1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Welche Russland-Sanktionen noch möglich sind

5. April 2022

In dieser Woche soll ein fünftes Sanktionspaket wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geschnürt werden. Doch solange Energielieferungen nicht angetastet werden, bleibt kaum Spielraum.

https://p.dw.com/p/49SI9
BASF Werk Ludwigshafen - Verbrennen von Gas
Abbrennen von überschüssigen Gasen auf dem Gelände der BASF: Bundesregierung als BremserBild: Daniel Kubirski/dpa/picture alliance

Die Bilder vieler ermordeter Zivilisten aus der nordukrainischen Stadt Butscha bei Kiew bringen den Westen einmal mehr unter Zugzwang: Man will das mutmaßliche russische Kriegsverbrechen nicht ungesühnt lassen, aber auch nicht der Ukraine militärisch beispringen und damit Kriegspartei gegen Russland werden.

Also sollen die bestehenden Wirtschafts- und Finanzsanktionen verschärft werden: "Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag in Berlin. "Präsident Putin und seine Unterstützer werden die Folgen spüren."

Berlin | Bundeskanzler Olaf Scholz gibt ein Pressestatement
Bundeskanzler Scholz (am Sonntag in Berlin): "Wir werden weitere Maßnahmen beschließen"Bild: Hannibal Hanschke/AFP/dpa/picture alliance

Schon jetzt sind Auslandskonten Wladimir Putins und vieler seiner Vertrauten gesperrt, Exportverbote etwa für Hightech-Produkte erlassen, einige russische Banken vom Zahlungsverkehr abgeschnitten und europäische Häfen sowie der Luftraum für Schiffe und Flugzeuge aus Russland gesperrt. Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es darüber hinaus? Und wie sinnvoll wären die?

Weitere Sanktionen "äußerst schwierig"

"Es bleibt im Moment relativ wenig noch übrig", sagt David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie des Bundeslands Rheinland-Pfalz. Es werde "äußerst schwierig, noch weitere Sanktionen in Kraft zu setzen, die dann nicht noch sehr empfindlich die Sanktionierenden hart treffen würden, also den Westen und insbesondere Deutschland. Das betrifft zuvorderst die Gaslieferungen", sagt Sirakov.

Beim Gas gilt die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union als Bremser. Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben zum 1. April die Gasimporte aus Russland komplett gestoppt. Momentan decken sie ihren Bedarf aus in Lettland gelagerten Reserven, im Mai wird das Baltikum über eine neue Pipeline ans europäische Gasnetz angebunden. In Deutschland ist die Vorgehensweise hingegen: Erst die alternative Versorgung auch auf lange Sicht sicherstellen, dann die Lieferungen aus Russland kündigen.

Deutschland | Nachtaufnahme von der BASF in Ludwigshafen mit dem Rhein
Chemie-Standort Ludwigshafen: "Jede Tonne Erdgas, die fehlt, reduziert die Produktion"Bild: Udo Herrmann/U. J. Alexander/imago images

Die deutsche chemische Industrie warnt vor Sanktionen gegen russisches Gas: "Jede Kilowattstunde, jede Tonne Erdgas, die in der chemischen Produktion fehlt, reduziert entsprechend die Produktion in anderen Unternehmen", so Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie, Klimaschutz und Rohstoffe im Verband der Chemischen Industrie VCI . Ohne ausreichend Gas könnte es einen Mangel an Klebstoffen, Lacken und Farben geben. Düngemittel, die in der Landwirtschaft zur Lebensmittelproduktion gebraucht werden, sowie spezielle Kunststoffe würden ebenfalls knapp werden.

Sollte die Gazprom-Bank sanktioniert werden?

Zentral für die Abwicklung der Energielieferungen sind Geldinstitute wie die Gazprom-Bank. Großbritannien hat die Gazprom-Bank im März sanktioniert; in den EU-Listen taucht die Bank bislang nicht auf. Jörg Krämer, Chefvolkswirt bei der Commerzbank, rät von einem solchen Schritt ab: "Der Westen würde sich letztendlich ins eigene Fleisch schneiden, wenn er alle russischen Banken sanktionieren würde, denn dann könnten westliche Importeure ihre Gasrechnung nicht mehr per Überweisung bezahlen."

Die meisten großen russischen Banken wurden per EU-Sanktion vom internationalen Zahlungssystem Swift abgeschnitten, das Transaktionen weltweit verarbeitet; die Gazprom-Bank wurde bewusst von diesem Schritt ausgenommen.

Die Gazprom-Bank gilt zusätzlich auch als ein wichtiges Scharnier bei der seit dem Monatswechsel geltenden Kreml-Direktive, wonach Gaslieferungen in Rubel bezahlt werden müssen: Die Gasversorger in Deutschland und anderswo in Europa zahlen zwar weiter in Euro oder Dollar. Die Zahlungen werden dann jedoch von der Gazprom-Bank in Rubel an ihren Mutterkonzern Gazprom weitergeleitet, der ein Großteil des russischen Gasgeschäfts betreibt.

Manche Beobachter argumentierten, dadurch übernähme die Gazprom-Bank ein Stück weit die Rolle der vom Westen sanktionierten russischen Zentralbank. Andere sagen, dadurch habe sich kaum etwas geändert - so auch der Chefvolkswirt der Commerzbank: Vorher hätten die Devisen bei Gazprom gelegen, jetzt liefen sie bei der Gazprom-Bank auf, sagt Krämer. "Das macht keinen großen Unterschied in einem System, wo Devisen per Anordnung auch zentralisiert werden können."

Weitere Sanktionen im Technologiebereich?

Neben dem Finanzmarkt wolle man sich auch den Bereich technische Güter noch einmal anschauen, kündigte Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntagabend an. "Es ist sicherlich noch eine Möglichkeit, dort noch Produktkategorien hineinzubringen", sagt der Politologe Sirakov. Jedoch seien viele Bereiche in Russland auch jetzt schon lahmgelegt, weil Unternehmen im Zuge der Finanzsanktionen keine Produkte aus dem Ausland mehr beziehen könnten.

Robert Habeck
Wirtschaftsminister Habeck: Weitere technische Güter auf der Sanktionsliste?Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Schon jetzt gibt es Berichte über Panzerfabriken, die wegen der Sanktionen nicht mehr an Materialien kämen und deshalb die Produktion einstellen müssten. Es sei eine Frage der Zeit, sagt Sirakov, "auch mit den bestehenden Sanktionen, dass das auch andere Firmen, andere Produktionsabläufe in der russischen Rüstungsindustrie treffen wird."

Deutschland hatte am Montag 40 russische Diplomaten zu "unerwünschten Personen" erklärt und damit ausgewiesen. Personensanktionen - also gezielte Einreise- und Kontensperren gegen Leute aus Putins Dunstkreis - spielen generell aber eine untergeordnete Rolle. Hier gebe es noch ein paar Sanktionsschritte, sagt Sirakov: "Aber das, was der Führung in Moskau über das bereits erreichte Niveau hinaus noch richtig wehtun würde, da gibt es nicht mehr allzu viel, glaube ich."