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Politik

Weichspüler für das Unterhaus

Barbara Wesel
3. Oktober 2019

Boris Johnson sucht Unterstützung im Unterhaus um seinen Vorschlag für einen Brexit-Deal zu verkaufen. Der EU droht er mit einem harten Ausstieg, sollte sie unflexibel sein. Die Opposition lehnt den Plan rundum ab.

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Großbritannien Premierminister Boris Johnson
Bild: picture-alliance/NurPhoto/W. Szymanowicz

Es ist, als hätte Boris Johnson Kreide gefressen. In sanftesten Tönen stellte er dem Unterhaus seinen neuen Brexit-Plan vor, der auf die Probleme Nordirlands und auf der grünen Insel insgesamt eingehen soll. Die Aggressivität und das Gepolter der vorigen Woche sind wie weggepustet. Der Premierminister weiß, dass er für seinen Deal auch Unterstützung aus der Opposition braucht.

"Wir sind auf dem Weg zu einer Lösung", verspricht Boris Johnson den Abgeordneten. Der neue Plan zeige seine Ernsthaftigkeit und sei ein echter Versuch, den Abgrund zu überwinden. Und er erläutert noch einmal, dass Nordirland nach dem Brexit in einer "Regulierungszone" für Güter - das Wort Binnenmarkt wird natürlich vermieden - mit der EU verbleiben soll. Andererseits müsse die Region die Zollunion verlassen, denn das sei ein wesentliches Ziel des Brexit an sich.

Mit diesem Plan werde das Karfeitags-Abkommen respektiert, das für den Frieden in der Region sorgt, der interne Warenverkehr über die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland könne weiter ungehindert stattfinden und Grenzkontrollen seien total unnötig, erklärt Boris Johnson die Vorzüge seiner Ideen. Denn Großbritannien werde auf keinen Fall Grenzposten einrichten und Zollerklärungen könnten künftig in den Unternehmen oder im sonstigen Binnenland gemacht werden.

Ein "seriöses Angebot"

Er geht auch noch einmal auf weitere Aspekte ein, etwa die demokratische Zustimmung durch die nordirische Versammlung - ohne allerdings zu erklären, wie sie zustande kommen könnte, da die Volksvertretung seit über zwei Jahren nicht arbeitsfähig ist. Insgesamt lobt er seinen eigenen Vorschlag als "Kompromiss". Er fügt aber hinzu, dass er auf jeden Fall bereit sei, am 31. Oktober die EU zu verlassen. Die britische Seite zeige mit diesem neuen Plan "große Flexibilität", aber wenn die EU nicht auch flexibel sein werde, wolle das Land trotzdem den Brexit in vier Wochen.

Johnson hat die ursprüngliche Drohung gegenüber Brüssel herunter gefahren. Ursprünglich hatte er vom "einzig mögliche Vorschlag" gesprochen, die EU müsse ihn schlucken oder es werde einen harten Brexit geben. Offenbar hat sich in der Downing Street die Erkenntnis durchgesetzt, dass Aggression in der schwierigen Lage der Regierung nicht die richtige Strategie und die EU kollektiv nicht einzuschüchtern ist. Im Unterhaus fuchtelte er zwar noch einmal mit dem Stock, aber das schien mehr an die eigenen Reihen gerichtet. Sein Brief an die EU ist jedenfalls höflich und eher diplomatisch.

Großbritannien | Labour-Chef Corbyn lehnt Johnsons Brexit-Plan ab
Lehnt Johnsons Pläne ab: Labour-Chef Jeremy CorbynBild: picture-alliance/Zumapress/R. Pinney

Die Opposition lehnt den Plan ab

Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat endlich einen schlagkräftigen Slogan gefunden, um den Plan der Regierung abzulehnen. Das sei ein "Trump-Deal Brexit", des Premierministers, weder seriös noch glaubhaft. Man dürfe Nordirland nicht aus der Zollunion zerren, denn der Frieden sei gefährdet, wenn es zu Grenzkontrollen käme. Und Corbyn wiederholt die inzwischen bekannte, gespaltene Labour Position: Er wolle erst einen guten Brexit- Deal, mit Zollunion und Nähe zum Binnenmarkt aushandeln und dann die Bevölkerung in einem zweiten Referendum nach ihrer Meinung fragen.

