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Deutschland stellt sich seiner Verantwortung beim Massaker an den Armeniern

29. September 2011

Mit einem Fraktionsantrag stellte sich Deutschland 2005 seiner Verantwortung bei den Deportationen und Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich. Das Deutsche Reich war in die Vorgänge von damals tief involviert.

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Plakat mit Fotos von Armeniern, die das Massaker 1915 überlebten (Quelle: ap)
90 Fotos von Überlebenden im Gedenken an den Völkermord an den ArmeniernBild: AP

Welche Rolle Deutschland bei der Vertreibung und dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 gespielt hat, wird nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Recherchen über den Holocaust zutage gefördert. Unabhängigen Berechnungen zufolge fielen 1,5 Millionen Menschen dem Massaker zum Opfer. Als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg war das Deutsche Reich in die Vorgänge involviert, erklärt der Historiker Hans Lukas Kieser von der Schweizer Universität Zürich. Hochrangige Politiker und Militärs waren von Anfang an über die Verfolgung und Ermordung der Armenier informiert. Kieser, hebt hervor, dass die Armenier mit Zustimmung der Deutschen deportiert wurden.

Enver Pascha, der damalige Kriegsminister im Osmanischen Reich, sei zum deutschen Botschafter Hans von Wangenheim gegangen und habe die deutsche Zustimmung für Deportationen ersucht, erklärt Kieser: "Das schien etwas Limitiertes zu sein. Wangenheim war durchaus gewieft. Er konnte hinter dieser Zulassung, die Enver da wollte, klar verstehen, dass da etwas viel Umfassenderes gemeint war. Aber er wollte das nicht sehen."

Schuld und Verantwortung

Marieluise Beck (Foto: picture alliance / Sueddeutsche Zeitung)
Marieluise Beck verlangt mehr EngagementBild: picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo

Mit dem Antrag "Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915", der von vier der fünf Fraktionen im Deutschen Bundestag am 15. Juni 2005 gestellt wurde, bekannte sich die Bundesrepublik zur Mitverantwortung des Deutschen Reiches an den Geschehnissen von 1915. In dem Dokument wird der Trauer um die Vertreibung und die Vernichtung der Armenier Ausdruck gegeben. Des Weiteren äußert die deutsche Politik den Anspruch, sich dafür einzusetzen, dass das türkische Volk seine Geschichte aufarbeitet. Auch möchte sich die deutsche Politik für die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien einsetzen.

Erst nach langem Debattieren wurde damals der Antrag verabschiedet, erinnert sich die Bündnis 90/Die Grünen Politikerin Marieluise Beck. Die Verabschiedung des Antrags sei ein wichtiger Schritt gewesen, aber es seien auch andere Maßnahmen vonnöten, um dieses Vorhaben umzusetzen, sagt Beck: "Die Geschichtskenntnisse sollten vertieft werden, so dass auch ein deutsches Schulkind weiß - das 20. Jahrhundert hat begonnen mit einem Genozid." Das sei aber nicht genug, betont die Politikerin: "Dazu braucht es Orte der Erinnerung, Namen, Geschichten, Zeitzeugnisse. Die Zeitzeugen gibt es fast nicht mehr."

Bildung als Schlüssel

Der deutsche Politiker Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen (Foto: ap)
Cem Özdemir spricht sich für Bildungszusammenarbeit mit der Türkei ausBild: AP

Besonders im Bereich der Bildung könnte die deutsche Regierung mehr machen, glaubt auch der Deutsch-Armenier Raffi Kantian, Redakteur der Zeitschrift Armenisch Deutsche Korrespondenz (ADK). Denn das sei der einzige Punkt, worauf die deutsche Seite wirklich Einfluss nehmen könne - die Aufarbeitung durch das Kultusministerium, d.h. in den Schulen. "Aber diese Dinge sind zu schaffen, wenn man den politischen Willen hat, in den Ländern etwas zu unternehmen."

Auch der Bündnis90/Die Grünen Vorsitzende Cem Özdemir glaubt, dass das Thema Vertreibung und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich vermehrt in den Schulbüchern behandelt werden müsse. Dafür könnten Deutschland und die Türkei gemeinsam Schulbücher entwerfen, schlägt er vor. Dass einige Nationalparlamente die Ereignisse von 1915 als "Völkermord" verurteilten, würde aber "nicht ausreichen, um die Wunden zu schließen", betont der türkischstämmige Politiker: "Ich glaube, die eigentliche - in Einführungszeichen - Lösung wird es erst geben, wenn die türkische Nationalversammlung sich mit dem Thema beschäftigt." Außerdem solle sich die offizielle türkische Geschichtsschreibung dem anpassen, was sich als Allgemeingut im Stand der Wissenschaft mittlerweile herausgearbeitet hat, betont Özdemir.

Bisher weigert sich die Türkei jedoch, die Geschehnisse von 1915 als Genozid an den Armeniern anzuerkennen.

Autorin: Jülide Danisman
Redakteurin: Blagorodna Grigorova