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Weichert: "Gute Ermittlungsarbeit"

Martin Koch23. April 2013

Die US-Ermittler haben nach den Boston-Anschlägen entscheidende Hinweise durch Amateurfotos gefunden. Wäre das auch in Deutschland möglich? Warum nicht, sagt Datenschutzexperte Thilo Weichert im DW-Interview.

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Thilo Weichert (Foto: ULD)
Bild: ULD/Markus Hansen

DW: Herr Weichert, was halten Sie als Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein von der Fahndung mit Hilfe von Handy-Fotos, die von Augenzeugen gemacht wurden? Ist das ein gefährlicher Trend oder gute Ermittlungsarbeit?

Thilo Weichert: Das ist tatsächlich gute Ermittlungsarbeit. Es ist heute so, dass sehr, sehr viele Bilder von Privatpersonen erstellt werden und wenn sich dann entsprechende Ermittlungsansätze ergeben, die von der Polizei genutzt werden können, ist das unbedingt zu begrüßen.

Inwieweit sind solche Fahndungsmethoden mit Amateur-Fotos nach Verbrechen wie dem Anschlag in Boston auch in Deutschland möglich?

Diese Methoden sind 100-prozentig übertragbar, wobei natürlich die Rahmenbedingungen bei uns völlig andere sind. Videoüberwachung ist in Deutschland sehr restriktiv reguliert: Es ist nicht erlaubt, zu jedem Anlass und in jedem Umfang Kontrolle im öffentlichen Raum vorzunehmen, aus dem Interesse heraus, dass man sich dort auch unbefangen bewegen soll. Aber dort, wo eine große Menschenmenge zusammenkommt, wo unter Umständen auch große Gefährdungen bestehen, dort ist es auch für Institutionen möglich, Bilder zu erstellen.

Welche Vorteile haben Handy-Aufnahmen gegenüber den schon vorhandenen Überwachungskameras?

Da gibt es überhaupt keinen Unterschied der Ermittlungsmöglichkeit. Man kann in jedem Fall feststellen, an welchem Ort zu welcher Zeit sich bestimmte Personen aufgehalten haben, anhand von Gesichtern und anderen Identifizierungsmerkmalen. Die Überwachungskameras der Polizei oder größeren Einrichtungen haben natürlich die Konsequenz einer systematischen Beobachtung, die nicht anlassbezogen, sondern völlig unabhängig von einem konkreten Anlass Bilder erstellen, unter Umständen auch sensible Bilder erstellen in Zusammenhängen, wo sie nun nicht zur Terrorbekämpfung, sondern zur Belästigung von Leuten oder zur Einschränkung von deren Handlungsfreiheit genutzt werden. Und da muss man sehr zurückhaltend und vorsichtig sein. Da gibt es in Deutschland sehr klare Regelungen. In den USA gibt es da praktisch überhaupt keine Einschränkungen mit der Konsequenz, dass dort die Videoüberwachung ganz massiv praktiziert wird. Erstaunlicherweise hat das aber nicht zur Folge, dass die Aufklärungsquote bei der Kriminalität höher ist, sondern im Gegenteil: Die Kriminalität in den USA und Großbritannien, wo sehr viel Videoüberwachung stattfindet, ist erheblich höher als in Europa.

Es gibt Versuche, mit 3-D-Aufnahmen zur Gesichtserkennung Kriminellen auf die Spur zu kommen. Was verbirgt sich dahinter?

Eine 3-D-Erfassung von Personen ist heute noch nicht möglich mit normalen Smartphones oder Videokameras. Da gehört ein koordiniertes Aufnehmen von verschiedenen Seiten dazu. Aber wir haben im Bereich der Video-Überwachung eine massive technische Entwicklung. Das betrifft die 3-D-Erfassung, die Videoüberwachung aus der Luft per Drohne, die Möglichkeit, jemanden über mehrere Kameras hinweg zu verfolgen. Hier gibt es eine große technische Entwicklung, damit verbunden aber auch gewaltige Gefahren für Persönlichkeitsrechte, die wir als Datenschützer abwehren müssen.

Welche Nachteile und Grenzen gibt es?

Diese neuen Entwicklungen sind für Ermittler hochspannend und interessant, aber sie sind hochgefährlich für die betroffenen Menschen, vor allem, wenn sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen und nur zum Beispiel demonstrierend ihre Freiheiten praktizieren wollen. Denn es kann einen Einschüchterungseffekt haben. Bis hin zu der Konsequenz, dass Leute sagen, ich nehme meine Freiheiten nicht wahr, weil ich dann unter Umständen negative Auswirkungen befürchte, die ich nicht in Kauf nehmen möchte.

Welche Auswirkungen auf die Gesellschaft könnte eine noch stärkere Überwachung durch Videokameras oder Handy-Aufnahmen haben?

Es ist definitiv so, dass die Erstellung dieser Videobilder und von Bildern generell eine andere Verhaltensweise der Menschen in der Öffentlichkeit zur Folge hat: In dem Augenblick, wo ich weiß, ich werde beobachtet, verhalte ich mich anders, als wenn ich weiß, ich bin unbeobachtet. Welche Auswirkungen das hat, hängt ganz stark von den einzelnen Personen ab. Es kann die Auswirkung haben, dass man sich eingeschränkt fühlt in seinen Freiheiten, es kann auch den entgegengesetzten Effekt haben, dass das Überwachen und Fotografieren Menschen aggressiv macht. Ein Effekt dieser Allgegenwärtigkeit von Kameras ist sicher, dass wir mit Bildern generell vorsichtiger umgehen, auch vor dem Hintergrund, dass sie manipuliert werden können, dass man sie zur Erpressung nutzen kann. Auf der anderen Seite gibt's einen gewissen Abstumpfungseffekt, dass man sagt, es sind so viele Bilder auf dem Markt, da ist mein Bild gar nicht so relevant.

Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für Datenschutz von Schleswig-Holstein.