Er stellt aber auch - wie alle anderen Oppositionsführer - die entscheidende Frage an Boris Johnson: Will er das Gesetz einhalten, das Anfang September im Unterhaus verabschiedet wurde und ihn zu einer Bitte um Verlängerung zwingt, wenn es am 18. Oktober keine Einigung mit der EU gibt? Und eins ums andere Mal lässt der Premier die Frage unbeantwortet und redet vom Austritt unter allen Umständen. Hinter den Kulissen wird spekuliert, ein hoher Beamter könne die Verlängerungsbitte in Brüssel einreichen, damit Johnson es nicht selber tun und sein Wort brechen müsse.

Die Schottische SNP legte dann noch den Finger in eine besondere Wunde: Warum dürfe nur Nordirland im Binnenmarkt bleiben? Schottland wolle das unbedingt auch. Beide Regionen hatten für den Verbleib in der EU gestimmt, und Edinburgh spricht inzwischen offen über ein zweites Unabhängigkeitsreferendum.

Nicola Sturgeon schottische Regierungschefin
Was für Irland geht, muss doch auch für Schottland gelten, meint Nicola Sturgeons SNPBild: picture-alliance/empics/J. Barlow

Die Opposition mit Liebe zuwerfen

Insgesamt sind sich alle auf den Oppositionsbänken einig: Johnsons Plan kann nicht funktionieren, er reicht nicht aus, ist nicht gut genug und sei "tot bei der Ankunft". Der Premier hatte vorher angedeutet, er werde die Abgeordneten der Gegenseite mit Liebe zuwerfen – im ersten Anlauf scheint das nicht zu funktionieren. Allerdings bietet er an, mit jedem Abgeordneten einzeln zu sprechen, der Bedenken habe. Auch die harten Brexiteers in seiner eigenen Partei zeigen, dass sie zu Kreuze kriechen werden. "Wir sehen jetzt den Umriss eines erträglichen Deals", sagt Hardliner Steve Baker.

Der irische Außenminister zeigt Skepsis zur gegenwärtigen Form des britischen Plans: "Garantiert der Deal, dass es keine Grenzkontrollen gibt? Nein, tut er nicht. Jedenfalls nicht für Zölle. Garantiert er das Funktionieren einer gesamt-irischen Wirtschaft? Nein." Außerdem hat Simon Coveney ein Problem damit, dass die nordirische Versammlung einseitig über die Regelung bestimmen sollte. Der Vorschlag kann "in dieser Form" nicht zu einem Abkommen führen. Klar ist, dass die Stimme Dublins hierbei entscheidend ist.

Allerdings hat Boris Johnson generell die Tür offen gelassen. In der Unterhausdebatte weigerte er sich mehrfach zu bestätigen, dass der vorliegende auch der endgültige Plan seiner Regierung sei. Es scheint also Raum für Verhandlungen zu geben. Und der irische Premier Leo Varadkar erklärte inzwischen, die Vorschläge seien willkommen, gingen aber in verschiedener Hinsicht nicht weit genug. Auch er sieht offenbar Raum für weitere Gespräche. Das deckt sich mit der ursprünglichen Reaktion von EU-Komissionschef Jean-Claude Juncker, der den Vorschlag begrüßte, aber "noch wesentliche Arbeit" für nötig hält. 

Großbritannien Tory-Parteitag in Manchester
Die eigenen Reihen hat Johnson offenbar geeint...Bild: picture-alliance/Photoshot/LFI/Avalon/J. Edwards

Brüssel zwischen Skepsis und diplomatischer Zurückhaltung

Am negativsten scheint derzeit der Brexit-Ausschuss des Europäischen Parlamentes. Schon gestern hatte Philippe Lambertz für die Grünen gesagt, der Plan sei wohl nicht ernst gemeint und ziele nur darauf, einen harten Brexit herbei zu führen. Und der liberale Vorsitzende Guy Verhofstadt fügte inzwischen hinzu. es sei quasi unmöglich für die EU, dem Plan in seiner gegenwärtigen Form zuzustimmen.

Der erste Tag nach dem Vorstoß aus London macht jedenfalls klar: Boris Johnson hat einen großen Teil seiner eigenen Truppen inzwischen aufgereiht. Er scheint außerdem bereit, der EU etwas weiter entgegen zu kommen. Ob das für einen Deal ausreicht ist offen, jedenfalls ist es in der kurzen verbleibenden Zeit bis zum Gipfel in zwei Wochen quasi unmöglich. Dennoch kommt nach Monaten zumindest Bewegung in die verfahrene Brexit-Situation.