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Jahresbericht

16. März 2010

Vorbildliche Soldaten, aber fehlendes Material, üble Bürokratie und Strukturmängel beschreibt Reinhold Robbe in seinem neuen Bericht über die Bundeswehr. Teilen der Truppenführung wirft er sogar völlige Inkompetenz vor.

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Reinhold Robbe bei der Präsentation seines Berichts (Foto: dpa)
Reinhold Robbe bei der Präsentation seines BerichtsBild: picture alliance/dpa

Reinhold Robbe sagt von sich selbst, dass er das Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages mit Leidenschaft ausübt. Als er vor fünf Jahren sein Amt antrat – als Sozialdemokrat, der Zivildienst geleistet hatte – war er manchem suspekt. Inzwischen wird er allgemein als gradliniger und ehrlicher Anwalt der Interessen der Soldaten anerkannt - noch bis Mai, denn dann scheidet er aus dem Amt. Der neue Jahresbericht ist also sein letzter und es ist einer, der leidenschaftlich und mit großer Schärfe Defizite bei den Streitkräften anprangert. Robbe wird nicht müde, immer wieder das Kritikmantra von "fehlendem Material, strategischen Fähigkeitslücken, bürokratischen Unsinnigkeiten, Mängeln in der Ausbildung und demotivierende Besoldungs- und Beförderungsdefizite" aufzusagen. Es wirkt nie runtergeleiert.

Ein Bundeswehrsoldat bei Kundus im Norden Afghanistans (Foto: dpa)
Ein Bundeswehrsoldat bei Kundus im Norden AfghanistansBild: picture-alliance/ dpa

Grundlage für den Jahresbericht des Wehrbeauftragten, der für den Bundestag bestimmt ist, sind rund 5700 Eingaben, die von Soldaten gemacht worden sind und Robbes "fast immer unangemeldete" Truppenbesuche. Dort spricht er direkt mit den Soldaten, ohne Vorgesetzte. "Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen tollen Job", sagt er, als er über die Situation bei den Streitkräften spricht. "Strukturprobleme werden an der Basis kompensiert durch ein unglaubliches Improvisationstalent." Wenn man Robbe zuhört, gewinnt man den Eindruck, dass die Bundeswehr nicht dank, sondern trotz ihrer Führung einsatzfähig ist. "Das System ist unflexibel und gibt die Wirklichkeit nicht wieder."

Unfähige Bürokraten

Robbe spricht von Soldaten, die verletzt im Krankenhaus liegen und mitbekommen, dass ihnen die Auslandseinsatzzulage umgebucht wird, weil sie vor dem Monatsende auf eine Mine gefahren sind. Robbe weiß von Fahrern tonnenschwerer Panzerfahrzeuge, die erst im Einsatzgebiet ans Steuer dürfen und von feigen und rücksichtslosen Vorgesetzten.

Soldaten während eines Manövers in Deutschland (Archivbild: AP)
Soldaten während eines Manövers in DeutschlandBild: AP

Richtiggehend verärgert zeigt sich Robbe über die Situation bei der ärztlichen Versorgung der Bundeswehr. Die habe er nun schon viele Jahre kritisiert, ohne dass sich etwas getan hätte. Er wirft der Führung des Sanitätswesens, "besonders dem verantwortlichen Inspekteur ein klares Versagen in seinem Verantwortungsbereich vorzuwerfen." Harsche Kritik auf der ganzen Linie, bei der allgemeinen sanitätsärztlichen Versorgung der Bundeswehrangehörigen, der Versorgung der posttraumatisch belasteten Soldaten, oder der Personalrekrutierung. "Überall ist viel zu spät gehandelt und sind Probleme offensichtlich bewusst schön geredet worden." Mittlerweile fehlten der Bundeswehr 600 Ärzte.

Ekelrituale sind Ausnahmen

Robbe sagt von sich selbst, dass er im Laufe der Jahre gelernt habe, die Truppe durch die Augen der Soldaten zu sehen. Entsprechend milde fällt sein Urteil aus, wenn es um die jüngsten Exzesse in ihren Reihen geht, um die entwürdigenden Aufnahmerituale: Da war von Gebirgsjägern zu hören, die als Mutprobe rohe Leber essen und von Soldaten, die bis zum Erbrechen Alkohol trinken mussten. Für Robbe handelt es sich dabei allerdings nur um – wenn auch bedauerliche – Ausnahmen. "Die innere Verfassung der Streitkräfte ist insgesamt als vorbildlich und respektabel zu bezeichnen."

Weniger gefällt Robbe die Haltung, die die Gesellschaft zu den Streitkräften hat. Es fehlt ihm an Mitgefühl und Respekt: "Es vergeht kein Truppenbesuch, ohne dass mir gegenüber durch Soldatinnen und Soldaten die zu geringe menschliche Empathie durch unsere Gesellschaft beklagt wird." Robbe beklagt mit Nachdruck, dass es auch 61 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr noch nicht gelungen sei, einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft für die Truppe zu erzeugen. Robbe fordert deswegen, "diese menschliche Unterstützung durch die Gesellschaft zu organisieren."

Autor: Heiner Kiesel

Redaktion: Dеnnis Stutе