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Goldman Sachs lockert die Krawatte

Sabrina Kessler New York
21. April 2019

Die Mitarbeiter von Goldman Sachs müssen künftig nicht mehr mit Anzug im Büro erscheinen. Die "neue Lässigkeit" kommt nicht freiwillig. Und: Der Kulturwandel stürzt eine andere Branche in die Krise.

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USA Aktienhändler Wall Street in New York
Eher leger unterwegs: Händler vor dem Eingang zur New Yorker Börse an der Wall StreetBild: DW/S. Kessler

Er wirkt wie ein Exot an der Wall Street, mittags um halb eins. Mit seiner Zigarette im Mund und dem Smartphone in der Hand lehnt er lässig an einem der halbhohen Pfeiler, der den Fußweg vor der Börse von der befahrenen Straße trennt. Vom Hunger getrieben strömen die Menschen aus der Börse; man sieht, dass sie dort arbeiten, ihre Kleidung verrät es. Auch Ryan geht hier aus und ein, seit Jahren ist die Finanzwelt sein Metier. Aber das mit dem Anzug, das fand er schon immer Mist.

Ryan arbeitet bei Goldman Sachs - und sieht trotzdem aus wie ein Tourist. Er trägt weder Krawatte noch Jackett, nicht mal Lederschuhe hat er an. Stattdessen dunkle Sneaker, leicht ausgewaschene Jeans und eine Windjacke, die ihn in den zugigen Straßen Manhattans vor dem noch kalten April-Wind schützt. "Ich bin wirklich froh, dass ich auch endlich so zur Arbeit gehen kann."

Bis vor ein paar Wochen nämlich, da war das noch ganz anders. Wie im Finanzwesen üblich galten auch bei Goldman Sechs strenge Kleidervorschriften und damit auch für Ryan. Wer Investmentbanker sein wollte, der hatte keine Wahl: schick und förmlich musste es sein. Die Krawatte war Standard, der Anzug: ganz normal. Sneaker und Jeans? Verboten!

Wall Street Dow Jones überspringt erstmals die Marke von 20 000 Punkten
Weg mit der Krawatte! Händler an der Wall StreetBild: picture alliance/Mark Lennihan/AP/dpa

Neuer Chef - neue Kleiderordnung

Doch David Solomon will was ändern in dem angestaubten Unternehmen. Der neue Chef von Goldman Sachs ist erst seit wenigen Monaten im Amt. Unter dem Namen D-Sol tourt er seit Monaten als DJ durch die Welt, zuletzt war er in New York, Miami und auf den Bahamas. Sein bislang größter Hit: "Don't stop (thinking about tomorrow)".Sein Song klingt wie eine Ansage an sein eigenes Unternehmen. Niemals stehenbleiben, immer an morgen denken: das soll jetzt auch für den internen Dresscode gelten.

Das Unternehmen folgt damit einem Trend, der bei Tech-Firmen im Silicon Valley längst keiner mehr ist. Schon in den 1950er Jahren begann dort eine Entwicklung, die vielen heute als "Casual Friday" bekannt ist. Montag bis Donnerstag galt in den Büros ein strenger Dresscode, freitags - als Einstimmung ins Wochenende - durfte es statt Hemd auch mal der Rollkragenpullover oder das Polo-Shirt sein.

Heute ist die wöchentliche Ausnahme vielerorts längst Standard. Der lässige Look ist Ausdruck einer neuen Elite - und genau die soll jetzt auch vermehrt bei Goldman Sachs arbeiten. "Investmentbanken werden selbst immer mehr zu Tech-Firmen", sagt Brad Jaeger, der seit Jahren als Entwickler für ein New Yorker Tech-Startup arbeitet. Dafür brauche es nicht mehr nur Betriebswirtschaftler und Analysten, sondern vor allem Tausende neue Entwickler. "Die tragen aber bestimmt keinen Anzug", sagt Jaeger und muss lachen.

"Absolute Fehlentscheidung"

Geht es nach Jaeger, hat Goldman Sachs den modischen Wandel dringend nötig. Schon jetzt sind mehr als 75 Prozent aller Mitarbeiter dort jünger als 38 Jahre. 27.000 Tausend Menschen also, die im Zweifel lieber Jeans und Shirt tragen, statt Krawatte und Jackett. Im Kampf um junge Talente soll der neue Dresscode helfen, mit der Lässigkeit des Silicon Valleys gleichzuziehen. Doch was nach leichtem Spiel aussieht, halten Marktkenner für eine absolute Fehlentscheidung.

"Der neue Dresscode ist eine ziemlich schlechte Idee", sagt Heather Zumarraga, Analystin beim Fondsanbieter Vision 4 Funds. Anzug und Krawatte seien nun mal eine Uniform - und die mache es Minderheiten und Menschen aus anderen Ländern viel einfacher, sich in einer Firma wohlzufühlen. "Wenn sich Investmentbanken neuen Talenten und damit auch mehr Diversity öffnen wollen, dann sollten sie unbedingt bei Anzug und Krawatte bleiben."

Die amerikanischen Herrenausstatter würde es freuen, wenn Firmen wie Goldman Sachs und JP Morgan bei ihrer Anzugpflicht blieben. 2,6 Milliarden Dollar setzen sie jährlich landesweit um, die Verkaufszahlen aber brechen immer mehr ein. Der Aktienkurs von Tailored Brands etwa, einem der größten US-amerikanischen Hersteller für Anzüge, hat sich seit Jahresanfang halbiert. Doch wie schraubt man die Verkaufszahlen wieder nach oben, wenn das Förmliche aus der Mode ist?

USA Modekette Indochino in New York
Filiale der Modekette Indochino in New Yorks Financial DistrictBild: DW/S. Kessler

Aber bitte keine Flip-Flops!

Die Herrenausstatter versuchen es mit Geschenken und neuen Kombinationen. Die Kaufhauskette Macy's etwa empfiehlt inzwischen Kapuzenpulli zum Jackett, andere Verkäufer zeigen in ihren Schaufenstern Jogginghose zum Hemd. Das kanadische Modelabel Indochino, das mit einem seiner Läden direkt an der Wall Street vertreten ist, schenkt der Belegschaft von Goldman Sachs sogar Gratis-Chinos und gewährt Rabatte, die sonst nur die eigenen Mitarbeiter bekommen. Das alles soll zum Kauf anregen, bislang aber nur mit mäßigem Erfolg.

Es scheint, als würde sich die neue Lässigkeit durchsetzen. Doch bei aller Entspanntheit: es dürfe nicht zu "casual" werden, darauf besteht selbst der unkonventionelle David Solomon. "Lässige Kleidung ist nicht an jedem Tag und für jede Gelegenheit angemessen", heißt in dem Schreiben, dass er an seine Mitarbeiter verfasst hat. Man vertraue auf das Urteilsvermögen der Mitarbeiter, "sich so zu kleiden, wie es zu den Erwartungen der Kunden passt". Tank Tops und Flip-Flops wird man also auch im heißesten New Yorker Sommer weiterhin eher nicht an einem Banker sehen.