort geplant ist, würde dann ausschließlich grünen Strom einspeisen.  

Auch Wasserstoff-Züge müssen gewartet werden - Blick in die Wartungshalle
Auch Wasserstoff-Züge müssen gewartet werden - Blick in die WartungshalleBild: Eisenbahnbetriebe Weser-Ems

Globale Nachfrage nach Wasserstoff-Zügen

Der Wasserstoff-Zug, der in der Halle gewartet wird, besitzt pro Zugsegment jeweils einen 130-Kilogramm-Tank und eine Brennstoffzelle. Der Zug fährt damit im Regelverkehr pro Tag rund 800 Kilometer. "Das zeigt, dass der Zug eingesetzt werden kann wie ein Dieselzug." Alstom, der Hersteller, beaufsichtigt auf dem Bremervörder Betriebsgelände die Wartung seiner Züge und führt die Korrekturen durch. In die Karten möchte man sich nicht blicken lassen.

EVB-Geschäftsführer Christoph Grimm ficht das nicht an. Wichtiger sei doch die Frage, wo sich weltweit neue Absatzmärkte für Wasserstoff-Züge auftun. Auf ganzen Kontinenten - Nordamerika zum Beispiel - sei die elektrische Oberleitung die absolute Ausnahme. Grimm: "Elektrifiziere ich erst einmal oder kaufe ich gleich einen Wasserstoffzug?" Sechs Triebfahrzeuge hat Alstom bereits nach Bremervörde ausgeliefert, zwei weitere erwartet Geschäftsführer Grimm noch vor Weihnachten.

Bis zum Sommer sollen dann alle 14 bestellten Züge auf der Schiene sein und die Dieselzüge auf dem Streckennetz der Eisenbahnbetriebe Weser-Elbe ersetzen. Die nächsten Interessenten stehen schon vor der Tür. 2023 werden im Raum Frankfurt einige S-Bahn-Linien auf Wasserstoff umgestellt, bestätigt der EVB-Geschäftsführer. Und für die kommenden Tage haben sich bei ihm in Bremervörde der irische Verkehrsminister und eine Delegation aus Australien angekündigt.